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In jenen schweren Tagen

Von ehemaliges Mitglied Dienstag 11.05.2021, 11:49


„Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen lässt, Horatio." An diesen Satz aus Hamlet von Shakespeare wird man unwillkürlich erinnert, wenn man den folgenden Erlebnisbericht liest. Während die übrigen Berichte der anonymen Gottsucher mehr schildern, wie sie zu Gott gekommen sind, warum sie glauben, warum sie zur Kirche halten, warum sie unter Umständen einen langen Weg zurück hatten, liegt hier ein Erlebnisbericht vor, der ein einmaliges Ereignis im Leben eines sehr gläubigen Menschen darstellt. Er ist ein Zeugnis für die Erfahrungstatsache, dass Gott die Seinen im Letzten nie im Stiche lässt.

Leser, die selbst einen tiefen Glauben haben, werden sich kaum darüber wundern, dass die Verfasserin ihre Hilfe durch die Gottesmutter bekam; denn der Glaube ist ja nicht nur ein dürres Gedanken- und Lehrgebäude, er ist Leben in Gott und mit Gott. Nun hat aber niemand eine solche Aufnahmefähigkeit für Gott mitgebracht wie Maria. Gott wollte nicht anders Mensch werden als durch sie. Glaubende Christen erinnern sich darum immer wieder gerne an das Wort Pius X.: „Maria ist der kürzeste, leichteste und beste Weg zu Christus." Doch hören wir nun den Bericht selbst:

Noch im letzten Kriegsjahr wurde ich als Luftwaffenhelferin eingezogen. Ich war 23 Jahre alt und wohnte in Oberschlesien. In den Tagen der Kapitulation im Mai 1945, als Deutschland total zerstört am Boden lag, befand ich mich in der Tschechoslowakei. Unsere Truppe war in alle Richtungen versprengt worden, und wir befanden uns auf der Flucht vor der russischen Besatzungsmacht. Die Nachricht vom Ende des Krieges erfuhren wir auf der Straße.
Da meine Heimat verloren war und ich nichts über meine Angehörigen wusste, wollte ich nach Dresden, um dort bei Bekannten unterzukommen. Doch überall auf den Straßen lauerte der Feind und die Angst vor der Gefangenschaft. Unsere deutschen Soldaten zogen wie gehetzte Tiere an uns vorbei. Wir — zwei deutsche Wehrmachtsangehörige und ich — flohen von einem Versteck ins andere. Wenn es uns nicht gelang, irgendwo für die Nacht ein Quartier zu erbetteln, kampierten wir im Wald.
Eines morgens machten wir uns wieder auf die Wanderschaft. Wir hatten die Grenze bereits überschritten und befanden uns schon auf deutschem Boden. Nachdem wir, wie üblich, genügend Erkundigungen über die Lage eingeholt hatten und man uns empfahl, den Ort zu umgehen, machten wir, um in die nächste Ortschaft zu gelangen, einen kleinen Umweg über einen in der Nähe liegenden Wald. Ich kann mich heute noch gut daran erinnern, dass wir an jenem Tag besonders froh gestimmt waren und uns sicherer als sonst fühlten. Vielleicht war es der besonders herrliche Frühlingsmorgen oder die Freude, mit jedem Tag unserem Ziel näher zu kommen.

Abgelenkt durch diese wenigen frohen Minuten, erschrak ich zu Tode, als plötzlich im Wald, wie aus dem Boden gestampft, in unmittelbarer Nähe von uns zwei russische Soldaten standen. Mit großen Schritten kamen sie auf uns zu. Ich war wie vom Schlag gerührt. Für mich gab es nur einen Gedanken: Jetzt sind wir verloren, es gibt keinen Ausweg mehr. Doch dieser Gedanke war noch nicht ausgedacht, er lässt sich überhaupt nicht schildern, was dann geschah: Blitzartig schrie ich ganz laut nach der Gottesmutter. So inständig habe ich in meinem ganzen Leben noch nie die Gottesmutter angerufen. War es eine Erscheinung — war es eine in meiner wahnsinnigen Verzweiflung angenommene Einbildung — ich weiß es nicht — ich sah jedenfalls in den Wolken ganz deutlich die Gottesmutter, fiel auf die Knie und betete. Was ich betete oder zu ihr gerufen habe, weiß ich heute nicht mehr. In dem Augenblick zerrte der eine russische Soldat an mir herum und verlangte mein Gepäck. Ich stand auf und öffnete zitternd meinen armseligen Rucksack. Auch das Gepäck der deutschen Soldaten wurde genauestens kontrolliert. Der zweite russische Soldat aber interessierte sich nicht für da Gepäck, sondern nur für mich. Er betastete mich von oben nach unten, dann schubste er mich vor. sich her, gab Anweisungen, dass ich vor ihm hergehen solle. Ich aber rührte mich nicht von der Stelle, sondern schaute flehentlich den anderen Russen an. Und nun geschah etwas Wunderbares. Zwischen den beiden russischen Soldaten kam es zu einem Streit. Wir verstanden zwar kein Wort, wussten aber, dass es dabei um mich ging. Der russische Soldat war außer sich, dass sein Kamerad nicht mitmachte, ja, dass er sich darüber hinaus sogar schützend vor mich stellte. Der Uniform nach entnahm ich, dass dieser, welcher mich beschützte, der Ranghöhere war, jener musste sich also fügen. Es wurden noch heiße Worte zwischen den beiden gewechselt, dann gingen sie fort.

In der Nähe stand ein großer Stein. Ich schleppte mich die paar Schritte mühsam dorthin, um mich dann darauf zu setzen und auszuruhen. Meine Beine schlotterten wie Espenlaub, meine Füße waren schwer wie Blei. Einer meiner Begleiter, ein junger ehemaliger Unteroffizier, war es, der als erster ein Wort heraus brachte. Er sagte: „Was müssen Sie in Ihrem bisherigen Leben für ein gottgefälliges Leben geführt haben, dass Ihnen die Gottesmutter so geholfen hat. Ich bin kein großer Kirchgänger, doch das eine gelobe ich in dieser Stunde: wenn ich heil und gesund aus dieser Hölle herauskomme, dann werde ich als Dank eine Wallfahrt zur Gottesmutter halten an irgendeinen bekannten Wallfahrtsort."
Wir kamen heil und gesund aus dieser Hölle heraus. Ich habe später nie mehr etwas von diesem jungen Offizier gehört, aber ich bin überzeugt, dass er sein Gelöbnis gehalten haben wird. Wenn mich in meinem späteren Leben dunkle Stunden umgaben, wenn ich Schicksalsschläge zu tragen hatte und glaubte, nicht mit diesen fertig zu werden, dann dachte ich an jene Stunden des Monats Mai im Jahre 1945, und plötzlich ging es wieder bergauf.

E. W.

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