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Mit Nachtwächter Hannes durch Bodenheim

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Kennst Du Bodenheim ?

Bisher war ich einige Male in dem kleinen rheinhessischen Weinort gewesen, ein paar Kilometer von Mainz stromaufwärts gelegen. Ja, ich kenne ihn vom Albansfest, aber sonst ?

Entweder bin ich mit dem Auto durchgefahren oder wir sind in einer der vielen Straußwirtschaften eingekehrt. Aber so richtig angesehen habe ich mir den Ort nicht.

Neugierig wurde ich allerdings, als ich für die Teilnahme an einer Autorenlesung eine Runde durch den alten Ortskern drehte und die vielen interessanten alten Fachwerkhäuser sah. Ich habe mich im Internet schlau gemacht und erfahren, welche interessante historische Geschichte der Ort hat. Als ich dann im Radio Johannes Schöller hörte, der von seiner Führung „Hexen, Revolution und Auswanderung“ als Nachtwächter Hannes erzählte, war mir klar, dass ich diese Tour durch Bodenheim für unsere Gruppe haben wollte.

Im März suchten wir eine passende Gaststätte und wurden dank Irrwisch's Tipp auch unweit der Kirche fündig.

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Mit 22 Teilnehmer treffen wir uns am 21.4. kurz nach 17.30 Uhr im urigen Weinlokal „Zum Rebstock“.
Frau Schornstheimer hatte uns bei der Vor-Tour Plätze reserviert.

Auf der Speisekarte finden sich Rheinhessische Spezialitäten, kleine Gerichte, aber auch Schnitzel und Rumpsteak. (besonderes letzteres ist absolut zu empfehlen) und eine umfangreiche Weinkarte. Dazu ein freundlicher und flotter Service. Die Chefin hat alles gut im Griff und für jeden ein nettes Wort. Kein Wunder, daß das Weinlokal gerade auch bei den Einheimischen so beliebt ist.

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Zwei Stunden haben wir Zeit, uns zu stärken und zu erzählen. Pünktlich um 20 Uhr holt uns der Nachtwächter Johannes Schöller im Weinlokal ab und nimmt uns mit auf eine Reise ins 17. und 18. Jahrhundert.

Ja, genauso stellen wir uns die Nachtwächter früherer Zeiten vor. Gekleidet in dunkle Montur, ausgestattet mit Hellebarde, Laterne und Signalhorn. Und da es tatsächlich fünf Nachtwächter namens Hannes gab, ernannte sich Johannes Schöller zum „Hannes VI.“

Doch bevor wir mit ihm auf Tour gehen, lernen wir die Aufgaben kennen, die ein Nachtwächter zu erledigen hatte. Dazu gehörte das Anzünden der Laternen und darauf zu achten, ob alle Türen und Tore verschlossen sind. Die Menschen fürchteten sich vor der Nacht, in der Gauner und Strolche unterwegs waren. Entdeckte der Nachtwächter ein Feuer, blies er in sein Horn – Johannes Schöller demonstriert es uns.

Trotz der wichtigen Aufgaben, war der Nachtwächter ein ehrloser Beruf und kam gleich nach Henker und Totengräber.


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Der Nachtwächter, im realen Leben Diplom-Sozialpädagoge und Leiter, Regisseur und Schauspieler der Bodenheimer Theaterbühne, weiß viele Geschichten und Anekdötchen rund um seinen Heimatort zu erzählen.

Bei der kurzweiligen, zweistündigen Tour, die wir mit ihm unternehmen, erfahren wir einiges über Bodenheims Geschichte.

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Die 1. Station führt uns in der Nähe des Bahnhofs zum Dr. Minrath-Platz.

Hier erfahren wir etwas über die Geschichte Bodenheims.

Die älteste erhaltene Urkunde stammt aus dem Jahr 754, als der Bodenheimer Bürger Rantulf dem Kloster Fulda einen Weinberg schenkte.

Im 18. Jahrhundert hatte Bodenheim etwa 2.000 Einwohner; heute zählt sie mit über 7.000 Einwohner zu einer der größten Gemeinden Rheinhessens. Einen Aufschwung nahm der Ort im Jahr 1853 mit Bau der ersten Teilstrecke der Eisenbahnlinie Mainz – Bodenheim, die später nach Worms verlängert wurde.

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Die 2. Station ist am Kaiserlichen Postamt, das von 1898 bis 1978 als Postamt genutzt wurde.

Die erste Postagentur bestand in Bodenheim aber bereits seit 1849 und wir dürfen raten, wann die Briefmarken durch das Postwesen von Thurn und Taxis eingeführt wurden: 1852. Die Postleitzahlen gibt es erst seit 1941.
Wir erfahren etwas über den Brief- und Pakettransport durch Postreiter und Postkutschen, die mit dem Betrieb der Eisenbahn überflüssig wurden.

