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Die etwas andere Weihnachtsgeschichte

Von optik Dienstag 12.12.2023, 00:50

Es war in jener Zeit als zu jedem Haus neben einem Gemüsegarten auch noch das eine oder andere Nutztier gehalten wurde. Bei uns gehörten Hühnern, Kaninchen und unsere Liese mit zu unserer Kindheit. Eine weiße, recht gutmütige Ziege, die im Frühjahr und Sommer auf dem Grundstück an einem Baum angebunden vor sich hin graste und meckerte.
Liese lieferte jeden Tag ein kleine Menge Milch. Wir Kinder mochten allerdings das Getränk nicht sonderlich, es lag an dem etwas strengen Geschmack. Liese war ein genügsames und äußerst pflegeleichtes Tier. Doch jeweils, wenn die trüben Tage des Herbstes kamen und sie mehr im Keller bleiben musste, änderte sich ihr Gemütszustand. Sie wurde eigenartig unruhig, meckerte ununterbrochen sobald sich jemand ihrem Strohlager näherte, schwänzelte aufgeregt und verhielt sich total blöde! Selbst beim Melken hatte Mutti ihre Schwierigkeit dem sonst so ruhigen Tier die Milch abzutrotzen. Wieder einmal kam unsere Mutti zu der Überzeugung; „Liese muss zum Bock“. Was sich hinter dem brünstigen Verlangen unserer Ziege verbarg, interessierte uns Kinder damals nicht. Am Rande erwähnt war der Hinweis wichtiger, dass wir im kommenden Frühjahr mit ein-zwei Lämmchen rechnen konnten. Grundgedanke natürlich auch, dass sie dann später irgendwann unseren Mittagstisch bereichern sollten. Damals kam der Hirte auch noch zu Hausschlachtungen. Es war im späten Herbst und Mutti hatte mit den Vorbereitungen für den Winter und das Weihnachtsfest begonnen, als sich unsere Liese tagelang wieder einmal total außer Rand und Band gebärdete. "Morgen Nachmittag gehen wir in den Nachbarort" entschied Mutti. Um die Mittagszeit zogen wir los. Mutti führte Liese an einem handlichen Strick, wir vier Kinder trotteten mit. Neben dem Ziegenbock, führten wir in einfachen Rucksäcken das schadhaft gewordene Schuhwerk der Familie mit. Bei Mutti wurde stets das Nützliche mit dem Notwendigen verbunden. Zu allem Unglück setzte an diesem Tage der erste Schneefall ein und zwischen den Orten wurde der Weg langsam beschwerlich matschig. Im drei Kilometer entfernten Zielort angekommen geleiteten wir Liese in den warmen Stall zu ihrem Galan, wobei wir Kinder murrten: "Die darf sich nun ausruhen". Ohne Ziege marschierten wir zurück in den Ortskern zum Schuster um dort die Rucksäcke zu entleeren. Dann ging es noch rasch zu einer Bekannten die uns mit allerlei wichtigen Dingen bedachte. Die Rucksäcke wurden wieder gefüllt. Es begann schon zu dunkeln als wir unsere Liese abholten und den Rückweg antraten. Während wir Zweibeiner nun schnell nach Hause wollten, verhielt sich unsere Liese vom Schnee oder den eben erlebten amourösen Stunden sehr seltsam. Sie war störrisch, schlich, bockte rum, trottete langsam und träge. Sie wollte einfach nicht wie wir es dachten und machte ihrem Namen "Zicke" alle Ehre. Wir schoben sie, wir lockten sie, mussten sie immer wieder mit regelrechten Kraftaktionen wuchten. Unsere Liese muckte. Der Weg wurde lang und immer länger, der Schneefall immer stärker und wir steckten in Nöten mit der Ziege. Die Flocken wirbelten auf unsere Liese die wir in der Dunkelheit, teilweise nur an ihren erregt wütend bockenden Kopfbewegungen erkennen konnten, mit dem sie ihrem Unmut über die Situation zeigte. Auf halber Wegstrecke, blieb sie dann endgültig im frischen Schnee liegen. Stur und stupide, regelrecht erbost blickte sie ins Dunkel. Sie ignorierte uns und blieb teilnahmslos ohne Regung. Inmitten des Schneegestöbers, vollkommen hilflos kamen wir uns wie die heilige Familie aus der Weihnachtsgeschichte vor. Wir bekamen kalte Füße, jammerten, klagten um die Wette und standen ratlos um das störrische Tier herum. "Und wenn man denkt es geht nicht mehr", es wurde wirklich in der Ferne ein Lichtlein sichtbar. In dem Schneetreiben näherte sich langsam ein Lastwagen. Der Wagen hielt und der Fahrer hatte, ob nun mit uns oder mit der Ziege, Erbarmen. Mit vereinter Kraft hoben wir das Tier auf die Ladefläche. Wir Kinder kletterten hinterher und nahmen neben Liese Platz. Wir wurden zusammen nach Hause gefahren. Wir hatten noch lange Jahre viel Freude mit unserer Liese, aber irgendwie blieb das Erlebnis für uns Kinder bis heute unsere eigene besondere Weihnachtsgeschichte.

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