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LA TOUR D’ARGENT

Von Feierabend-Mitglied Donnerstag 13.08.2020, 05:57

LA TOUR D’ARGENT
Während meiner Zeit im Bauch von Paris, in "Les Halles" habe ich etwas für's Leben gelernt. Die Liebe zu guten Produkten und deren Verarbeitung.

Ich kam aus einem kleinen Bauernhaus im Saarland in ein Schlaraffenland. Bei uns zuhause gab es solide Hausmannskost. Eben das, was Stall, Feld und Garten hergaben. Grundlage waren Kartoffeln, Rot - und Weißkohl, Karotten, Lauch und Zwiebeln. Dann die üblichen Gartenfrüchte, nämlich die verschiedenen Beeren, dann Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Mirabellen. Das war's schon.
Und dann, im Großmarkt von Paris, sah ich zum ersten Mal all das exotische Obst und Gemüse Nie zuvor hatte ich Auberginen, Zucchini, Artischocken usw. gesehen, geschweige denn gegessen. Das gleiche galt genauso für die Fülle an exotischen Früchten. Ich war begeistert von all den Möglichkeiten die sich da für mich ergaben. Ich wollte das alles kennenlernen.
Zu unserem Stand in der Markthalle kamen auch die großen Küchenchefs aller bekannten Restaurants. Im Laufe der Jahre lernte ich sie alle etwas näher kennen und es blieb nicht aus, daß mich der ein oder andere in sein Restaurant einlud. Daß ich nicht zur zahlenden, gewohnten Klientel gehörte, wußten sie ja. So wurde ich oft in die Küche eingeladen. Dort habe ich voller Bewunderung gesehen, wie unter den Zauberhänden dieser Küchenkünstler die wunderbarsten Gerichte entstanden.

Das erste tolle Restaurant das ich kennenlernte war das Restaurant LA TOUR D’ARGENT. Und von dem möchte ich hier erzählen.

Während der Regierungszeit von Heinrich III im Jahr 1582 bauten Mönche des heiligen Berhard ein Gasthaus auf einem Grundstück neben dem Kloster. Sie gaben ihm den Namen Hostellerie de La Tour d'Argent. Aufgebaut auf dem Kai oberhalb der Seine im gerade modernen Renaissance-Stil, zog das Restaurant schnell ein elegantes Publikum an. Die Herren und Damen des Hofes waren dort zu treffen, um den Blick über die Seine zu genießen. Manchmal stellte der Wirt Boote für Vergnügungsfahrten auf der Seine zur Verfügung.
Eines Tages, nach der Rückkehr von der Jagd kehrte König Heinrich III mit der Jagdgesellschaft in das Tour d'Argent zum Essen ein. Er war von der Zubereitung und dem Geschmack der Speisen so begeistert, dass er immer häufiger alle möglichen Gelegenheiten nutzte, um hier zu speisen.

Das Tour d'Argent blieb dank herausragender Küchenchefs über Jahrhunderte der Ort, um raffinierte Abendessen zu genießen. Es gibt Aufzeichnungen eines Dinners das für den Herzog von Richelieu, einen Neffen des Kardinals gegeben wurde, bei dem für vierzig Personen ein Menü nur aus Rindfleisch bestehend serviert wurde, das in dreißig verschiedenen Arten zubereitet wurde! Es war am Ende dieser Mahlzeit, daß zum ersten Mal Kaffee in Tassen serviert wurde. Da Kaffee bis dahin in Restaurants unbekannt war, wurden in einer Potterie im Elsaß zum ersten Mal in Europa Kaffeetassen angefertigt. Ausgezeichnete heiße Schokolade konnte auch im Tour d'Argent genossen werden. In einem Brief aus dem Jahr 1671, schrieb Madame de Sévigné ihrer Tochter, dass sie ihre heiße Schokolade täglich zu sich nahm am Quai de la Tournelle.

