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Wer auf Frieden hofft …

Von Feierabend-Mitglied 10.03.2024, 10:23

Als Chef der Söldnertruppe Wagner, eine der brutalsten Privatarmeen weltweit, brachte es der (Koch Putins) zu einer gewissen Berühmtheit.
Jewgeni Prigoschin wollte zwar mit seinem Putschversuch in erster Linie auf die defizitäre Kriegsführung der russischen Generalität aufmerksam machen, verärgerte damit aber seinen Freund Putin.
In einem seiner letzten Interviews ließ er daran auch keinen Zweifel aufkommen. “ Wir werden alle zur Hölle fahren, aber in der Hölle werden wir die besten sein“, sagte er und bewies damit, wie gut er die charakterlichen Eigenschaften von Wladimir Wladimirowitsch Putin kannte.
Dass Jewgeni Prigoschin seiner Vorstellung vom Tod gefolgt sein könnte, wurde nach dem Absturz seiner Privatmaschine immer wahrscheinlicher.
Für viele kam Prigoschins Tod nicht überraschend. Nach dem gescheiterten Putschversuch, bei dem ihm eine Schlüsselrolle als Initiator zukam, galt seine Zeit unter vielen Experten als gezählt. Putin nannte ihn damals einen Verräter und dass er Verrätern nicht verzeihen kann, machte er bereits 2018 in einem Interview klar. Vieles deutet auf die Rache des russischen Präsidenten hin.
Doch nicht nur Prigoschin, auch Dimitri Utkin, der offizielle militärische Chef von Wagner, war unter den Opfern. Auch Waleri Tschekalow, der für Operationen in Syrien zuständig war und zur Führungsebene gehörte, saß mit im Flugzeug. Damit verlor die Wagner-Truppe nicht nur ihr öffentliches Gesicht, sondern auch die einzigen anderen Führungskräfte, die Prigoschin hätten ersetzen können. Es stellt sich deshalb die Frage, wer künftig die Geschäfte der Privatarmee übernehmen könnte.
Nun sollte aber niemand annehmen, dass allein Russland Söldnertruppen für sich arbeiten lässt.

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri geht von weltweit Tausenden solcher Firmen aus, die ihre Dienste, gegen gute Bezahlung, versteht sich, anbieten. Seinen Schätzungen zufolge beherrschen die USA, Großbritannien, China und Südafrika zusammen etwa 70 Prozent des gesamten Sektors.

Russland wiederum soll seine Auftragnehmer wohl häufiger als andere Länder zu Kampfeinsätzen hinzuziehen.

Söldner werden aber auch von den oben genannten Auftraggebern als Stellvertreter in bewaffneten Konflikten eingesetzt, etwa wenn sich die offiziellen Streitkräfte selbst nicht die Hände schmutzig machen sollen.

Krieg führen heißt Soldaten auf ein Schlachtfeld schicken. Heutzutage sind das immer häufiger private Söldner.

Der Politikwissenschaftler Sean McFate weiß, wovon er in seinem Buch über Söldner schreibt: Er war selbst Fallschirmjäger, sagt er im Gespräch. "Ich habe für ein privates Militärunternehmen gearbeitet, in Afrika und Teilen von Europa". Dann bin ich ausgestiegen. Es ist eine trübe Insider-Branche.
McFate weiß, warum er dem Söldner-Gewerbe den Rücken gekehrt hat.

„Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist: Ich gucke mich um und sehe wenig alte Leute in dieser Branche. Und ich wollte gründlicher darüber nachgehen, was sie für die internationalen Beziehungen bedeutet. Wenn man die Machtmechanismen ändert, wird das ganze politische System durcheinandergebracht.

Darauf sind wir nicht vorbereitet. Wenn Leute heute von Macht sprechen, dann meinen sie immer noch Großmächte. Aber wir müssen uns auf einen Schock vorbereiten.“

Der Westen ist strategisch blind.

Das Bild, das McFate also von der Zukunft zeichnet, ist mehr als düster. Spätestens der Krieg in Syrien zeige, wie sich das Bild von Kriegsführung geändert habe. In seinem Buch schreibt er:
Die Ordnung, die wir kennen, wird zerbrechen und durch etwas anderes ersetzt werden, etwas, das unbeherrschbar und archaisch ist …
In den nächsten Jahrzehnten werden wir Kriege ohne Beteiligung von Staaten erleben. Kriege werden im Dunklen geführt und mit geheimen Mitteln. Die Fähigkeit, etwas plausibel zu leugnen, wird im Informationszeitalter effektiver sein als Feuerkraft.

Sean McFates Kritik an der „strategischen Blindheit“ der westlichen Welt, wie er es nennt, ist drastisch. Alle militärischen Unternehmungen der USA seit dem Zweiten Weltkrieg seien gescheitert, von Vietnam bis zu Afghanistan. Sie hätten weder Stabilität für die bekriegten Länder gebracht, noch – siehe die Anschläge vom 11. September – die USA vor Terroranschlägen bewahrt.

