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Leseprobe aus meinem neuen Buch -

Von Feierabend-Mitglied Mittwoch 13.03.2024, 09:59 – geändert Mittwoch 13.03.2024, 10:13

Kapitel in Arabien, Zeit vor ca. 200 Jahren - Der Tanz des Derwisch
(über eine kleine Rückmeldung von Dir freue ich mich)


..... Ich erkenne Mehare, die den Stoff hält, um einer weiteren Gestalt Eintritt zu gewähren. Vor Anspannung sitze ich kerzengerade. Wer mag das wohl sein?
Abdullah lässt sich neben mir auf dem Lager nieder. Diesmal blicke ich allerdings nicht zur Seite, da meine Neugierde erwacht ist und sich mein Blick auf die fremde Gestalt richtet. Ich vermag nicht zu sagen, nach wie vielen Monden ein fremder Mensch mein Zelt betritt.
Inzwischen erkenne ich eine Gestalt, die außerhalb des Lichtschimmers der Lampen auf dem Teppich kniet und sich verneigt. Als sich die Gestalt aufrichtet, sehe ich einen alten Mann vor uns stehen.
Sein Kopf ist von vielen Tüchern umschlungen, die sich kunstvoll hoch als Turban um eine kleine rote Kappe legen. Das Gesicht des Mannes ist mir nur kurz während der Begrüßung zugewandt. Sein Blick gilt ausschließlich Abdullah, sodass sich die Blicke unserer Augen nicht treffen. Sein Gewand ist lang und reicht bis auf die Teppiche. Dichte weiße Haare fallen lang über seinen Rücken. Ich betrachte sie ebenso staunend wie den langen weißen Bart, der nicht so füllig ist wie sein Kopfhaar und ihm lang über die Brust fällt.
Nach einer weiteren Geste der Verehrung und des Dankes richtet sich die Aufmerksamkeit des alten Mannes in eine Welt, die ich nicht sehen kann. Er schließt seine Augen und steht anscheinend tief in sich versunken vor uns.
Hinter ihm erscheinen drei Musikanten, deren Eintritt ins Zelt ich nicht bemerkte. Zwei von ihnen stellen mehrere kleine und größere Trommeln auf den Teppich und hocken sich dahinter. Der Dritte steht dem alten Mann seitlich jedoch in respektvollem Abstand gegenüber und beginnt mit beiden Händen kleine silberne Zimbeln zu schlagen. Sofort fügen sich die rhythmischen Töne der Trommeln ein und der Alte beginnt zu tanzen.
Sein Tanz beginnt mit einem Drehen um seinen eigenen Körper. Es bedarf nur weniger Augenblicke, in denen ich erkenne, dass dieses Drehen sein Tanz ist. Sein langes Gewand breitet sich aus und beginnt ebenfalls um seinen Körper zu tanzen. Erst noch in kleinen Wellen schwingt es leicht nach oben, um bald mit dem Drehen des Mannes glatter zu werde. Die Geschwindigkeit des Tanzes wird immer schneller und lässt die Formen des Tänzers zerfließen.
Die Hände der Trommler wirbeln auf und ab. Inzwischen liegen die Röcke des Tänzers einem glatten Teller gleich um die Mitte seines Körpers. Er dreht sich zu den Trommelschlägen, als wollte er nie wieder damit aufhören und ich kann meinen Blick nicht mehr lösen.

