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Die verspätete Wallfahrt

Von ehemaliges Mitglied Montag 17.05.2021, 10:10


Es war im Sommer 1966. Ich verbrachte meine Semesterferien in München, indem ich an meiner Zulassungsarbeit schrieb und mich auf mein Examen im darauf folgenden Frühjahr vorbereitete. Ende September musste ich mich ziemlich unerwartet einer Weisheitszahnoperation unterziehen, an die ich noch lange denken sollte. Nach dem ärztlichen Eingriff nahmen die Zahnschmerzen wider Erwarten stark zu. Schmerzstillende Medikamente blieben wirkungslos. Nach Ansicht meines Zahnarztes sollte schließlich ein Morphiumpräparat helfen. Als ich das Rezept in meiner Apotheke vorlegte, zeigte sich der Apotheker beim Anblick meines vor Schmerz entstellten Gesichtes verwundert und fragte mich, wozu jenes Medikament dienen sollte. Ich zeigte auf meinen Mund, während eine Bekannte, die mich mit ihrem Auto hierher gefahren hatte, ihm den Sachverhalt näher erklärte. Er ließ sich alsdann meinen Rachen zeigen und entdeckte einen Rachenabszeß, den kurz zuvor der Zahnarzt nicht erkannt hatte. Der Apotheker ergriff sofort die Initiative und sorgte dafür, dass ich sofort zu einer Operation in die Kieferklinik der Universität München eingewiesen werden konnte. Die Operation verlief gut und nach drei Wochen konnte ich in mein Studentenheim zurückkehren. Gesund war ich allerdings noch nicht, denn seit jenen Tagen plagten mich ständig mehr oder weniger starke Kopfschmerzen. Ich hoffte anfangs auf eine baldige Besserung, denn schließlich galt es, das neue Semester, die Zulassungsarbeit und das Examen im Frühjahr gut zu bewältigen. Aber so sehr ich mir die vollständige Genesung auch wünschte, sie blieb aus. Eingehende ärztliche Untersuchungen und kostspielige Behandlungen brachten keine Wende.

Die Kopfschmerzen machten mir den studentischen Alltag schwer, zumal keine längere Konzentration möglich war, und ich rasch ermüdete. Dennoch verzagte ich nicht und probierte allerlei Lerntechniken aus, über die ich früher vielleicht gelacht hätte. Darüber hinaus fand ich eine Quelle der Hoffnung im Gebet, indem ich mich vertrauensvoll an meine Lieblingsheiligen wandte: an die Muttergottes, den heiligen Josef und den heiligen Judas Thaddäus. Die Monate vergingen. Ich verschob zwangsläufig meinen Examenstermin um ein halbes Jahr. Gleichzeitig versprach ich aber der Muttergottes, falls ich in jenem Jahr meine Studien erfolgreich beenden würde, zu Fuß von München nach Altötting zu wallfahren. Meine Freundin, d.h. meine spätere Frau, versprach zur Unterstützung meines Anliegens das gleiche.
Inzwischen zeigte das Kalenderblatt den 15. September 1967, den Tag der Sieben Schmerzen Mariens. Zwei Ereignisse bestimmten von da an die Erinnerung. Am Morgen erfuhr ich, dass mein Schwiegervater überraschend in einer Münchener Klinik gestorben war. Zum anderen verlor ich von einem auf den anderen Tag meine heimtückischen Kopfschmerzen. Die letzten Wochen vor dem Examen konnte ich noch optimal nützen. Gott war auf die Fürsprache meiner Lieblingsheiligen eingegangen. So bestand ich auch das erste und zwei Jahre später das zweite Staatsexamen mit gutem Erfolg. Mein einstiges Versprechen war in der Folgezeit nicht mehr so aktuell, so dass ich mich nur mit einem schwachen Engagement um die Realisierung der Wallfahrt bemühte. Das war mehr als eine Treulosigkeit. Als nach fast sechs Jahren meine 1968 eingegangene Ehe noch immer kinderlos geblieben war, sagte eines Tages meine Frau zu mir: „Wir müssen unbedingt unser altes Versprechen einlösen, bevor wir Gott einen weiteren Wunsch vortragen." Das gab mir zu denken, zumal mich mein Gewissen ernsthaft mahnte.
Im März 1974 erfuhr ich mehr oder weniger zufällig die Anschrift der Organisationsleitung für die Fußwallfahrt »München-Altölung«, die die Legio Mariens jeden Jahr mit weit mehr als 1000 Personen über das Pfingstwochenende veranstaltet. Leider sollte es in jenem Jahr zunächst nicht möglich sein, an der Wallfahrt teilzunehmen. Die Quartiere für die drei bzw. viertägige Wallfahrt — man geht in mehreren Gruppen — waren inzwischen vergeben. Die Organisationsleitung empfahl uns daher, im nächsten Jahr die Meldung rechtzeitiger vorzunehmen, dann würde unser Wunsch sicher erfüllt werden können. Das bedeutete uns ein wenig Trost.