Als ehemaliger Militär geht McFate hart mit seinem ehemaligen Arbeitgeber ins Gericht. Sein Buch ist eine Provokation, weil er den USA und ihren Streitkräften unterstellt, sie seien nicht in der Lage, ihre strategische Ausrichtung zu überdenken. Nicht mehr Staaten allein würden die Kriege der Zukunft führen, sondern Terrororganisationen oder Söldnerheere:

Der Krieg geht in den Untergrund, und der Westen muss ihm dorthin folgen und seine eigene Version eines Untergrund-Krieges entwickeln.

Wer es sich leisten kann, kann militärische Macht einkaufen.
Nicht das Wesen des Krieges, wie Brutalität und zunehmende Verrohung, hat sich geändert, sehr wohl aber die Spielregeln.

McFate unterteilt seine „New Rules of War“ – seine neuen Reglen für die Kriegsführung im 21. Jahrhundert – in zehn Kapitel, versehen mit zum Teil plakativen Überschriften. „Technologie wird uns nicht retten“ heißt eine. Darin beschreibt er die technologische Überlegenheit der USA, die jedoch im asymmetrischen Krieg gegen die Taliban nicht zum Erfolg geführt hat. Eine der wichtigsten Regeln heißt für ihn – und darin liegt auch seine Expertise – „Söldner werden die Schlachtfelder prägen“.

„Das Söldner-Wesen hat sich in den letzten zehn Jahren komplett geändert“, sagt McFate im Gespräch. „Wenn wir an Söldner denken, denken wir immer noch an Blackwater 2007 im Irak, die 17 Menschen getötet und eine immense politische Krise im Mittleren Osten verursacht haben. Aber das ist siebzehn Jahre her. Heute ist der Markt globalisiert und in allen Kriegsgebieten präsent.“

Seit Jahren gibt es im UN-Menschenrechtsrat Bestrebungen, eine verbindliche Konvention über die Verpflichtung von privaten Sicherheitsfirmen voranzubringen. Bislang ohne konkretes Ergebnis. Jeder also kann sich ein Heer buchen, erklärt McFate:

„Der moderne Söldner-Handel funktioniert so: Man kann Spezial-Teams mieten, und das sind dann nicht etwa Hollywood-Figuren, sondern Profis. Jeder, der genug Geld hat, kann – warum auch immer – einen Krieg führen. Nigeria macht das, die Arabischen Emirate haben für den Jemen Söldner aus Lateinamerika gekauft.

Wir haben das in Russland gesehen, dass Söldner für seine Interventionen in der Ukraine und in Syrien angeheuert hat. Söldner zu engagieren liegt im Trend und jenseits aller Aufmerksamkeit. Wer wirklich etwas im Geheimen erledigen will, bucht nicht die CIA, sondern Söldner.“

Brauchen die USA in Zukunft eine Fremdenlegion?

Bisweilen allerdings begibt sich der ehemalige Söldner und jetzige Militär-Experte McFate auf abwegiges Gelände. Kritisiert er ein paar Kapitel zuvor noch die Gefahr durch private Sicherheitsfirmen, schlägt er am Ende genau ähnliche Gebilde zur Bekämpfung asymmetrischer Konflikte vor. Die USA müssten „eine Fremdenlegion“ bilden nach französischem Vorbild, schreibt er. Diese wäre nicht nur effektiver und kostengünstiger, sondern ...
... eine Fremdenlegion löst auch ein beständiges strategisches Problem. Die westliche Abneigung, Soldatensärge nach Hause bringen zu müssen, wäre kein Thema mehr, denn welcher Amerikaner interessiert sich schon für tote Söldner? Das würde den USA ein Strategiebuch in die Hand geben, das nicht auf Luftschläge beschränkt ist und auf Spezialkräfte, die eine Bedrohung immer nur kurzfristig lösen können.

Die Fremdenlegion könnte für Jahre bleiben. Sie könnte – zum Beispiel – die iranischen Schattenkämpfer der Quds-Brigaden oder die Hisbollah jagen und russische „grüne Männchen“ töten, die offiziell nicht existieren. Also, wer würde sie vermissen?

Das Bild, das der ehemalige Söldner McFate vom Krieg zeichnet, ist nicht neu. Allerdings fügt er viele Facetten hinzu, die das Bild von der „neuen Unübersichtlichkeit“ greifbarer machen. Krieg 4.0 ist nicht auf ein Schlachtfeld reduziert. Krieg 4.0 ist ein Szenario, das beständig sein Gesicht ändert und immer neue Strategien erfordert.
McFates Argumentation mag wie im Falle der Fremdenlegion hemdsärmelig und unorthodox erscheinen. Im Kern jedoch bleibt sie stringent. Hier spricht ein Militärstratege, der Krieg danach beurteilt, wie er zu gewinnen ist. Er entledigt sich der Frage: Wie vertragen sich solche Regeln mit einer demokratischen, verfassten Gesellschaft? Am Ende seines Regelwerks steht die Erkenntnis:

Der Westen ist nicht vorbereitet auf den Krieg im 21. Jahrhundert.

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