Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

15 8

AUF DEM JUNGFERNSPRUNG

Von egalis Dienstag 04.08.2020, 21:31

Letztens hatte ich berichtet, wie ich durch das Mitwirken von Erich – einem jungen Mann aus einer Gruppe Mitkurender, der ich mich angeschlossen hatte – zur Rosenkönigin von Rappenau gewählt wurde. Auch was ich danach erlebte, habe ich diesem jungen Pforzheimer zu verdanken. Seine Frau (auch eine Elke) hatte uns ihren Geländewagen zur Verfügung gestellt, so dass wir – mit Erlaubnis unseres Klinikarztes – unser Königsein ausnutzen und durch die Gegend fahren konnten.
Dann waren wir in Dahn gelandet, einem alten, kleinen Städtchen, nahe der elsässischen Grenze, und standen vor dem steil aufragenden Felsen des Jungfernsprunges.
Im Mittelalter war hier für ein junges Mädchen die Welt zusammengebrochen, als es erfahren musste, dass der Liebste ihm untreu geworden war.
Sie sprang vom Felsen in den Tod.

„Komm,“ sagte Erich, „wir steigen rauf.“
Das Sonnenlicht flutete durch das Laubgehölz – die Blätter schimmerten in durchsichtigem Grün. Wo die warme Sonne auf den Waldboden traf, verdunstete die Feuchtigkeit in feinem Nebel, der zwischen den Baumstämmen aufstieg. Es mutete märchenhaft unwirklich an, vor allem mit der Geschichte der unglücklich Liebenden im Gedächtnis.
Sicher war sie den gleichen Weg gegangen wie wir jetzt, nur verzweifelt und blind vor Herzeleid.
In steilen Serpentinen führte der Pfad nach oben. Das letzte Stück kletterten wir durch Felsgestein.
Die Felsnase, von der der tragische Sprung erfolgte, ist jetzt eingezäunt von Maschendraht. Hoch genug, dass er nicht so ohne weiteres überklommen werden kann.
Wir hockten uns auf eine Felskante und überließen uns unseren Gedanken. Sahen hinunter, schwiegen und eine unglaubliche Stille nahm uns auf. Auf der anderen Seite des Tales zogen sich Bergrücken und Wälder der Pfalz hin und flimmerten im Sonnenlicht. Tief unter uns zog sich das Straßennetz der kleinen Ortschaft Dahn hin. Wie Ameisen kribbelte das Leben dort. Wir sahen die Autos, die winzigen Menschen und doch kam hier oben kein Laut an. Nichts weiter als das Summen der Insekten und ab und zu das zaghafte Ziepen eines Vogels aus dem Wald zu unseren Füßen. Eine Eidechse huschte über den Stein und blieb ruhig in der Sonne liegen. Schmetterlinge gaukelten über den vereinzelten Heidezweigen, die sich bis hier oben verirrt hatten. Und über allem dieser wolkenlose, riesige Himmel.

Schließlich hielt ich die Stille nicht mehr aus und erzählte meinem Mitwanderer von meinen Empfindungen:
Ich hatte den Eindruck, als säße ich unter einer gläsernen Käseglocke; als befände ich mich in einem ungeheuren Vakuum. Als sei das hier das Zentrum – das Auge eines Taifuns, wo es bekanntlich am windstillsten ist. Ein unerklärliches Unbehagen stellte sich unvermittelt bei mir ein. Als wenn diese uns umhüllende Schönheit plötzlich wie eine Seifenblase zerplatzen könnte. Ich hatte die Ahnung vom Kommen eines „Urknalls“.
Und wir sprachen über das, was draußen in der Welt vor sich ging, - lange nicht so ruhig wie hier.
Die schöne Stimmung war vorbei, das Leben hatte uns wieder.
Längst ist der Alltag wieder eingekehrt. Kriege erschüttern die Welt. Die Unruhen gehen weiter. Tagtäglich jagt eine Hiobsbotschaft die nächste.

Ich fühle mich längst aus der windstillen Mitte herausgerissen, spüre des Schicksals Damoklesschwert über mir und wie an einem Gummiband hüpfend, trifft die scharfe Spitze mal mehr, mal weniger in meine Welt.

Einige Jahre weiter hat das Gummiband nicht mehr gehalten und die Schwertspitze traf in mein Leben...

(c)Elke Bontjer-Dobertin

Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten

Mitglieder > Mitgliedergruppen > Kreativ Schreiben > Forum > AUF DEM JUNGFERNSPRUNG