Am Sonntag vor Pfingsten erhielten wir jedoch einen überraschenden Anruf aus München. Fräulein Zimmerer, die Leiterin der Wallfahrt, benachrichtigte uns, dass ein Ehepaar plötzlich die Wallfahrt hätte absagen müssen, und wir dessen Plätze nunmehr einnehmen könnten. Ganz beglückt sagten wir sofort zu. Wer hätte das gedacht? Wir durften dabei sein.
Unsere Wallfahrt stellten wir vornehmlich unter den Gedanken, der Gottesmutter für die vor Jahren erwiesene Gnade gemäß unserem Versprechen zu danken. Innerlich beschämt, wagten wir nur zaghaft um eine weitere Gnade, um den Kindersegen, zu bitten. Hatten wir überhaupt noch ein Recht dazu? Die Wallfahrt selbst empfanden wir alsbald als ein Geschenk des Himmels, das nur der zu schätzen weiß, der sie einmal mitgemacht hat. Alle echten Freuden, aber auch alle Probleme und Sorgen ließen sich so leicht dem Herrgott und der Muttergottes erzählen. Bedrückung wich, Freude und ein Gefühl der Dankbarkeit ergriff unsere Herzen. Am letzten Tag der Wallfahrt ereignete sich eine wohl unglaubliche Begebenheit. Eine uns bis dahin unbekannte ältere Dame aus dem Kreis der Pilger trat auf meine Frau zu und sagte ihr völlig unvermittelt, jedoch bestimmt: „Im nächsten Jahr haben Sie ein Baby, glauben Sie es mir! Die Muttergottes wird Ihnen helfen." Sollten wir das glauben? Schließlich hatten wir doch genügend Gründe, bescheiden zu sein. Wir ließen die Sache auf sich beruhen. Zufrieden beendeten wir unsere Pilgerreise in Altölung und nahmen uns vor, nach Möglichkeit bis zu unserem Lebensende jedes Jahr die Muttergottes mit dieser Fußwallfahrt zu beehren, übrigens unabhängig davon, ob unser Gebet um Kindersegen je erhört würde.

Doch was geschah? Neuneinhalb Monate später hatten wir das ersehnte Geschenk: unseren Marcel, dem zwei Jahre darauf noch unsere Jutta folgte. Unser gesamter Verwandten- und Bekanntenkreis war sprachlos. Wir aber hatten eine wundersame Erfahrung mit der Muttergottes gemacht:

„Drum ruf' ich beharrlich in Kreuz und in Leid:
Maria hilft immer, sie hilft jederzeit.
Ich ruf' voll Vertrauen in Leiden und Tod,
Maria hilft immer, in jeglicher Not.
So glaub' ich und lebe und sterbe darauf:
Maria hilft mir in den Himmel hinauf."

B. B.

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