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Der neue Herr Graf

Von Plapparella Samstag 27.01.2024, 20:28 – geändert 28.01.2024, 15:49

Als wir das Schloss erreichten, war es früher Nachmittag. Thomas erzählte uns von den Puppenmöbeln aus Zinn, mit denen er und die Kinder des Grafen damals gespielt hatten.
„Aber die Familie gibt es nicht mehr. Wer jetzt wohl in dem Schloss lebt?“
Anders als ein paar Jahre zuvor schien das Schloss wirklich bewohnt zu sein. Die Fassade war vom Efeu befreit und auch der Park sah aus, als hätte ihn jemand frisch geputzt. Auf einem Schuppendach saß rittlings ein Mann in blauer Latzhose und reparierte etwas.
„Gefällt Ihnen wohl, das Schlösschen, was?“, sprach er uns an.
„Als Kind habe ich darin mit den Kindern des Grafen gespielt“, teilte Thomas der Latzhose mit.
„Gehört jetzt mir“, erwiderte diese.
Wir staunten.
Der Schlossbesitzer legte sein Werkzeug weg und stieg vom Dach.
„Wollen Sie es sehen?“, fragte er barsch, den Blick auf Thomas gerichtet. „Kommen Sie mit.“
Wir drei trotteten hinter der Latzhose her. Ich nannte ihn im Geiste den neuen Grafen, obwohl er nicht so wirkte, als sei er adelig.
„Hab den Kasten hier gekauft und renoviert. Kann man mieten. Wollen Sie ein Zimmer?“
Wir verneinten und teilten ihm mit, dass wir waren bereits im Pfarrhaus unterbracht seien. Er führte uns durch seine frisch renovierten Räume. Beeindruckend.
„Kennen Sie das?“, fragte er vor jeder Tür, ohne Thomas‘ Antwort abzuwarten. Im Jagdzimmer das gleiche: „Na, was war das für ein Zimmer? Kennen Sie das auch?“
Wieder wartete er die Antwort nicht ab, aber diesmal trumpfte er auf. „Das können Sie gar nicht kennen, denn Kinder durften hier nicht rein.“
Thomas ging nicht darauf ein. Renate und ich blickten hilflos umher und nickten anerkennend der Holztäfelung zu. Wie man das eben so tut, wenn man in einem Schloss steht und nicht weiß, was man sagen soll. Chic war es ja nun wirklich geworden und eine Menge Geld hatte es sicher auch gekostet. Privates Geld und ebensolche Arbeitskraft.

Plötzlich stürmte der neue Graf zum Fenster und ergriff eine große Blumenvase mit angewelkten Sonnenblumen. Drei oder vier Blütenblätter fielen auf den edlen Teppich. Mein erster Impuls war, sie aufzuheben.
„Tür auf!“, schrie der neue Graf.
Zwar stand ich der Tür am nächsten, durch die er jetzt mit der Vase wollte, aber es ging mir gegen den Strich, mich herumkommandieren zu lassen. Schließlich öffnete ich die Tür doch – aus Höflichkeit, wie ich es für jeden Menschen getan hätte, der keine Hand frei hat.
„Ha!“, blaffte der Graf mich an. „Denken Sie, ich wäre zu einem Schloss gekommen, wenn ich keine Befehle erteilen könnte?“
Gut, er wollte eine Show abziehen. Jede Erwiderung war daher sinnlos. Aber die abgefallenen Blütenblätter aufzuheben, dazu konnte ich mich nicht überwinden.

*

Mir geht es nicht um Diskussionen für und wider Möchtegern-Grafen oder Mindestlöhnen, sondern um TEXTKRITIK! Ich dachte, dafür wäre diese Gruppe da.

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