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Die Gnadenmutter von Altötting

Von ehemaliges Mitglied Samstag 07.11.2020, 10:36


Vor Jahren einmal stand ich am Waginger See vor einem Bildstock, einem so genannten Marterl. Ein frischer Wind schlug die Wellen mit kleinen weißen Schaumkronen ans Ufer. Auch das einfache Bild in dem rissigen Holzrahmen zeigte die gleiche Szene. Auf einem wildbewegten Wasser schwimmt ein kleines Schifflein wie eine Nussschale; zwei Menschen klammern sich an den Holzbord, ein Mann hebt flehend seine Hände zum Himmel.
Während ich noch verwundert die alte Schrift entzifferte, kam ein alter Bauer vorüber. Er lächelte mir zu. „Ich weiß es noch gut, wie es zu dem Bildstock gekommen ist. Wenn du mit mir gehen willst, kann ich dir alles erzählen!" Das hörte ich gern, und mit Freuden schloss ich mich dem Alten an. Er überlegte eine kleine Weile, dann begann er zu erzählen:

Es gibt wohl selten eine so dicke Freundschaft, wie sie der Maier Heinrich und der Obermaier Peter geschlossen hatten. Ihre besondere Leidenschaft aber galt den Tauben. Sie waren bald richtige und ernsthafte Taubenzüchter, und in den Taubenschlägen der zwei Nachbarhäuser herrschte immer ein frohes Taubenleben. Bald besuchten der Heinrich und der Peter alle Taubenmärkte weitum und brachten von manchen Ausstellungen schöne Preise heim. Es war an einem Sonntag im Juni, als in Waging großer Taubenmarkt abgehalten wurde. Früh am Morgen schritten Heinrich und Peter mit ihren Taubenkäfigen auf dem Rücken gegen den See zu. Der alte Fischer ruderte sonst immer die Leute hinüber nach Waging. Doch als die Freunde am Ufer standen, da schüttelte der alte Mann den Kopf. „Die Wolken gefallen mir heute nicht, und so schwül ist es schon am Morgen. Es kann leicht ein jäher Wind einfallen. Aber wenn ihr selber hinüberrudern wollt, ein Schiff kann ich euch geben!" Die Freunde überlegten ein Weilchen — aber der Taubenmarkt zog sie allzu sehr. Sie erwarteten wieder einen ersten Preis für das schönste Taubenpaar — was blieb da anders übrig, als doch hinüberzurudern? „Kommt wieder gut zurück in Gottes Namen!" rief ihnen der Fischer noch nach; dann stießen sie das Boot ab, und es glitt hinaus auf das unruhige, bleigraue Wasser.
Die Taubenkäfige stellten sie vorne an den Kiel des Schiffleins; die Vögel flatterten heute erschreckt hin und her. Aber die zwei starken Männer setzten sich an die Ruderbänke und ruderten hochgemut auf den offenen See hinaus.
Rasch kamen sie voran. Sie waren schon über die Mitte des Sees hinaus, da fegte der erste Windstoß über das Wasser hin. Die Wolken sanken ganz tief.,
Schneller, Peter, schneller!" keuchte Heinrich, und die Ruder bogen sich unter ihren Griffen. Das Wasser brauste auf, im Nu hoben die Wellen das Boot auf und ab. Ein neuer Wellenschlag übersprühte die Freunde, so dass sie plötzlich bis auf die Haut durchnässt waren. Die nächste Woge riss das Boot auf die Seite, und wie ein Sturzbach schoss das Wasser in das Schiff.

Verzweifelt drückten die Freunde die Ruder ein. Aber bald fühlten sie es, dass sie statt näher an das schon fast greifbare Ufer wieder zurück in den offenen See hinausgetrieben wurden.
Immer wieder drehte sich das leichte Schiff im Kreis herum, und wehe, wenn eine Welle längsseits kam! Einmal neigte sich das Boot hinüber, dass die zwei Männer mit einem erschreckten Ausruf auf die höhere Kante des Bootes herüber sprangen. In diesem Augenblick fasste ein neuer Sturmstoß die zwei Taubenkäfige und schleuderte sie hinaus auf das Wasser. „Unsere Preistauben!" rief noch der Peter, dann tauchten die eisernen Gitterkäfige mit den armen Tieren hinab in die aufgewühlten Fluten. Hilflos mussten die Freunde zusehen.

