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Die Zeit geht durch die Räume


- Teil zwei -


Die Schwermut hängt in den Räumen. Die Dielen seufzen, als ich weiterschreite. Die Protagonisten der Bilder des Malers sind auf die Zimmer verteilt: Sofa, Stühle und Tische, zwei schmale Betten. Wenige Bilder hängen an den Wänden, nicht die des Malers. Eine Terrine mit einem blauen, floralen Muster, Royal Kopenhagen, eine Kaffeekanne, eine Tasse sind auf einem der Tische abgestellt.
Ich stehe unschlüssig in der Mitte des Raumes. Mein Blick wandert zum runden eisernen Ofen in der Ecke neben der Tür, durch die ich hereingekommen bin. Rechts und links stehen weitere Türen einladend offen. Durch welche soll ich weiter gehen? Ich weiß noch nicht, dass ich nicht in die Irre gehen kann, dass ich, ob ich rechts oder links durch die Tür gehe, immer zum Ausgangspunkt zurückkommen werde. Ich könnte endlos im Kreise gehen. Hat der Maler das getan? Hat er wie eine Spinne an seiner Staffelei gewirkt? Hat er seine lebensprühende Frau in seine fein gesponnenen Fäden eingewickelt, sie bewegungslos gemacht, ihr beinahe die Luft abgeschnürt? Ich stehe einen Moment verunsichert und wie fixiert in der Mitte des Raumes. Hat der Maler auch mich eingekreist? Ich löse mich entschieden und wandere, auf das leise Klappern von Bestecken lauschend, durch die rechte Tür.
Auf der Schwelle bleibe ich stehen. Vor mir sitzen an einem Tisch ein Mann und eine Frau. Der mir zugewandte Rücken des Mannes verdeckt die Frau fast ganz. Zwischen ihnen liegt das weiße Tischtuch. Die Falten, die durch das Liegen im Schrank entstanden sind, werfen messerscharfe Schatten. Schweigend essen die beiden. Was sollen sie sich auch erzählen, so fixiert aufeinander, wie sie durch die Räume ziehen, er mit seiner Staffelei, sie in seinem Gefolge, wegräumend, ordnend. Ihre Geschichten liegen tief in ihnen bewahrt. Er kann sich malend ausdrücken, von Obsessionen befreien, aber sie?

Sie steht dunkel und fest geschnürt, verschnürt, im Schlafgemach am Fenster, als ich ihr wieder begegne. Sie steht zwischen zwei Betten mit weißen Überwürfen. Zwischen den zur Seite gerafften, fast durchsichtigen Gardinen, wird das Fensterkreuz sichtbar. Sie schaut hinaus auf den Park. Ihr Kopf ist leicht geneigt und lässt mich ihre Wangenlinie und ein Ohr sehen. Ein verlorenes Profil nennen die Maler das. Sie steht im Fluchtpunkt der Linien und unter dem Kreuz. Sie ist eine Verlorene, in sich eingeschlossen, eingeschlossen in diese Ehe, die ihr nur das Kreisen um ihren Gatten, den Maler, gestattet.
Dieses Zimmer ist ein Ort der Schmerzen. Sie kann sich nie an ihren Mann schmiegen und wärmen. Die Betten sind zu schmal und das Zimmer hat keinen Ofen. Ihr ist kalt. Wenn sie als kleines Mädchen manchmal weinend von einem winterlichen Spaziergang heim kam, weil ihre Hände wie abgestorben waren, hatte ihre Mutter sie liebevoll in die Arme genommen, hatte ihre Hände massiert, bis das Leben in sie zurückkehrte. Wehmütig erinnert sie sich, dass ihr Mann am Anfang der Ehe im Dunkeln zu ihr kam. Sollte sie ihn nicht sehen, erlaubte er sich nicht, sie zu sehen?
Hatte er Angst, seine Leidenschaft könnte geweckt werden, könnte sein Kreisen unterbrechen? Er wollte keine Kinder; ihre Lebendigkeit hätte seine Stille zerstört.

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