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Der nächtlicher Spaziergang

Von Feierabend-Mitglied 29.01.2023, 12:43


Sie traf ihn an einem sommerlichen Freitag, abends, als sie mal wieder in den geschlossenen Räumen nicht mehr aushalten konnte.
Die Strandpromenade war fast menschenleer. Nur ein paar Jogger ab und zu überholten sie oder kamen ihr entgegen. Die letzten Sonnenstrahlen badeten ausgiebig in dem kühlen Naß nach dem anstrengend heißen Tag.
Weit, hinter ihr spürte sie das Rauschen des Großstadtlebens. Anfang des Weekends, normal. Wie an jedem sommerlichen Freitag. Das ganze Volk, jung und alt, ergoß sich auf die Straßen, nach der arbeitsreichen Woche.
Diese Menschengemenge mochte sie nicht. Sie fühlte sich eingeengt, drohte zu ersticken. Deshalb verbrachte sie die Wochenenden und Feiertage meistens in der Wohnung, um den durch die Straßen fliessenden Menschenkaskaden aus dem Weg zu gehen.
Am Strand dagegen schon früh am Abend war relativ ruhig. Nur noch ein paar Pärchen genossen die letzten Sonnenstrahlen oder schmusten zu der maritimen Musik der Wellen.
Es lag überall viel Müll und die Abfallbehälter waren total überfüllt. Ein Zeichen dafür, dass hier noch vor ein paar Stunden eine echte „Strandbelagerung“ statt gefunden hat.
„Wie lange kann die Natur diesen Missbrauch noch aushalten“? - fragte sie sich tief besorgt.
Sie hat sich schon sehr früh für die Umweltfragen interessiert und sich ihren Beruf bewußt ausgesucht. Als Umweltschutzassistentin hatte sie große Hoffnungen, ja sogar Pläne, etwas zum Schutz der Pflanzen und der Tiere bewegen zu können. Die Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Man sieht es mit blossen Augen. Das steigende Konsum hinterlässt seine Spuren. Auch das enorme Menschen-und Warenwachstum, wie auch steigender Güteverkehr, sorgen für negative Einflüsse und sind Gift für die Natur.
Ihr war eines Tages bewußt, dass mit den kleinen Kompromissen dieser Kreis nicht durchbrochen werden kann. Die Natur verlangt von uns mehr Einsatz, weil wir die Grenzen schon längst überschritten haben. Eine kleine Nachbesserung ist nicht mehr imstande das zu kitten, was wir in Zuge der Industrialisierung kaputt gemacht haben. Das ganze System muss neu überdacht werden. So, wie bis jetzt, kann nicht mehr weiter laufen. Es bringt die Vorteile nur für die Wenigen, die die Fäden in der Hand krampfhaft halten. Nur Wachstum und Gewinn vor den Augen und ständiger Aufschwung im Hinterkopf, haben wir die vorhandenen Ressourcen längst aufgezehrt. Von der ungestillten Gier getrieben streben wir mit vollen Einsatz an die noch wenigen Restbestände dran zu kommen. Das verursacht enorme Schäden, die fatale Auswirkung auf die Menschheit haben könnten.
Wir entwickeln neue Methoden, setzen neue Prozesse in Gang, die jedoch nicht der ganzen Bevölkerung dienen. Am meisten profitiert davon die Elite. Die entstandenen Schäden begleichen größtenteils die kleinen Steuerzahler, in selten Fällen der Verursacher.
Ihren Beruf hat sie sich anders vorgestellt. Sie berät kleine und große Unternehmer und hat sich den Ruf „die Unbestechliche“ erarbeitet. Ihre „weiße Weste“ war vielen zu weiß und diese Herren wollten jetzt nichts mehr mit ihr zu tun haben. Sie ist einfach zu anstrengend für manche Manager. Durch extra Vergütungen und Prämien ließ sie sich nicht beeinflussen.
Sie wollte neutral bleiben und sich nicht erpressbar machen. In den letzten Monaten hat sie nur zwei kleine Aufträge bekommen.
„Was nun? Was soll ich machen“, fragte sie sich besorgt und fand keine Antworten
Sie zog ihre Sportschuhe aus. Wie wunderbar barfuß die Abendkühle und den feuchten Sand zwischen den Zähen zu spüren.
Im Gedanken versunken erreichte sie ein Strandteil, an dem Sand von Gras und kleinwüchsigen Sträuchern bedeckt war. Diesen Abschnitt des Ufers kannte sie überhaupt nicht. Meistens war er von irgendwelchen Jugendlichen beansprucht. Die pöbelten und feierten laut. Aber heute nicht. Eine wohltuende Ruhe kam ihr entgegen und sie wagte sich immer tiefer in diese „wilde“ Zone herein. Nein, sie hatte keine Bedenken. Die Leute feiern heute in der Stadt.
„Es ist wunderbare Gelegenheit endlich dieses Gelände zu erkunden“, dachte sie.
