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Das Marienbild

Von ehemaliges Mitglied Donnerstag 22.10.2020, 08:27


„Hübsch, sehr hübsch haben Sie es hier, Frau Waldner!" Der Gast, der sich eben noch prüfend umgesehen hatte, nickte beifällig mit dem Kopf. „Bei Ihnen muss man sich ja wohlfühlen. Aber nun sind wir doch mit der Hausbesichtigung fertig?"
„Beinahe", erwiderte die Hausfrau, „nur noch dieses Zimmer sollen Sie sehen." Mit diesen Worten öffnete sie eine hell gestrichene Tür; ein breiter, zweifenstriger Raum wurde sichtbar, offensichtlich das Schlafzimmer des Ehepaares Waldner.
Blendend weiße, gestärkte Gardinen hingen vor den Fenstern, die Balkontüre stand offen und gab den Blick über einen gepflegten Garten frei, an den sofort der Wald anschloss. Über den Betten hing ein Kreuz, darüber ein Marienbild: die Madonna mit dem Kind. Mit der Rechten hielt die Mutter das Knäblein umfangen, während die Linke einen rotwangigen Apfel umfasste, nach dem das Jesuskind zu greifen suchte. Ein Lächeln schwebte über den Zügen Unserer Lieben Frau, während ihr Kind, der Herr der Welt, zu jauchzen schien und sich eng an die Mutter drückte. Ein Bild war es, das keiner der Großen der Malkunst gefertigt hatte, — das aber den Beschauer ansprach.

„Sehen sie sich dieses Bild gut an", sagte Frau Waldner, „seine Geschichte ist nicht alltäglich."

Als die beiden ein halbes Stündchen später beisammen saßen, nahm die Gastgeberin den Faden wieder auf. „Dass wir jetzt so friedlich beisammen sitzen, erscheint mir immer wieder wie ein Wunder", begann sie. „Welch furchtbare Jahre haben wir hinter uns; und das Marienbild oben hat eine wichtige Roll gespielt. Sie wissen, dass 1945, nach Kriegsschluss, die Russen unser Gebiet überfluteten. Wohl kamen sie nicht, wie in Deutschland als Eroberer, sondern als Befreier; dennoch sahen wir den Einrückenden mit großer Beklemmung entgegen. Auch in unser Dorf kam russische Besatzung, und gerade unser Haus schien dem Kommandanten besonders zu gefallen, denn er bestimmte es zum Sitz der Kommandantur. An sich benahmen sich die Fremden ganz menschlich. Sie taten uns nichts zu leid und gestatteten es sogar — da unsere drei Kinder noch so klein waren —, dass wir die Küche und ein Zimmer behalten durften. Alle anderen Räume mussten wir freilich abgeben. Teppiche Möbel oder Bilder zu entfernen, wurde uns streng verboten.
In dieser Zeit war mir manches gleichgültig. Aber um unser Marienbild oben im Schlafzimmer bangte ich. Es war ein Erbstück meines Großvaters und seit langem in unserer Familie. Je den Tag pflegten wir davor zu beten, und schon die Kleinen grüßten ihre Himmelsmutter und falteten dort ihre Händchen.

Dass die Russen im Allgemeinen nicht sehr glaubensfreundlich eingestellt sind, war uns bekannt. Deshalb beschloss ich, beipassender Gelegenheit — und zwar so bald als möglich — das Gemälde zu entfernen und zu verstecken. Wahrscheinlich würden die Russen sein Fehlen gar nicht bemerken.
Der mir günstig erscheinende Zeitpunkt ergab sich bald. Ein Manöver fand statt, und alle Offiziere mussten daran teilnehmen. Kaum war die Luft rein, da stahl ich mich ins Schlafzimmer, holte das Bild von der Wand, verpackte es sorgfältig und versteckte es unter unseren Betten. An die Stelle hängte ich ein Landschaftsbild, das vorher in einer etwas dunklen Ecke unter der Treppe gehangen hatte. Dann wartete ich klopfenden Herzens auf das Wiederkommen der Russen. Ich hoffte sie würden den frommen Betrug nicht merken. Meinem Mann hatte ich nichts von meiner Tat erzählt, damit er unbefangen sei, wenn ihn jemand fragte.

Spät in der Nacht erwachte ich von einem fürchterlichen Lärm. Unsere „Untermieter" waren heimgekehrt und rannten mit Getöse über Treppen und Korridore. Dann wurde herrisch an unsere Türe geklopft. Als mein Mann zitternd öffnete, stand der Kommandant persönlich draußen und fragte empört, wo denn das Marienbild geblieben sei. Da mein Mann nichts wusste und nur verstört schwieg, musste ich mich einschalten. Mit klopfendem Herzen sagte ich, ich hätte gemeint, ihnen läge nichts an dem Muttergottesgemälde, und so hätte ich es mitgenommen und verpackt. Es sei unter meinem Bett.

„Sie sind im Irrtum", sagte darauf der Kommandant, „wenn Sie annehmen, dass uns an dem Bild nichts liegt. Wir haben alle jeden Morgen und jeden Abend davor gebetet, so, wie wir es einst von unserer Mutter gelernt haben, und keiner hat sich ausgeschlossen." Als er unsere erstaunten und ungläubigen Gesichter sah, erklärte der Kommandant — und die anderen Offiziere, die inzwischen dazugekommen waren, bestätigten es, dass gerade in Russland heimlich und viel gebetet werde, besonders um die Freiheit des Glaubens und er sagte, dass nur eine führende Schicht des Volkes mit Gewalt die Religion zu unterdrücken versuche.

Was blieb mir anderes übrig, als ihnen das Bild — wenn auch schweren Herzens — wieder auszuliefern? Sie freuten sic wie Kinder, und hängten es sogleich an den alten Platz.

„Sehen Sie", fuhr Frau Waldner fort, „ich glaube fest daran, dass es unsere Mutter war, die unsere Familie in den schweren Tagen so wunderbar beschützt und vor schlimmen Dingen bewahrt hat, denn auch in unserem Land sind manche Gräuel, Übergriffe, Vergewaltigungen, Diebstähle und anderes geschehen. In unserem Haus aber und im ganzen Dorf haben wir immer wie unter dem Schutzmantel der Madonna gestanden, und keinem ist etwas Übles angetan worden. Darum halten wir sie hoch in Ehren, unsere Mutter. An jedem Samstag brennt eine Kerze vor ihrem Bild, und am Abend versammeln sich alle die gerade im Haus sind, zu ihren Füßen zum Rosenkranzgebet.

L K.

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