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Die getreue Jungfrau

Von ehemaliges Mitglied Mittwoch 28.10.2020, 09:03


Kaplan Brenner wurde zu einem Kranken gerufen. Rasch nahm er das Allerheiligste und das heilige Öl und eilte nach der bezeichneten Straße. Hausnummer 18. Während er nun prüfend die Häuser musterte, kam ihm ein Zweifel, ob es Nummer 28 oder 18 war. Da war schon das Haus Nummer 28. Er konnte sich nicht mehr klar werden. Sagte er sich, es sei 18 gewesen, dann schien eine Stimme in ihm zu behaupten, es sei Nummer 28. Er ging also aufs Geratewohl in das Haus Nummer 28. „Es wird sich schon finden, ob ein Sterbender dort wohnt oder nicht", sagte er zu sich selbst. „Finde ich keinen, so habe ic immer noch Zeit, im Hause Nummer 18 nachzusehen."

Er ging also in das Haus hinein und fragte unten, ob ein Schwerkranker hier wohne. Man schüttelte den Kopf. Niemand wusste davon. Im ersten Stock war alles geschlossen. Also höher hinauf. Auch im zweiten Stock war niemand etwas bekannt von einem Schwerkranken. Erst im dritten Stock zeigte ein Kind auf eine der Türen und sagte, dort wohne eine kranke Frau.

Der Kaplan klopfte leise an die bezeichnete Türe.
„Herein!"
Er trat ein und fand wirklich eine kranke Frau im Bett liegen Neben ihr einen Mann von etwa 50 Jahren, der ihn feindselig ansah.

„Sie haben mich gerufen", begann der Kaplan und zog seine freundlichsten Register. Denn er erwartete von diesem Blick nichts Gutes. „Nein, ich habe Sie nicht gerufen, wir brauchen Sie nicht. Bin so lange ohne die Pfaffen ausgekommen, werde auch weiterhin ohne sie fertig werden."

Diese unverschämte Antwort machte auch den Kaplan blitzig. Es zuckte ihm in allen Gliedern, den Kerl zu nehmen und ihn zum Fenster hinauszuwerfen. Wenigstens ihn vor die Türe zu setzen. Denn er war ein Mann von fast zwei Meter Höhe mit entsprechenden Kräften. Aber er besann sich noch rasch, dass er den Heiland bei sich trug. Dennoch klang es nicht sehr freundlich, als er den Menschen anfuhr:

„Können Sie nicht anständig sagen, was Sie zu sagen haben? Was habe ich Ihnen getan, dass Sie mir in dieser Weise entgegen treten?" „Ich hasse alle Pfaffen! Ist das nicht Grund genug?"

Kaplan Brenner ging gar nicht weiter auf seine Widerrede ein, sondern wandte sich zur Frau: „Ich fürchte, dass ich mich in de Hausnummer geirrt habe. Jetzt fällt mir ein, dass ich nach Haus Nummer 18 sollte. Aber ich glaube, dass Gottes Vorsehung mich zu Ihnen geführt hat; denn ich sehe, dass auch Sie mich brauchen."

Dankbar schaute die Frau ihn an und flüsterte mit schwacher Stimme: „O ja, ich danke Gott, dass er Sie hergeschickt hat! Es war mein einziger Wunsch, vor dem Sterben noch einen Priester zu bekommen. Der Tod ist nicht mehr ferne."

„Seit zwanzig Jahren hat kein Pfaffe das Haus betreten und soll es auch keiner jemals mehr betreten. Darum gehen Sie hinaus, und lassen Sie uns in Ruh! Wir können schon allein fertig werden", unterbrach sie der Mann mit hasserfüllter Stimme.
Tränen traten in die Augen der Sterbenden, die wie ein armes, hilfloses Kind die Arme dem Priester entgegenstreckte. Der machte nun nicht mehr viel Federlesens. Mit einer raschen Bewegung wandte er sich gegen den Mann und sagte:
„Woher nehmen Sie das Recht, Ihre Frau zu hindern, die Sterbesakramente zu empfangen? Ihre Seele gehört ihr allein, und sie allein ist dafür verantwortlich. Deshalb darf ich Sie wohl bitten, uns allein zu lassen, damit ihre Frau beichten kann."

Er blieb ruhig sitzen und brummte vor sich hin: „Hier ist mein Haus, und darin bin ich Herr. Machen Sie sich hinaus, sonst hole ich die Polizei und verklage Sie wegen Hausfriedensbruch."

Kaplan Brenner hatte für sein Temperament länger Geduld bewahrt, als ihm eigentlich möglich war. Dem Heiland zu lieb hatte er so lange an sich gehalten. Jetzt aber stand er da mit blitzenden Augen, seine Rechte hob sich und er zeigte nach der Tür, ohne ein Wort zu sagen. Und als der Mensch noch sitzen blieb, ging er auf ihn zu, als wollte er ihn mit Gewalt vor die Türe setzen. Da schlich sich der Feigling wie ein geprügelter Hund zur Türe hinaus, immerfort knurrend und schimpfend. Der Kaplan störte sich nicht mehr daran, sondern hörte die Beichte der Frau und gab ihr die hl. Wegzehrung. Als er fertig war, zeigte sie dem Geistlichen einen Rosenkranz und sagte mit gebrochener Stimme:

„Sehen Sie, dieser Rosenkranz hat mich gerettet. Seit fünfzehn Jahren habe ich aus Furcht vor meinem Manne die Religion verlassen, ging nicht mehr in die Kirche und nicht mehr zu den heiligen Sakramenten. Aber ich war dabei namenlos unglücklich. Er ist ein grausamer Tyrann, der mir keine Stunde Freiheit ließ, sondern mich wie eine Sklavin behandelte. Ich verzweifelte an Gott und an den Menschen. Eines nur tat ich immer noch. Jeden Tag betete ich ein Gesätzlein vom Rosenkranz, und ich bin fest davon überzeugt, das hat mich gerettet." Sie war ganz ruhig geworden, weil sie sich wieder als Kind Gottes fühlte. Der Kaplan sprach noch einige tröstende Worte zu ihr und eilte dann, um nach Haus Nummer 18 zu kommen, wo man gewiss auf ihn wartete.


Aus dem Buch "Die schönsten Mariengeschichten"
von Stadtpfarrer Karl Maria Harrer, München

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