Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

2 3

Wir saßen auf der Bombe

Von ehemaliges Mitglied Mittwoch 04.11.2020, 12:12


Es waren die letzten Tage des Krieges; ein Bombenangriff löste den anderen ab. Schon am 20. 2. 1945 hatte man unsere schöne Stadt mit einem stundenlangen Bombardement bedacht. Am 21. 2. 1945 wurden wir von 10.45 bis 15 Uhr erneut heimgesucht. Ich war, schon Kriegerwitwe, mit meiner Schwester in einem Nürnberger Industrieunternehmen tätig, in dem auch russische Kriegsgefangene beschäftigt wurden. Der Luftangriff war, wie am Tag vorher, entsetzlich. Unser großes Gebäude, in dem sich auch der Luftschutzkeller befand und in dem wir, ein großer Teil der Angestellten und die russischen Kriegsgefangenen, die während des Tages schlafen durften, weil sie Nachtschicht hatten, waren, erbebte immer wieder und drohte jeden Augenblick einzustürzen, um uns alle unter sich zu begraben. Die Hölle war los. Wir saßen nicht mehr auf Stühlen und Bänken, sondern hockten am Boden, die Köpfe eingezogen, keiner sprach ein Wort. Da fing ich allein laut zu beten an. Ich kam nicht weiter als „Maria, breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für uns daraus". Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Nur diesen Anruf habe ich immer wieder gebetet, immer wieder, immer wieder. Neue Flugzeugwellen kamen und luden ab, unser Haus hob und senkte sich wie ein Schiff auf hoher See, jeden Augenblick musste es passieren ... Es passierte nichts. Endlich um 15 Uhr war Entwarnung. Die Direktion befahl, die Frauen möchten noch im Keller bleiben, da vermutet wird, dass Blindgänger im Fabrikgelände sind. Mein Elternhaus befand sich nicht weit von unserem Arbeitsplatz. So ließen meine Schwester und ich uns nicht abhalten, wir wollten sehen, was mit den Eltern ist. Gott sei Dank hatten sie alles gut überstanden. (Wir hatten im Elternhaus noch eine Lourdes-Statue und Lourdes-Wasser, das mein Vater aus dem 1. Weltkrieg mit heimbrachte.) Aber auf dem Weg, nach den Eltern zu sehen, mußten wir feststellen, daß in dem Gebäude, in dem wir während des Luftangriffes saßen, zum Keller ein riesiger Trichter war. Was war passiert? Eine 10 Zentner-Bombe kam zwischen einem Schulhaus und einem Wohnhaus nieder, ohne Schaden anzurichten, bohrte sich bei uns in das Haus ein, riss Kanalisation und Leitungen auf, drückte eine schwere, eiserne Luftschutztüre, die fest verriegelt war, auf und blieb als Blindgänger dort stecken, wo wir saßen. Wir saßen also praktisch auf der Bombe. Der Feuerwerker, der die Bombe später entschärfte, stellte fest, dass sie soweit noch voll intakt war, nur das Leitwerk hatte sich etwas verbogen. Hier hat Maria mein Gebet für uns alle erhört und ihren Schutzmantel ausgebreitet. Ein Mann, der aus der Kirche ausgetreten war, hat damals zu mir gesagt, Sie haben uns das Leben gerettet. Was nicht ganz stimmt, denn nicht ich habe es gerettet, sondern die Muttergottes.


Aus dem Buch "Die schönsten Mariengeschichten"
von Stadtpfarrer Karl Maria Harrer, München

Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten

Mitglieder > Mitgliedergruppen > Glaube im Alltag > Forum > Wir saßen auf der Bombe