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Handgeschriebene Briefe aus dem Krieg

Von Feierabend-Mitglied Montag 04.03.2024, 16:55

Der an einen besonderen Menschen gerichtete Brief ist ein physisches Zeichen, ein Stück von einem selbst. Früher wurden Gedanken für Briefe sorgfältig ausgewählt und mit Würde ausgedrückt. Was können wir noch von den alten Briefschreibern lernen? Am 24. Mai 1844 verschickte Samuel Morse die erste telegrafische Nachricht der Welt. Damit veränderte er die menschliche Kommunikation grundlegend.

Die Verbindung von Elektrizität und menschlichem Erfindungsreichtum brachte als Nächstes das Telefon, danach das Internet. Im Jahr 2023 konnte ein Vater, der in den Vereinigten Staaten an seinem Esstisch sitzt, eine Taste auf der Tastatur drücken und seiner Tochter in Indien eine E-Mail schicken, die dort 0,2 Sekunden später ankommt.Jeder dieser Fortschritte hat die Notwendigkeit verringert, Nachrichten auf Papier zu schreiben und von Hand zuzustellen.

Vor weniger als 40 Jahren war es üblich, einen Brief im Briefkasten vorzufinden. Heute ist das eine Seltenheit, und die „Schneckenpost“, wie sie spöttisch genannt wird, steht kurz vor dem Aussterben. Aber zu welchem Preis? Hat die Geschwindigkeit, mit der wir unsere Gedanken und Gefühle schriftlich übermitteln, auch die Tiefe der Gedanken und Überlegungen verändert, die wir einst in einem handgeschriebenen Brief ausgedrückt haben? Aus früheren Zeiten existieren öffentliche und private Briefe, die viel über ihre Absender und ihre Zeit verraten.

Bei den Recherchen über unsere Familienwurzeln und der Kontaktaufnahme nach Jahrzehnten zu meinen 3 Halbgeschwistern bekam ich am Samstag ein Päckchen mit 35 handgeschriebenen Briefen. Lange Briefe, Postkarten, Feldpost aus dem Krieg und der britischen Kriegsgefangenschaft. Es sind Liebesbriefe meines Vaters an meine Mutter vor und während der Ehe aus den Jahren 1940-1947. Bei einem der vielen Umzüge hatte mein Halbbruder diese zusammengebundenen Briefe in einen Karton gepackt und sie in seinen Keller gestellt. Diesen Schatz hat er mir nun zukommen lassen. Mit Tränen in den Augen habe ich gestern ein wenig darin gelesen, und bin erschüttert, eine ganz neue Facette meines Vaters zu entdecken. Immer wieder musste ich den Schleier von meinen Augen wischen, soviel Liebe, Zärtlichkeit und Sehnsucht, Angst um meine Mutter, die mit 3 Kleinkindern im Krieg bei Oma wohnte und zuvor aus Posen mit diesen Kindern eine Woche bei .25 Grad unterwegs war.

Ich versuche behutsam, diese Gefühle meines Vaters mit der realen Erinnerung, die ich von ihm habe, in Verbindung zu bringen und es fällt mir schwer. Ich kenne ihn als überaus streng, gewalttätig, wir Kinder hatten immer Angst vor ihm und es konnte kein Vertrauen wachsen. Diese Briefe lassen eine Seite, eine Schwingung in ihm ahnen, die auch mich mit Liebe und Wärme erfüllt.

Jeder Mensch, der den Krieg mit all seinen Schrecken erlebt hat, geht anders damit um, er hat viele Menschen so verhärtet oder abgestumpft, dass wir als Nachkriegskinder unter den Traumata noch lange gelitten haben oder noch immer leiden. Ich bin so dankbar über diese Briefe, weil ich mehr verstehe, ihm vergeben und mich endlich mit Ihm versöhnen kann. Dieser Prozess wird auch in mir noch ein Weilchen dauern, er ist heilsam und am Ende ist Frieden.
@roshni


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