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Rechtschreibreform für Schildbürger (2)

Von tastifix Dienstag 01.08.2023, 12:32 – geändert Dienstag 01.08.2023, 19:51

„Der Bäcker, der Bäcker soll reisen!", riss ein kleiner Junge den Mund auf und nahm ihn damit sehr voll.
„Wieso der Bäcker … ?", verlangte der Schultheiß eine Begründung.
„Der schreibt so tolle Rechnungen. Mit Schönschrift. Und ´Rechnung` immer richtig mit nur einem ´g`!"
Alle lachten. So ein goldiger kleiner Kerl! Der war es würdig, ein Schildbürger genannt zu werden. Die Bemerkung des Kleinen löste den Erwachsenen die Zunge. Von allen Seiten prasselten nun weitere Vorschläge auf den armen Schultheiß ein. Arm? Nee, so arm war der nicht. Weder so und erst recht nicht im Geiste.

„Warum fährst Du denn nicht selber?", wagte jemand anzumerken.
Der Schultheiß erschrak. Er?? Dann wäre sein Ruf, besonders klug zu sein, sofort dahin. Denn er nannte nur zwei Bücher sein Eigen: Das Notizbuch und sein Tagebuch! Deutlich sichtbar in sein Bücherbord mit dem nur einen einzigen Fach gestellt. Machte Eindruck, ließ ihn ja als gebildeten Mann gelten. Um nicht gezwungen zu sein, eine direkte, ihn eventuell entlarvende Antwort zu geben, schlug er hastig vor:
„Lasst uns den Schulmeister schicken. Der liest pro Tag mindestens ein ganzes Buch und kennt sich mit der Rechtschreibung bestens aus!“
Eine prima Entscheidung! Erleichtert warfen die Leute von Schilda triumphierend den Kopf in den Nacken. Ja, einen klügeren Mann hätte die Wahl kaum treffen können. Alle waren da einer Meinung. Sich schon auf das Zusammensein mit vielen anderen intelligenten Leuten freuend, reiste der Schulmeister also ab. Wenn er daran dachte, wie schulmeisterlich korrekt er die Zeugnisse immer schrieb, doch wirklich ohne einen einzigen Fehler. Einfach toll!

Nun mussten die Bürger von Schilda Geduld aufbringen. Sieben Tage voller Anspannung wie auch einer gewissen Besorgnis. Was käme auf sie zu? Würden sie ´Rechtschreibreform` verkraften?
Eine Woche später versammelten sie sich erneut auf dem Marktplatz, sehr neugierig darauf, was der Schulmeister ihnen mitteilen würde. Der jedoch war ein wenig umständlich veranlagt und holte gern weit aus. Nicht nur, um einen Schüler zu ohrfeigen, sondern genauso jetzt bei seinem detaillierten Reisebericht.
„Ja, also, da kam ich dort an ..."
„Aah!", machten Alle beeindruckt. .
Immerhin war ihr Schulmeister auch dort angekommen, wo er hatte hinfahren wollen. Doch noch war der Bericht nicht zu Ende, fiel ihnen auf. Irgendwie fehlte ja noch das Wichtigste. Also hörten sie weiter zu:
„Ihr glaubt ja gar nicht, wie viele interessante Leute dort zusammen gekommen waren. Manche hatten sogar als Beweis ihres Wissens ein kleines Buch unter den Arm geklemmt. Aber ich kam fix dahinter, was es mit dem auf sich hatte. ´Fahrplan` stand vorne drauf."
"Ja, du meine Güte!!“
Aufgeregtes Gemurmel.
„Nun sagt endlich, was eigentlich ist die Rechtschreibreform?`"
„Eben, spannt uns nicht so auf die Folter!"
Der Schulmeister setzte eine feierliche Miene auf. Derweil hingen die Bürger von Schilda mit angehaltenem Atem an seinen Lippen und versuchten ungeduldig Worte zu erraten, die noch gar nicht ausgesprochen worden waren. Falls sie die dann überhaupt hätten lesen können.

„Meine lieben Mitbürger!"
Der Schulmeister stellte sich so richtig in Positur.
„Ja ... ehem ... ääh, also: Die Rechtschreibreform besagt, dass viel, was bislang galt, als richtig jetzt nicht mehr richtig ist. Sondern nur noch richtig ist, wenn man es schreibt, wie man es spricht!"
Urplötzlich herrschte Lärm. Rufe wurden laut.
„Ein Beispiel, ein Beispiel!", forderten die Männer.
„Wie soll man dann schreiben?", fragten die Frauen.
„Nehmt das Wort ´Phantasie`. Das kennt Ihr alle. Die habt Ihr sehr oft beim Schreiben eingesetzt anstatt zu schreiben, wie die Rechtschreibung es verlangte."
„In Zukunft...", er hob seine Stimme der frohen Kunde wegen an. „dürft Ihr an Phantasie sparen, wenn ihr sie schreiben wollt: ´Fantasie`!"
„Genial!!“
Endlich könnten sie ihre Klugheit für andere Dinge einsetzen. Zum Beispiel dafür, wie viele Brötchen sie beim Bäcker kaufen wollten oder aber, ob und welches Schwein vom Metzger geschlachtet werden sollte. Welch eine Erleichterung!

„Und wir Kinder? Welchen Vorteil haben wir?", empörten sich ein paar Zehnjährige.
„Stellt Euch vor: Früher hatte der ´Delphin ein ´p`. Jetzt dürft Ihr dem ein ´Pöh` hinterher schreien und schreibt Euren Fisch so: ´Delfin?` - Und so geht das jetzt mit vielen Wörtern.“
„Cool!!", jubelten die Kinder.
Schon lange nicht mehr hatte man die Schildbürger in solch euphorischer Stimmung erlebt.

Doch noch war nicht alles ausgestanden. Auf einem Plakat wurde angekündigt, dass die Wahl eines neuen Schultheiß anstand. Allerdings schon im Stil der neuen Rechtschreibregeln: Dass dabei das verdoppelte ´S`nicht weggefallen war, schrieb der Noch-Schultheiß der Beliebtheit seiner Person zu. Welch eine Ehre! Urplötzlich begann er die Rechschreibreform zu lieben! ...

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