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Ein Wein zum Verlieben

Von Feierabend-Mitglied Mittwoch 17.01.2024, 16:51 – geändert Freitag 19.01.2024, 13:11

Verzückt hing sie an seinen Lippen. Noch nie zuvor hatte sie ihn so amüsant sprechen hören. Stundenlang hätte sie ihm zuhören können. Sein leicht französisch gefärbtes Deutsch klang wie eine gleichmäßig an- und abbrandende Welle, einschmeichelnd und seltsam suggestiv. Versonnen lauschte sie seinen Worten und beobachtete fasziniert, wie er den Cognac an den unermüdlich plaudernden Mund führte. Warum erschien er ihr auf einmal so begehrenswert?

Dabei hatte es doch ganz anders begonnen. Am Nachmittag hatte er sie in seiner Firma in Luxemburg zu einem Geschäftsbesuch empfangen. Sie wollten noch die letzten Details ihres gemeinsamen Apothekengeschäftes klären. Die Geschäfte machten es nötig, sich mehrmals im Jahr abwechselnd in Frankfurt und Luxemburg zu treffen. Eine jahrelang gepflegte Routine ohne besondere Vorkommnisse.

Als Mann war er in ihren Augen ein absoluter Langeweiler und als Firmenchef mangelte es ihm sowohl am notwendigen Durchsetzungsvermögen als auch am schnellen Überblick komplizierter Sachlagen. Auf sie machte er eher den Eindruck eines großen harmlosen Jungen, der aus Versehen im Haifischbecken des knallharten Apothekengeschäftes gelandet war.
Tatsache war, dass er nach dem Studium der Pharmazie in das Geschäft seiner Frau eingeheiratet hatte und diese die Klugheit besaß, einen fähigen Manager einzustellen, der die Tagesgeschäfte des Unternehmens führte. Er war mehr für die gesellschaftlichen Kontakte zuständig, ein Frühstücksdirektor sozusagen.
Nach den Besprechungen lud er sie stets zum Abendessen ein. Er hatte eine Schwäche für die gehobene Gourmet-Küche und genoss es, ausgiebig zu
dinieren. An Wein und sonstigen sinnverwirrenden Getränken wurde nie gespart. Die dortige Polizei war für ihre Nachsicht mit leicht alkoholisierten Gästen dieser Art bekannt.

Entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten hatte er heute einen Tisch in einem Sternelokal an der Mosel reserviert, einige Kilometer von der Hauptstadt entfernt.
„Es ist ein ganz besonderes Restaurant“, sagte er enthusiastisch. “Ich kenne den Eigentümer selbst sehr gut. Das Haus liegt an einer Moselschleife und hat einen ausgezeichneten Ruf. Zu dem Lokal gehören ein paar Weinberge und, Madame, Sie können mir glauben, diese Weine gehören absolut zu den Spitzengewächsen im Riesling Anbau. Im Nebengebäude gibt es ein kleines Hotel, in dem man notfalls auch übernachten könnte. Nur für den Fall, dass man zu viel Alkohol zu sich genommen hatte und den eigenen Fahrkünsten nicht mehr trauen konnte.“
An der Mosel übernachten? Das wollte sie auf gar keinen Fall. Nach dem Abendessen wollte sie in ihr Hotel zurück und am nächsten Morgen nach Hause.
Nach der Besprechung machten sie sich am frühen Abend mit seinem Wagen auf den Weg zum Lokal. Es war schon herbstlich. Leichte, durchsichtige Bodennebel schwebten über den Wiesen. Der Weg führte sie über verschlungene, wenig befahrene Straßen, über Felder und durch dichte Wälder, bis sich plötzlich der Blick öffnete und sie von einer Anhöhe den Fluss erkennen konnten. Das Lokal lag etwas oberhalb der Mosel und passte sich harmonisch der hügeligen Landschaft an.
Überschwänglich begrüßte der Wirt seinen gern gesehenen Stammkunden samt Gast und offerierte zunächst den Aperitif des Hauses, einen Champagner mit einem Spritzer Holunderblütensirup, dazu ein dreiteiliges Amuse-Gueule, das seinen Namen alle Ehre machte.
Das Restaurant war bis auf dem letzten Platz besetzt. Im Gegensatz zu anderen Lokalen dieser Kategorie, in denen das Essen ehrfurchtsvoll und mit gedämpfter Lautstärke genossen wurde, herrschte hier eine ausgelassene Stimmung. Der Wein und andere geistreiche Getränke hatten bei einigen Gästen bereits für eine aufgelockerte Atmosphäre gesorgt. Man hörte, wie sich das helle Lachen der Frauen mit dem sonoren Gelächter einiger Herren mischte. Ein warmes Gefühl des Wohlbehagens durchströmte ihren Körper.