Die vermeintlich karge Landschaft, bei dem genauen Hinschauen, strotzte nur von der Vielfalt der Pflanzen. Viele Pflanzen waren ihr unbekannt. Sie machte ein paar Fotos mit dem Handy und versuchte manche Pflanzen mit den Namen zu versehen, indem sie Vergleiche aus dem Internet zog. Am schönsten fand sie die Stranddistel. Nicht, dass die Stachel ihr besonders angetan haben. Die blaugraue Farbe der Blätter und die kugelförmigen Blütenköpfe waren einfach nicht zu übersehen. Die ganze stachelige Erscheinung machte auf ihr eine Abwehrhaltung, als wollte sie ihr sagen, nur bis hierher und keinen Schritt weiter. Vorsichtig umkreiste sie die buschige Stelle. Plötzlich schreckte sie kurz auf. Unter den Disteln lag ein hellblauer Bündel. Sie sah sich um. Niemand war zu sehen. Vorsichtig näherte sie sich dem Krempel und zog ihn mit ihren nackten Fuß heraus.
„Jemand hat diese Kleidungsstücke sorgfältig gefaltet und gut versteckt“, fiel ihr sofort auf.
Sie zog vorsichtig mit zwei Finger-Methode an dem Stoff und rollte den Bündel auf. Aus der blaugrauen Hose fiel ihr ein Fernglas entgegen. Sie wollte gerade das empfindliche Gerät aufheben, um es von der möglichen Beschädigung zu schützen, als eine männliche Stimme hinter ihr rief;
“Halt, die Sachen gehören mir“.
Sie drehte sich um und zuerst erschrocken, dann aber der Komik der Situation folgend, vor Lachen kaum auf den Beinen sich haltend, schaute sie direkt in die Augen eines „Waldgottes“.
Da stand er. Nackt, nass, und atemlos, aber kein bisschen verlegen oder beschämt. Nun ja, mit dem Hirtengott könnte man ihn niemals vergleichen. Ihm fehlte der gekrümmte Hirtenstab und auch die berühmte siebenröhrige Panflöte. Aus allen Poren seines Körpers tropfte das Wasser. Intuitiv, ohne zu überlegen, schnappte sie schnell ein Textilteil aus dem Bündel und warft ihm zu.
Bis heute weiss sie nicht, was das war.
Ihr erster Gedanke war, nur noch schnell weg.
Der Fremde hat wahrscheinlich ihr Vorhaben erraten, versperrte ihr den Weg und sagte höflich:
„Ich denke, Sie schulden mir eine Erklärung“!
Gedankenchaos machte sich in ihrem Kopf breit. Stottern versuchte sie die Situation zu erklären. Erstart vor Angst stand sie da, wie eingewurzelt und der Fremde kam immer näher. Mit dem Stoff in der linken Hand bedeckte er seine Blöße, die rechte Hand streckend stellte er sich lächelnd vor:
„Kasimir, Kasimir Przyzwoity“, leidenschaftlicher Nudist und Ornithologe. Gute Freunde und Familie nennen mich Kazio. Das dürfen Sie auch“, fügte er entspannt hinzu.
Reflexartig, noch etwas verwirrt, stammelte sie ihren Vornamen. Für mehr war sie gerade nicht imstande.
„Hm Renate, gefällt mir, sogar sehr. Darf ich Sie Reni nennen? Immerhin sind dann nur zwei Silben, wie bei Kazio“, stellte er fest.
Seine Stimme war ruhig und angenehm. Fieberhaft versuchte sie im Kopf die Fluchtwege zu entwerfen. Ihr Herz hörte nicht auf zu pochen und war offensichtlich nicht im Einklang mit dem Kopf.
Innerlich hat sie sich schon gegen die Flucht entschieden. Nur in ihrem Kopf haderte sie noch mit der Entscheidung. Während sie Kämpfe mit den Gedankenflut führte, redete er freundlich weiter:
„Erlauben Sie mir Reni, dass ich mich zuerst vollständig ankleide, es ist schon etwas kühl geworden. Ich möchte Ihnen gleich etwas zeigen, was Sie bestimmt entzückt. Hier bitte, ein Spektiv für Sie. Ich nehme lieber mein Fernglas“.
Als wäre das selbstverständlich drücke er ihr ein Langrohr in die Hand und legte ihr nah, die Schuhe anzuziehen.
„Der Weg ist recht steinig und wir müssen uns beeilen. Bald wird zu dunkel, um irgendwas noch zu erkennen. Ich schlage vor, als Wegführer zu fungieren. Halten Sie sich dicht an meinen Fersen. Es ist nicht weit. Und bitte merken Sie sich, wenn ich die linke Hand hoch hebe, dann bitte keine Bewegung, keine Gerede, kein Schritt, nur das Atmen nicht vergessen“, mit einem sympathischen Lächeln beendete er seine Belehrung.
Es war schon sehr spät, etwas gegen Mitternacht. Der Strand war menschenleer und von den zunehmenden Mond spärlich beleuchtet. Der alte Geselle war nicht allein auf der nächtlichen Wanderung. Überrascht hat er auf einem Strand zwei Gestalten entdeckt. Sie wanderten barfuß und Händchen haltend. Er wunderte sich sehr, aber… wer kann schon die Verliebten verstehen?

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