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Unser Rundgang führt uns zur 3. Station in der Rheinstraße zu einer Hochwassermarke.

Wie viele Gemeinden am Rhein blieb auch Bodenheim nicht von Hochwasser verschont. Doch so schlimm wie 1882 und 1883 wurde es in Bodenheim nicht mehr. Viele Häuser wurden zerstört und die Bewohner obdachlos.

Das Jahr 1882 war ein Jahr von abnormalen Witterungsverhältnissen. Es regnete fast den gesamten Sommer und Winter. Die Ernten fielen mager aus. Am 28. November 1882 brach der Damm auf einer Länge von 300 m, überflutete die Straßen und innerhalb von einer Stunde brachen 35 Häuser zusammen.

Mitte Dezember sank das Wasser wieder, aber es gab starke Schneefälle. An den Dämmen wurde fieberhaft gearbeitet. Man rechnete mit einem neuerlichen Hochwasser. Und so kam es auch. Nach Weihnachten stieg der Rhein wieder und am 4. Januar 1883 brach der Damm erneut.

Auch seitdem gab es immer wieder Hochwasser, doch nicht mehr so heftig wie 1882/83.

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Als wir zur 4. Station, dem Rathaus, kommen, dämmert es bereits.

Gegenüber vom Rathaus steht das älteste Gebäude des Ortes. Der Hof der Freiherren Knebel von Katzenelnbogen wurde 1606 errichtet. Das Haus mit dem hohen fensterlosen Erdgeschoss ist im Fachwerkbau errichtet.

Das historische Rathaus wurde 1608 vom Ritterstift St. Alban als Gerichtsgebäude gebaut und ist mir Trauben, Rebenlaub und Fratzen geschmückt. Sie dienten der Abwehr von Dämonen.

Am Erker ist das Bodenheimer Wappen mit dem Esel zu erkennen. Erst 1991 wurde das Wappen offiziell anerkannt, obwohl es schon Jahrzehnte lang als Wappen geführt wurde.

Und wie kam nun der Esel ins Wappen? Renate, Sigi und Magdalena betätigen sich als Geschichtenerzähler und tragen uns vor, wie der Esel ins Bodenheimer Wappen kam.

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Johannes Schöller führt uns auf den Platz hinter das Rathaus, und erzählt uns von den revolutionären Tänzen, die sich 1792 dort abspielten.

Während die Nackenheimer für die Revolution waren, regte sich in Bodenheim Widerstand. Zur Erinnerung an die französische Revolution ließ der damalige französische General von seinem Quartier im Schönborner Hof in Bodenheim hinter dem Rathaus einen Freiheitsbaum pflanzen. Er richtete ein Fest aus und die Bodenheimer sollten einen Eid auf die französische Verfassung schwören. Doch die dachten nicht daran. Niemand kam. Der General war darüber so zornig, dass er Schulkinder, Pfarrer und Kaplan mit der Waffe zwang, um den Baum zu tanzen. Die Bodenheimer schnitzten daraufhin eine Fratze ins Holz des Rathauses, die voller Hohn auf den Freiheitsbaum blickt.

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Die wohl dunkelste und schaurigste Epoche der Bodenheimer Geschichte, die Zeiten der Hexenverbrennungen um 1612 herum, erleben wir auf der nächsten Station. Wir machen vor dem Kerker halt, der sich auf der Seite des Rathauses befindet.

Die Serie der Hexenprozesse begann im Oktober 1612 mit der Verhaftung der Witwe Merg Scholl. Sie wurde schon längere Zeit als Hexe verdächtigt. Sie soll in der Backstube das Kind des Bäckers angesehen habe, so dass es zu Tode kam. Im Frühjahr 1613 wurde Merg Scholl verurteilt und mit zwei anderen Frauen verbrannt.

In den Jahren 1612 bis 1615 fanden in Bodenheim 30 Hexenprozesse statt.

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Das „Bollesje“ ist noch heute erhalten und uns schaudert, als wir es betreten. Heute dient es als Lagerraum für die Gemeinde, und wir können uns kaum die Qualen der Einkerkerung, der Folter und des Hungers vorstellen, die die armen Geschöpfe erlitten haben.

1960 wurde der letzte Bodenheimer einkerkert, aber nur, weil er sturzbetrunken war.

Johannes Schöller erzählt auch von der Auswanderungswelle, die im 19. Jh. nicht nur Rheinhessen und die Pfalz, sondern auch Bodenheim erfasst hatte. Die Menschen flüchteten vor Armut und Hunger in die neue Welt, nach Amerika. Vielen Gemeinden war es recht, wenn die Armen der Ärmsten die Heimat verließen; sie mussten nicht länger unterstützt werden.