Von ihrem Tisch blickte sie auf die von den letzten diesigen Strahlen der Abendsonne beschienenen Mosel und auf die herbstlich gefärbten Weinberge. Es war wirklich schön hier. Sie hatte das Gefühl, Teil eines romantischen Gemäldes aus längst vergangenen Zeiten zu sein.
Der Maitre nannte ihnen die wenigen, aber exquisiten Gerichte seiner Abendkarte und sie entschieden sich beide für das Gleiche: Seesaibling-Croustillon auf Lachsschaum und als Hauptspeise einen mit Rosmarin gegrillten Seeteufel auf Spargelspitzen.
„Den Wein, wie immer?“ fragte augenzwinkernd der Wirt ihren Begleiter.
„Bien sur, wie immer!“

Die Vorspeise kam, die Hauptspeise folgte im angemessenen Abstand und danach wurde das kunstvoll arrangierte köstliche Dessert aufgetischt.
Er hatte nicht übertrieben. Das Essen war exquisit. Schon lange hatte sie nicht mehr so gut gegessen. Der Fisch frisch mit festem Fleisch. Der Koch ein Meister im Abschmecken. Der Service unaufdringlich aber ausgesprochen aufmerksam. Es gab nichts auszusetzen. Gutes Essen machte sie glücklich. Zufrieden lehnte sie sich zurück und betrachtete entspannt die heitere Szene. Den Cognac als Digestif hatte sie abgelehnt, denn das Beste in diesem Restaurant war der Wein. Ein echter Gaumenschmeichler und hemmungsloser Verführer. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen so guten Weißwein getrunken zu haben.
Sie hob das dritte Glas des erlesenen Moselrieslings zum Mund und ließ die letzten Tropfen bedächtig wie Perlen über ihre Zunge und den Gaumen gleiten. Dieser Wein war ein Zaubertrunk.

Nach dem Essen hatte sich der Wirt zu ihnen gesellt und fragte, wie es ihnen geschmeckt habe. Dabei schenkte er ihr noch ein Glas ein. Sie konnte nicht widerstehen. Diesen Wein konnte man nicht abschlagen. Aber sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er sie seltsam willenlos machte. Irritiert riss sie die Augen auf. Sie erinnerte sich gut daran, dass sie in ihrem Geschäftspartner noch bis vor kurzem einen nichtssagenden Langeweiler gesehen hatte. Warum nur fand sie ihn heute Abend so verführerisch. Selbst sein lichter werdendes Haar und das kleine Doppelkinn machten ihn für sie noch attraktiver. Fragend schaute sie ihn an. Er blickte intensiv und verlangend zurück. Ertappt senkte sie den Blick.
Was war nur heute los mit ihr? Sie hatte den verrückten Verdacht, dass man ihrem Wein ein Elixier, einen Liebestrank, beigemischt hatte, der ihr Gegenüber in einen begehrenswerten Mann verwandelt hatte und sie ihm nicht widerstehen konnte. Irgendetwas in ihr zog sie zu diesem Mann. Sie fühlte ihren Verstand aussetzen und war zutiefst irritiert über dieses eigenartige Verlangen, das sie beherrschte.


Verlegen drehte sie ihren Kopf in eine andere Richtung und schaute aus dem Fenster zum Fluss hinunter. Aber der Fluss war nicht mehr da! Der Fluss und alles drum herum waren in einem Meer aus dichtem Nebel versunken. Unbemerkt von ihnen hatte sich der weiße Dunst still und leise des Abends bemächtigt und das Haus in eine weiche, weißgraue Wolke gehüllt.

„Oh mein Gott, wie kommen wir zurück?“ Entsetzt blickte sie auf den alles verschlingenden Nebel.

Er warf einen Blick auf die undurchdringliche Masse vor dem Fenster und meinte lakonisch: „Bei diesem Nebel können wir nicht mit dem Auto fahren. Das wäre der pure Leichtsinn und absolut fahrlässig. Auf gar keinen Fall! Schließlich trage ich die Verantwortung für Sie.“
Freundlich schaute er sie an: „Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass unser Maître ein kleines Hotel nebenan bewirtschaftet? Er hat bestimmt noch ein Zimmer
für uns frei.“

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