Es war im Jahre 1867 während der Pariser Weltausstellung, dass das Cafe Anglais im Tour d'Argent seinen Höhepunkt erlebte. Dort trafen sich an einem Sonntag Nachmittag Alexander II., Zar des russischen Reiches, der Zarewitsch, der zukünftige Alexander III, Wilhelm I., König von Preußen, ab 1871 deutscher Kaiser und der Fürst Otto von Bismarck.
Für diese Gäste komponierte Monsieur Dugléré, der Chefkoch, ein außergewöhnliches Menü. Heute kann im kleinen Museum „Tabelle de la Tour“, die Menuekarte des Abendessens angesehen werden. Bei großen Staatsbanquetts hat die Mannschaft des Küchenchefs dieses Menü bis ins kleinste Detail nachgekocht.

Ich habe das Tour d'Argent im Jahre 1967 kennengelernt. Küchenchef war der legendäre Claude Terrail. Er hatte das Regiment in der Küche 1947 von seinem Vater übernommen und die Küche modernisiert, ja man kann sagen revolutioniert. Er befreite sie von schweren Saucen und von langen Garzeiten. Er war einer der Ersten, die Gemüse nicht mehr zu Tode kochten, sondern noch knackig mit Biss auf den Teller brachten.
An einem aber hat der kluge Kopf festgehalten:
Im Jahre 1890 erfand der geniale Küchenchef Frédéric Delair die « canard Tour d'Argent », die Ente des Tour d'Argent. Die Ente wurde gebraten und am Tisch zerlegt. Brust und Keulen kommen in eine Kasserolle, die Karkasse, also alle Knochen, in eine Art Presse, die mittels einer Schraube zugedreht wird. Der austretende Fleischsaft ist die Saucenbasis. Sie wird mit Creme fraiche und einem Glas Rotwein und einem Glas Cognac am Tisch über einem Rechaud frisch aufgeschlagen und mit der Entenbrust serviert. Der geniale Geniestreich des Küchenchefs Frédéric Delair aber war, die Enten durchzunummerieren und jedem Gast, der eine Ente bestellte, ein Zertifikat mit der Nummer der Ente auszuhändigen.
Ich aß die Ente Nr. 374.107. Das Zertifikat habe ich immer noch.
(Im Jahre 2003 wurde mit großem öffentlichem Aufsehen die 1.000.000 ste Ente serviert.)

Noch etwas verdanken wir dem Restaurant Tour d'Argent. Dort wurde im 17. Jahrhundert etwas erfunden, was heute in allen besseren Restaurants einfach dazugehört, wo aber die wenigsten Menschen wissen, wo es herkam: die Cloche, auf deutsch die Tellerhaube.
Interessant daran ist die Geschichte, die dahinter steht. Die meisten Leute glauben ja, daß diese Tellerhauben erfunden wurden um die Speisen warm zu halten. In Wahrheit ist es aber anders gewesen. Einer der prominenten Besucher des Tour d'Argent wurde von einem eifersüchtigen Ehemann vergiftet, indem dieser Gift ins Essen streute, als der Kellner an ihm vorbeiging. Das machte natürlich einen schlechten Eindruck und war auch einem guten Ruf nicht gerade zuträglich. Um einen solchen Vorfall zukünftig zu verhindern, wurde die Cloche, auf deutsch die Tellerhaube, erfunden.

Der Küchenchef Claude Terrail, den ich in Les Halles als großartigen, großzügigen und äußerst klugen Mann kennen gelernt habe, der auch mit so einem kleinen Würstchen wie mir sehr freundlich sprach, während ich ausgesucht schöne Artischocken und reife Mangos in den Wagen seines Fahrers lud, sagte einmal zu mir: „Die tägliche Basis meiner Arbeit ist zugleich meine Lebens - Maxime: "Es gibt nichts Ernsteres als das Vergnügen." Claude Terrail starb im Jahr 2006. Ich werde immer seiner in Ehren gedenken.

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