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Die Zeit geht durch die Räume



- Dritter Teil -




Einmal war sie schwanger gewesen, freute sie sich auf das in ihr wachsende Leben. Im Dunkel der Nacht hatte sie sich auf die Kante seines Bettes gesetzt und ihm ihr Geheimnis ins Ohr geflüstert. Er hatte sich schockiert aufgesetzt und sie beinahe vom Bett gestoßen. Danach kam er niemals mehr im Dunkel der Nacht zu ihr.
Sie steht oft sinnend an diesem Fenster. Sie fröstelt, die Wärme des Sommers erreicht sie nicht. Sie hört, wenn sie nach innen lauscht, ein leises Wimmern, hört das lustige Tollen eines Kindes, sieht sich hinter einer der vielen Türen, sieht sich hervorspringen und das Kind in ihre Arme nehmen, unterbricht sein jubelndes Rennen, hört sein ersticktes Juchzen, herzt es und lässt es frei, damit es das Spiel aufs neue beginnen kann. Wie alt wäre das Kind jetzt gewesen? Wenn sie in ihren Gedanken soweit gekommen ist, wendet sie sich ab vom Fenster, geht zu ihrem Bett hinüber und schlägt in verzweifeltem und hilflosem Zorn auf das Federbett ein; bis sie aufs Bett fällt und ihr Schluchzen in den Kissen erstickt.



Einmal war sie danach erschöpft eingeschlafen. Als kein Abendbrot gerichtet war, hatte der Maler sie gesucht. Sie war von den quietschenden Angeln der Tür wach geworden. Verwirrt schlug sie die Augen auf. Er stand mit der Lampe in der Hand in der geöffneten Tür. Sie fühlte sich schuldig, ertappt, erhob sich zerschlagen und wollte an ihm vorbei aus dem Zimmer gehen. Er versperrte ihr den Weg – wortlos. Worte hatte er schon lange nicht mehr für sie. Er lebte in seiner Welt, in der sie ihn nicht erreichen konnte. Sie führte den Haushalt, über sie liefen die Kontakte zur Außenwelt – er wanderte unermüdlich mit seiner Staffelei durch die Räume. Der Mechanismus war gestört – er war aus dem Takt gekommen. Was nun? Er suchte nach Worten. Sein Blick irrte ziellos an den Wänden des Zimmers entlang, suchte in den Ecken – sie kam ihm zuvor. Es brach aus ihr heraus:
„Ich kann so nicht mehr leben!“
Sie hielt erschrocken die Hand vor den Mund und hätte den Aufschrei gerne zurückgenommen. Er machte eine hilflose Bewegung auf sie zu, fing sie auf, als sie nach vorne kippte.
Er sieht sie jetzt manchmal nachdenklich an, er kann nicht aus seiner Haut heraus. Sie versucht mit ihrer Trauer zu leben. Sie kann aus ihrer Ehe nicht ausbrechen, wie „Nora“, von der sie in der Zeitung gelesen hat. Sie gehen nicht ins Theater. Sie ziehen durch die Räume, auf einer Schneckenspur der Verzweiflung, langsam, langsam.

Ich schleiche mich auf Zehenspitzen aus dem Raum und aus der Wohnung. Die letzten Bilder des Malers zeigen leere Räume, durch die Licht und Schatten wandern, durch welche die Zeit streift.

Bilder: Wikipedia gemeinfrei
Autor: chevaline

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