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Das Ende eines Lappens

Von optik Dienstag 13.02.2024, 19:40

Gelegentlich hört man von einem Paar, das sich tatsächlich vor oder nach der Silberhochzeit getrennt hat und -man wundert sich. Das solches auch in der zeitlichen Nähe einer Goldenen Hochzeit geschieht, ist wohl ganz, ganz selten. Und doch ist es mir passiert. Dabei ging es allerdings nicht um einen Partner, sondern ganz schlicht um die Erlaubnis zum Fahren eines Kraftfahrzeuges.
Eigentlich hatte ich angenommen, mein Führerschein würde mich bis an mein Lebensende begleiten. Wohlbehütet hatte er 49 Jahre und elf Tage in einer meiner zahlreichen Handtaschen geruht. Kaum jemand hatte nach ihm gefragt, kaum jemand wollte ihn sehen. Er war wie ein treuer, stiller unaufdringlicher Freund und Vertrauter stets im Hintergrund geblieben. In seiner grau-beigen Farbe und von textiler Struktur passte er einmal gefaltet in die Brieftasche, leider nicht in ein handelsübliches Portemonnaie. Im Verlaufe seiner Lebensdauer war er, trotz der Schonung, nun doch schon etwas „abgewetzt“ und schließlich zu einem „alten Lappen“ heruntergekommen.
Dabei hatte es doch dereinst einmal so viel Mühe und sogar Verdruss bedeutet, ihn überhaupt zu bekommen. Zurückblickend erinnere ich mich an zahllose bedrückende Stunden und teils erniedrigende Momente, bis das ich ihn endlich in den Händen hielt. Das Ganze ist nun schon eine halbe Ewigkeit her.
Für mich, die ich mit dem Bus fuhr, eine Kreuzung mit dem fließenden Fahrzeugverkehr damals ein verwirrender Ort des Grauens. „Das lernst du nie, dich hier zurecht zu finden“, so meine Gedanken. Sie waren wohl auch durch das Führerscheindebakel meiner Lehrmeisterin bestärkt. Sie hatte gleich mehrere Anläufe gewagt und war dann dreimal durch die Prüfungen „gerasselt“. Dabei hatte sie gleich vier Fahrschulen nebst einigen Fahrlehrern verschlissen. Ein „Idiotentest“ wäre ihr als letzte Alternative vor der endgültigen Kapitulation geblieben. Sie verzichtete schließlich gänzlich auf ein eigenes Auto und setzte sich nie mehr ans Steuer.
„Ich mache den Führerschein“, frohlockte ein paar Jahre später eine Kollegin, „komm doch mit“. Spontan und ohne lange Überlegungen war ich dabei. Nach ersten Stunden machte das Fahren richtig Spaß und Freude, -einstigen Sorgen und Bedenken waren vergessen. Mit einem Bundeswehr-Fahrlehrer übte ich Anfahren, Einparken und die Rechts-vor links-Regelungen und vor dem Jahreswechsel meinte er, er werde mich zur Prüfung nach den Feiertagen vorschlagen.
Frohen Mutes sah ich den letzten anstehenden Übungsstunden entgegen, die selbstverständlich der „Chef“ übernahm. Und plötzlich verstand ich die Welt nicht mehr! Alles was ich bisher gut beherrschte und worin ich mich sicher fühlte, waren für ihn eine Katastrophe. In seinen Augen machte ich alles falsch und dies drückte die die Stimmung vollkommend nieder. Teilweise sah ich mich schon wie einst meine Meisterin einer bedingungslosen Kapitulation nahe. Je näher der Prüfungstag kam, desto nervöser, zappeliger und aufgeregter wurde ich.
Der 12. Februar 1971 war ein milder Wintertag. Die Straßen waren gut befahrbar und Schneefrei. Die Prüfung dauerte nicht lange, denn ich brauchte an diesem Tag meine erlernten Fähigkeiten gar nicht erst unter Beweis stellen, ich war schon in der Theorie durchgefallen.
Elend und jämmerlich heulend fuhr ich per Zug zurück., suchte bei einer Freundin erst einmal Trost. „Was hat sie denn? Was fehlt ihr?“, fragte ihr Bruder mitleidig. „Sie ist beim Führerschein durchgefallen“, antwortete sie. „Ach sooo! Wenn´s weiter nichts ist!“
Meine Aufregung und ein stetes Erschrecken hielten jedoch an, wenn ich an die nächsten Fahrstunden dachte. Ich bekam Hautausschlag, ich konnte kaum noch schlafen, das Innerstes meines Magens drehte sich um und meine Gedanken waren nur noch auf den entsetzlichen Fahrlehrer fixiert.
Es wurde Frühling. Anfang Mai sollte die zweite Prüfung stattfinden.
Niederträchtig, eher sadistisch, wie ich ihn empfand, hatte jener Chef dann auch noch eine weitere Bosheit für mich parat. In der letzten Stunde vor der Prüfung übte er mit mir auf einem Sportplatz intensiv „Kurven fahren“. Ich musste zigmal und völlig sinnlos das Sportgelände umkreisen, während er sich mürrisch, kaum aufblickend mit irgendwelchen, auf seinen Knieen liegenden, Schriftstücken beschäftigte.
Es war am 17. Mai 1971. Zuhause hatte ich mich morgens unter dem Vorwand verabschiedet, ich müsse ganz früh zum Zahnarzt. Niemand sollte an einer erneuten, im Inneren schon feststehenden Niederlage teilhaben. In Wirklichkeit fuhr ich zeitig per Zug zur Prüfung.
Nach der erfolgreichen schriftlichen Prüfung, kam dann die zweite Hürde. Ich durfte fahren und bekam schließlich dank einer ruhigen Fahrweise von einem durchaus netten Prüfer den mühsam erworben Schein ausgehändigt. Dankbar schüttelte ich dem Prüfer die Hand. um mich ganz schnell vom Ort des Schreckens zu entfernen. Es gelang nicht. Der Chef, dem ich an diesem Tage keinerlei Beachtung schenkte, ihn ja fast schon übersehen hatte, rief mich zurück um mir den Rat zu geben: „Kaufen sie sich ein Fahrrad, niemals ein Auto! Fahren lernen Sie nie“.
Seit inzwischen fünfzig Jahren sitze ich nun beinahe unfallfrei am Steuer und habe damit sicherlich bewiesen, doch ein Auto fahren zu können. Eigentlich wollte ich den Führerschein bis an mein Lebensende behalten. Aber durch neue Gesetze ist er nur noch bis zum 19. Januar 2033 gültig und muss spätestens dann gegen eine jetzt übliche Karte umgetauscht werden. Falls ich ihn dann aber erst umtausche, muss ich vielleicht wegen einer neuen Bestimmung einen Fahrtest oder sonst eine Garstigkeit absolvieren Wer weiß?....?
Jedenfalls habe ich meinen wertvollen und gut behüteten „Lappen“ kurz vor dem Goldjubiläum gegen eine Karte getauscht. Meinen alten Lappen werde ich aber weiter in erinnerungswürdigen Ehren halten.

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