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Auf dem Weg zur wahren Geborgenheit

Von ehemaliges Mitglied Dienstag 16.03.2021, 09:04

Der kleine Held in dieser so traurigen Aufzeichnung ist ein kleiner Junge aus Peking, namens Kuo Hsiao
Eines Wintertages, es dürfte im Jahre 1948 gewesen sein, brachte mir ein katholischer Arbeiter auf einem Schubkarren einen zehnjährigen Patienten, Kuo Hsiao. Ihm fehlten beide Füße. Sie waren ihm während der Nacht abgefroren. Wie war das nur möglich?
Sein Vater war Steinmetz, Also Bildhauer. Er lebte von der Hand in den Mund. Aus seiner ersten Ehe hatte er drei Kinder und zwei aus der zweiten. Hsiao war das dritte und jüngste aus der ersten Ehe. Seine neue Mutter liebte ihn nicht und beachtete ihn nicht weiter.

Eines Abends kam Hsiao spät nach Hause. Nachdem er sein dürftiges Mahl zu sich nahm, schickte ihn die Stiefmutter aus dem Haus mit der Bemerkung: „Du riechst gar übel, raus mit dir!" Mit einer alten Bettdecke unter dem Arm stand nun der kleine Junge vor der Türe. Es war eiskalt, eine dicke Schneeschicht breitete sich über das Land aus. Der Kleine schlief nun unter einem Schuppendach. — Ob er aber wirklich schlief?
Als er am anderen Morgen aufstehen wollte, waren ihm beide Füße abgefroren. Dies sprach sich rasch in der Nachbarschaft herum. Auch der oben erwähnte katholische Arbeiter war einer der Nachbarn. Er nahm seine Karre, legte den kleinen Buben darauf und schob ihn zu meinem kleinen Armenkrankenhaus.
0 der arme Junge! Nicht nur waren ihm seine Füße abgefroren, auch sein liebebedürftiges Herz war erfroren. Wo blieb da die Mutterliebe? Ach, wenn seine leibliche Mutter noch gelebt hätte, wäre das nicht geschehen. Ja, seine Mutter war gut, sie liebte ihn. Warum musste sie so früh sterben?

Am Bett meines kleinen Patienten sitzend, fragte ich ihn dann: „Hat das denn nicht weh getan?" — „Ja, anfangs schon, später aber nicht mehr so sehr", antwortete er. Jetzt bewohnte er ein kleines warmes Zimmer. Seine Fußstümpfe tauten bald wieder auf, doch sein Herz benötigte schon eine Zeit dazu. Doch Liebe schmilzt auch das dickste Eis, das sich um ein Menschenherz legen kann.
Alle, die von Hsiao's Schicksal hörten, hatten Mitleid mit ihm und liebten ihn. Sein Zimmer belagerten stets große und kleine Besucher. Sie brachten ihm Geschenke, Süßigkeiten und Spielzeug. Studentinnen unterrichteten ihn und die Kinder spielten mit ihm. Unter soviel Liebe von den Steyler Krankenschwestern und den Studentinnen und Kindern, taute sein Herz langsam wieder auf. Das drückte er auf ganz seltsame Weise aus, aber unmissverständlich. Er gab sich nämlich selbst anstelle seines Familiennamens »Kuo« den Namen »Bao«. Es war der Name seiner Lieblingskrankenschwester. So fand unser kleiner Held in der »Samariterin« echte Mutterliebe, wonach sein Herz schon lange dürstete.
Nun bekam Bao Hsiao auch den ersten Religionsunterricht. Er fühlte sich im Armenkrankenhaus ganz zu Hause. Er lebte förmlich auf, und schon bald taufte ich ihn auf den Namen Tarzisius. Seine Fußstümpfchen wollten aber gar nicht heilen. Da meinte der chinesische Arzt: „Wir müssen die fleischlosen Knochen amputieren." So entfernte er alles bis zu den Knöcheln. Und siehe da, als das geschehen war, verheilte alles überraschend schnell. Kein Wunder, die Freude nahm zu, und bei dem guten Essen gedieh er ganz prächtig. Tarzisius begann nun seine Zukunftspläne zu schmieden. „Shen fu", d. h. Pater, „sie geben mir doch zwei kleine, dünne Latten und Röllchen, nicht wahr?" — „Was willst du denn damit anstellen?" — „Die Rollen befestige ich unter den Latten, und diese binde ich an meine Beine. Dann kann ich mich kniend mit Hilfe meiner Hände von Ort zu Ort bewegen. Und sie stellen mich doch später als ihren Pförtner ein, stimmt es?" — „Aber natürlich, Tarzisius! Hoffentlich kannst du auch mit deinen Händen bis zur Türklinke reichen?"

Ein halbes Jahr war bereits vergangen. Da griff die liebe Mutter Gottes persönlich in sein Lebensschicksal ein. Tarzisius wurde krank, er hatte 37,8 Grad Fieber. Eines Tages nun sagte er zu jedem seiner Besucher, die in den letzten 24 Stunden zu ihm kamen: „Die Mutter Gottes hat mir gesagt: "Morgen hole ich dich in den Himmel`." Und der Kleine fügte noch hinzu: „Ich danke ihnen, sie waren so lieb zu mir und haben mich sooft besucht! Auf Wiedersehen!"
So rief mich nachmittags die Krankenschwester an das Bett meines Lieblings Tarzisius. „Herr Pater, hören sie, was der Junge seit heute Morgen zu allen sagt. Wollen sie ihm die hl. Krankensalbung spenden?" — „Schwester, ist mit 37,8 Grad wirklich Lebensgefahr? Ist der Junge normal?" Der Arzt musste nun entscheiden, ob Tarzisius sterbenskrank oder normal ist. Das Urteil lautete: Eine ungefährliche Erkältung; der Junge ist ganz normal. Tarzisius aber hielt an der himmlischen Mitteilung fest. Er glaubte fest, dass ihn die himmlische Mutter holen werde. Ich wartete ab und spendete ihm den Krankensegen und verließ um 17 Uhr meinen Liebling Tarzisius.

Am folgenden Morgen um 7 Uhr rief mich der Pförtner des Krankenhauses, ganz außer Atem vom schnellen Laufen, an: „Pater, kommen sie schnell, Tarzisius liegt im Sterben!" Ich sauste mit meinem Fahrrad über den Platz vor meiner Wohnung, nahm im Tempo die Kurve der schmalen Gasse, und nach drei Minuten stand ich am Sterbebett meines kleinen Freundes.

Rasch öffnete ich das Versehköfferchen und salbte Tarzisius' Stirn. Er hatte bereits aufgehört zu atmen. Die Gottesmutter hat ihr Wort gehalten und ihren Tarzisius heimgeholt. Die ehrwürdigen Schwestern und Freunde des Heimgegangenen aber kleideten Tarzisius in schneeweiße Kleider, setzten ihm ein Kränzchen von weißen Blumen auf das Haupt und legten ihn in den Sarg. Sie bedeckten ihn mit weißen, duftenden Blüten. Ein Bild himmlischer Ruhe und himmlischen Friedens! Das Bild eines unschuldigen Engels!

Nachmittags stand ich zum letzten Mal vor dem bescheidenen Sarg. Wir warteten immer noch auf seine Eltern. Doch sie kamen nie, auch jetzt nicht. So brachten wir Tarzisius zur letzten Ruhe. Seine Mutter im Himmel wird ihm jetzt die wahre Geborgenheit schenken können.

P. Joh. Glanemann, SVD

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