In selben Moment, da der Tänzer die Geschwindigkeit eines Wüstenwirbels erreicht hat, beginnt Abdullah leise zu mir zu sprechen:
„Das ist ein Derwisch! Der Derwisch tanzt einen heiligen Tanz, Fatmeh.“
Mit diesem Satz bestätigt er meine Vermutung. Ich hatte sofort das Empfinden, dass dieses eine religiöse Handlung ist.
„Sein Tanz besteht nur aus diesem Drehen. Es soll Derwische geben, die nicht mehr damit aufhören. Aber dieser hier tanzt nur eine gewisse Zeit für uns. Es ist sein Gastgeschenk für mich. Er wird für zwei Tage bleiben, dann zieht er mit der nächsten Karawane weiter.“
Abdullah berührt an dieser Stelle seiner Worte meine rechte Hand und ich wende kurz meinen Blick zu ihm. Sein Gesicht sieht sehr ernsthaft aus. Da die Trommelschläge immer lauter wirbeln, wird nun auch Abdullas Stimme lauter:
„Der Derwisch tanzt sein Gebet und ich möchte dich mit seinem Tanz erfreuen. Auch ich habe bisher noch niemals einen von ihnen tanzen sehen.“
Ich nicke ihm zu, dann nimmt mich wieder der wirbelnde Tanz des alten Mannes gefangen. Auch Abdullah hat seinen Blick wieder zu dem Derwisch zugewandt, so bin ich nicht unhöflich, da ich ihm keine Antwort gebe.
Die Gestalt des Derwischs bekommt immer mehr die Form einer seitenlosen Pyramide, denn sein unteres Gewand weitet sich an den Füßen nach außen. Ja, er wirkt indessen fast wie ein tanzender Wüstenwind, um dessen Mitte sich eine Scheibe dreht. Würde sich der tanzende Derwisch ob seiner Geschwindigkeit vom Boden erheben, so wäre ich sicher, dass er durch die Öffnung in der Mitte des Zeltdaches entschwände. Und wenn er ein heiliger Mann ist, wie Abdullah sagte, dann könnte er sich auf diese Weise bis zu Allah bewegen.
„Pfffff...!“- höre ich leise die Überraschung meinen Mund verlassen. Der Gedanke, dass die heiligen Männer auf diese Weise zu Allah gelangen können, ist einfach ungeheuerlich. Etwas zu sagen bin ich nicht in der Lage, denn eine weitere Bewegung nimmt meinen Blick gefangen. Des Derwischs Hände ergreifen soeben eine weitere Stoffbahn seines Gewandtes, die nun ebenfalls einem glatten Teller gleicht und sich als zweite Scheibe um die Mitte seines Körpers dreht.
Die Trommler schlagen leiser, fast sanft auf die Trommeln und die Zimbeln fügen sich andächtig in die Trommelklänge. Der Zimbelspieler bewegt seine Hände mit der Hingabe eines Musikers, der sich in seiner eigenen Musik verliert.
„Der obere Rock stell den Himmel dar und der untere die Erde“, flüstert Abdullah mir zu. Sein Mund ist nah an meinem Ohr. Ich kann die Wärme seines Atems spüren und ein Schauer läuft über meinen Rücken.
„Im Gebet des Tanzes bittet er Allah mit seinem Tanz den Himmel und die Erde zu verbinden und die Gläubigen von ihren Sünden zu befreien. Das Drehen bringt ihn näher zu Allah, denn eine besondere Energie wird dadurch frei, die den Geist des Derwischs erhebt.“
Mein Staunen wird immer größer. Gerade will ich daraufhin meine Stimme erheben, um Abdullah zu antworten, als plötzlich klagende Laute im Zelt ertönen. Sie schwingen sich auf und gewinnen an großer Fülle, dass ihr Klang in meinen Ohren schmerzt. Der Schlag der Trommler wird immer schneller und die Zimbeln ergänzen mit ihren hohen Tönen die spitzen Laute der Klage.
Ich beuge mich ein wenig nach vorn und erkenne jetzt, dass es der Zimbelspieler ist, der zu singen begonnen hat. Schmerzreich ruft nun seine Stimme Allah und bittet unter lautstarken Seufzern um Nachsicht. Des Sängers Stimme ist von großer Schönheit und klingt bald klagend, bald schmeichelnd. Seine Stimme ist wie süßes Gift und ich bin sicher, dass Allah ihn erhört.
Mein Blick wandert wieder zu dem tanzenden Derwisch, der gerade die Tücher löst, die um seinen Kopf gelegt sind. Eins nach dem anderen fällt am Tänzer vorbei zu Boden, nachdem dieser ein jedes in weitem Schwung von sich warf. Dann reckt der alte Mann mit schmerzlicher Geste seine Arme gen Himmel, während sein Haupt in den Nacken sinkt. Seine Haare fliegen heftig flatternd seinem Haupt hinterher. Der Wirbel des Tanzes hat sich nochmals beschleunigt. Seine Faszination ist derartig stark, dass ich versucht bin aufzuspringen, um seinem Sog zu entfliehen.
Die Stimme des Sängers scheint aus dessen tiefsten Seelengründen zu entspringen. Die Illusion ist derartig perfekt, dass ich augenblicklich die Gestalten vergesse, die sich noch hinter dem Tänzer befinden. Fast unerträglich schnell sind die Rhythmen, steigern sich nochmals, um dann plötzlich zu enden.

Der Derwisch steht still! Die Augen geschlossen, verneigt er sich tief. Vor wem ist von mir nicht zu ergründen, denn ohne eine Geste Abdullas abzuwarten, verlässt er das Zelt. Die Musiker folgen ihm, nachdem sie seine Tücher aufgehoben haben. Wie bei einem Spuk sind alle verschwunden.

Text und Bild: (c)Gabriele Ende

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