Der Sturm trug das Boot hinaus auf die Mitte des Sees. Die Freunde gaben es auf, gegen den Sturm anzurudern; sie suchten jetzt ihr Heil in einem starren Rudern mit den Wellen. Ein tosender Regen setzte ein, dass alle Ufer aus der Sicht verschwanden. Von dem Wasser im Boot sank das Schiff immer tiefer ein. „Heinrich, du musst schöpfen! Nimm deinen Hut!" rief Peter keuchend. So war nur einer noch zum Rudern, und das wilde Wasser wurde immer noch mehr Herr über das kreisende Boot. Heinrich kniete auf dem Boden des Schiffes im Wasser und schöpfte, schöpfte. Es wurde von Minute zu Minute mehr. "Wir erreichen das Ufer nicht mehr, wenn uns nicht ein Höherer hilft!" rief er mit einer jähen, unausweichlichen Erkenntnis. Peter hatte das gleiche gefühlt. In seine Arme sank es wie Blei von der übermenschlichen Anstrengung. Wenn er das Ruder losließ, dann wurde das kleine Boot vollends ein Spiel der Wellen, und die nächste hohe Woge schon konnte es umkippen! Ich kann — nicht — mehr!" stöhnte er verzweifelt und ließ das Ruder sinken. Heinrich wurde todbleich im Gesicht. Er sprang auf und griff nach dem Ruder, ehe es davonschwamm. „Schöpf du, Peter!" schrie er durch das Heulen des Sturmes und das Toben der Wellen. Ein Ruder brach splitternd; schon drehte sich das Boot im Kreise! Jetzt ist es vorbei!" fuhr es durch Heinrichs Seele. Und da kam es wie eine helle Eingebung über ihn, dass er das Gesicht nach Norden hin wandte, wo er die Gnadenkapelle von Altötting wusste. Mit lauter Stimme rief er in das Toben hinaus: „Heilige Mutter Gottes zu Altötting, steh uns bei in unserer großen Not!" Und Peter ließ den Hut sinken, erhob sich ebenfalls und stand nun frei im Boot. „Hilf uns, Maria, hilf uns!" und auch er faltete seine Hände.

Heinrich fühlte sich auf einmal leicht und erlöst. Nun mochte es so oder so kommen; er wollte sich ganz dreinfügen! Er hatte sich der Mutter Gottes anvertraut; er war auf einmal nicht mehr allein als armer, zagender Mensch! Er blickte auf Peter, und das Gebet des einen wirkte in dieser Nähe des Todes auch hinüber in die Seele des anderen. Sie waren sich einig wie noch nie zuvor.
Der Wind drehte sich plötzlich und ließ nach an Wucht. Die Wogen schlugen seltener in das Boot, das zwischen hohen Wasserrücken steuerlos dahin trieb. Ein grauer Strich tauchte nach einer langen Weile vor dem Kiel des Schiffes auf. Der Regen lichtete sich, und die Freunde erkannten, dass sie die ganze Länge des Sees hinab getrieben sein mussten. Das sandige Ufer tauchte aus der Tiefe herauf; ein ächzendes Schleifen des Bootes, dann kippte dieses von dem Wellendruck über und warf die Geretteten in das kaum metertiefe Wasser. Sie tappten sich mit erstarrten Gliedern an das Ufer. Jetzt erst fühlten sie ganz das Maß ihrer Erschöpfung und sanken zu Boden.
Als sie sich später erhoben, hatte sich der Sturm gelegt.
Die Wellen klatschten immer noch hoch an das Ufer; ein gleichförmiger Regen rieselte nieder. Kein Mensch war in der Nähe, und die zwei Freunde blickten wie erwachend um sich. „Wir leben noch — wer hat uns gerettet?" fragte einer den anderen. Seit dem Augenblick, da sie die Muttergottes von Altötting angerufen hatten, war Ruhe und Zuversicht in ihre Herzen gekommen. Sie fühlten, dass Mariens Fürbitte wundersam herübergewirkt hatte, als die Todgeweihten aus tiefstem Herzen gebetet hatten.

Peter atmete tief auf. „Wir wissen es für alle Zeit, wem wir unsere Rettung zu danken haben. Und von heute an will ich alle Jahre am ersten Sonntag im Juni eine Wallfahrt nach Altötting machen." Heinrich nickte. "Und ich will mit dir gehen, solange mich meine Füße tragen." Dann aber beschauten die Freunde die Stelle ihrer Rettung. Hundert Schritte außerhalb des kleinen Gehölzes führte die Straße vorbei. Sie fanden eine Stelle, wo sich zwei Wege kreuzten. „Hier stellen wir einen Bildstock auf zum Dank für unsere Rettung," so sagten sie. Sie merkten sich die Stelle gut; dann ging es heim zu ihren Lieben, die schon in tiefster Sorge waren. Es geschah alles, wie die Freunde beschlossen hatten. Ein Maler fand sich, der das furchtbare Erleben auf dem See darstellte, und der Bildstock wurde eingeweiht. Alle Jahre schritten die Freunde zur Wallfahrt nach Altötting, und jedes Mal war es den Freunden, als lächle die Muttergottes auf sie herab. Heinrich starb in hohem Alter, doch der Peter ging auch noch allein Jahr für Jahr auf Wallfahrt. Heute ruhen die zwei Freunde längst von ihrem Erdenleben im Friedhof aus, aber der Bildstock am See erzählt immer noch von der wunderbaren Rettung. So erzählte es der alte Bauer, und tief im Gedanken an die Freunde Heinrich und Peter schieden wir voneinander.

Franz Braumann

Aus dem Buch "Die schönsten Mariengeschichten"
von Stadtpfarrer Karl Maria Harrer, München

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