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In Guntersblum, so der Nachtwächter, bekamen ausreisewillige Bürger die Überfahrt bezahlt und ihre Schulden erlassen, wenn sie unterschrieben, dass sie nie mehr zurückkehren würden. Auf diese Weise verschwand 1/3 der Gunterblumer Bevölkerung.

Die Auswanderer gründeten Orte wie "New Gantersblum" und "New Meenz" und erinnerten damit an die rheinhessische Heimat.

Die nächste Station führt uns zu der Stelle, an der die Synagoge, die 1836/37 erbaut wurde bis Anfang der 60er Jahre gestanden hat. Heute erinnert eine Gedenktafel daran. Bis zum 30jährigen Krieg gab es keine Juden in Bodenheim. 1933 waren es 33 Juden, die vor dem Krieg überwiegend nach Holland flüchteten. 1938 wurde Bodenheim als „judenfrei“ erklärt. Heute erinnern sog. Stolpersteine an die getöteten Bodenheimer Juden.

Wir gehen weiter zum Jesuitenhof, einem 1740 errichteten Gutshof des Mainzer Jesuitenordens, der dort eine Kapelle errichten ließ. Um 1900 erwarb die Hessische Landesregierung den Hof und gründete dort die Großherzoglich Hessische Weinbaudomäne.

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Weiter geht es zur 9. Station, der Hofreite des Grafen von Metternich. Das Gutshaus und die Hofreite, in die ein schönes Rundbogentor hineinführt, wurde 1608 erbaut. Über dem Torbogen ist das Allianzwappen der Familien Metternich und Waldbott-Bassenheim angebracht.

Bemerkenswert, so Johannes Schöller, ist der Gewölbekeller des Gutshauses, der sich über die gesamte Länge des Hauses erstreckt.

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Nicht weit ist es bis zur nächsten Station, dem Molsberger Hof aus den Jahren 1612/13. Die Herren von Molsberg lebten bis ins 18. Jh. in Bodenheim. Ein schöner Erker ziert das alte Anwesen.

2007 brannte das Haus wegen einer defekten Heizdecke fast vollständig ab, wurde danach aber wieder aufgebaut.

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Als nächstes sehen wir den Schönborner Hof. Im Jahr 1747 ließ Graf Melchior d.J. von Schönborn, der Probst von Sankt Alban und Ortsherr in Bodenheim war, den prächtigen Bau im barocken Stil errichten.

1792 nahmen die Franzosen hier Quartier. 1802 wurde das Anwesen von Napoleon dem Präfekten Jeanbon St. André als Geschenk überlassen. Nach der Befreiung von den Franzosen bekamen die Preußen den Hof 1813 zurück.

Zahlreiche Gäste wurden im 19. Jahrhundert hier beherbergt. Auch Johann Wolfgang v. Goethe war in dem feudalen Hof zu Gast und schrieb hier an seinen Tagebüchern über die Belagerung von Mainz.

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Wir machen Halt an dem Spritzenhaus. Johannes Schöller erklärt uns, dass es in der Tat etwas mit „Giftbrühe“ zu tun hat. 1900 wurde das Gebäude von der Raiffeisenkasse gebaut und diente zur Lagerung der Fässer mit Spritzmittel für die Weinberge.

Die vorletzte Station führt uns in die Nähe der Weinberge, zum Reichsritterstift St. Alban. Heute ist nur noch die mächtige Mauer mit Ecktürmen zu sehen, die den Weinberg St. Alban umfassen. Die Anlage stammt aus der Zeit um 1802. An den Ecktürmen ist das Wappen mit dem Hessischen Löwen zu erkennen.

In der Nähe steht in einer Nische das Standbild des enthaupteten Heiligen St. Alban. Er trägt den Kopf in seinen Händen.

(fidelis45/Dieter hat ihn bei unserer Weinbergsrundfahrt 2016 fotografiert)

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Die interessante und unterhaltsame Führung mit dem Nachtwächter Hannes VI endet gegen 22 Uhr bei der Sitzgruppe im Dollespark, wo Skulpturen an wichtige Ereignisse der Bodenheimer Geschichte erinnern.

Wir bedanken uns herzlich bei Johannes Schöller, der uns noch ein Stück in den Ort hinein begleitet.

Da wir noch Zeit für den nächsten Zug haben, beschließen wir den Abend auf die Schnelle mit einem „Piffsche“, wo wir begonnen haben, im Weinlokal „Zum Rebstock“. Kurz vor 23 Uhr fahren wir mit dem Zug zurück nach Mainz.

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Die Bilder von der Tour durch Bodenheim kannst Du von

- Günter/bakru hier sehen

- und von Sigrid/Angelika1348, Ulli/007 Ulli und Dieter/fidelis45 hier


(eingestellt am 24.4.17)

Autor: Feierabend-Mitglied

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