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Mandeltaler, oder eine fast normale Geschichte

Heiter und vergnüglich geht es hier zu. Mitglieder berichten über lustige Alltagsgeschichten und Kurioses verführt zum Schmunzeln.

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Erde

Feierabend-Mitglied Heinz Maassen hat ein Keksproblem...

„Housten, wir haben da ein Problem!“ Dieser Satz der Astronauten, welcher in größter Entfernung von der Erde von der in Schwierigkeiten geratenen Raumstation zur Basis übermittelt wurde, ist für mich der Gipfel der höflichen Untertreibung. Welche Gedanken sich wirklich dahinter verbergen, werden wir vielleicht später einmal erfahren. Aber dann ist das Problem gelöst worden und die Gedanken sind nicht mehr so intensiv wie beim Absenden dieser Mitteilung an das Kontrollcenter. Aber eines kann man mit Sicherheit aus dieser Meldung entnehmen: grenzenloses Vertrauen zu den Menschen in der Bodenstation, welche ihre gesamte Technik einsetzen wird, um dieses, wie auch immer, geartete Problem zu lösen. Dabei ist keiner der Lösung Suchenden (und Findenden) jemals im Weltraum gewesen.

Im Verhältnis zur Weltraumfahrt ist mein Problem von einer verschwindend kleinen Bedeutung. Ob es überhaupt ein Problem ist, diese Bewertung kann jeder für sich selber erstellen. Aber ein Freund, dem ich zur vorgerückten Stunde dieses Problem schilderte, zog die Stirn in Falten und sagte mit ernster Betonung: „Heinz, da bist du echt in großen Schwierigkeiten.“ Ich muß allerdings bemerken, daß dieser Freund in etwa die gleiche Vorbildung wie ich hat und ebenfalls schon mehr als vierzig Jahre glücklich verheiratet ist. Um welches Problem handelt es sich nun? Handelt es sich um ein äußerst verwerfliches, eheschädigendes Verhalten? Oder wurde die Haushaltskasse durch größere, nicht notwendige Auslagen wie das Anschaffen eines Computers belastet? Viele Gründe lassen sich anführen. Doch es ist so einfach, dass ich überlegen muß, wie ich die unbedingt notwendige Schilderung beginnen kann.

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backen

Also, es handelt sich um die Weihnachtsbäckerei. Wie kann nach mehr als vierzigjähriger Erfahrung im eigenen Haushalt noch ein Problem mit der Weihnachtsbäckerei auftreten, fragt ihr jetzt zurecht? Die Weihnachtsbäckerei ist doch so etwas Harmonisches. Es riecht so gut im ganzen Haus, und wenn es dazu noch vor dem Fenster etwas weiß ist, kann man sich richtig wohl fühlen. Dazu kommt noch, daß man als Mann beim Plätzchenbacken nur beim Erstellen von Spritzgebäck mithelfen muß. Der erfahrene Ehemann weiß gleich, um welche Arbeit es sich dabei handelt: Der extra für diesen Zweck aufbewahrte Fleischwolf (er stammt noch aus Mutters Zeiten) wird aus dem Keller geholt und durch Vorsatz der verstellbaren Teigformschablone in ein Hilfsmittel für das Erstellen des Spritzgebäcks umfunktioniert. Der Fleischwolf muss dazu vorsichtig auf der Tischplatte befestigt werden, wobei der Hinweis: „Pass bitte auf, daß es keine Kratzer gibt“, nicht fehlt. Der in die Öffnung unter starkem Verkleben der Finger eingeführte Teig wird durch genau mit der richtigen Geschwindigkeit erfolgtes Drehen des Fleischwolfes in von der Ehefrau zu bestimmende Längen abgeschnitten und zu den typischen Spritzgebäckformen auf das Backblech gelegt. Aber es handelt sich um etwas ganz anderes.

Zutaten: 250 Gramm Mehl, 1 Ei, 125 Gramm Zucker, 125 Gramm Butter, 100 Gramm ungeschälte, grob gehackte Mandeln. Einen geschmeidigen Teig kneten, in eine ca. 3 cm dicke Teigrolle umformen und über Nacht im Kühlschrank ruhen lassen. So steht es im auf stark vergilbtem Papier vorhandenen Originalrezept. Dann gleichstarke Taler abschneiden und bei mittlerer Hitze goldgelb backen. Den meisten Lesern, zumindest unserer Generation, wird jetzt wohl klar sein, daß es sich um Mandeltaler handelt.

Noch zwei Wochen bis zum Weihnachtsfest! Die Plätzchen schmecken wie in jedem Jahr vorzüglich. Wenn das Mittagessen nicht so kräftig war, wird am Nachmittag der Adventkranz angezündet und ein kleiner Teller mit Gebäck läßt so echt weihnachtliche Stimmung aufkommen. Wir Rentner haben mehr oder weniger alle die gleichen Probleme. Was dürfen wir wegen der Gesundheit essen und was dürfen wir wegen unseres Übergewichts nicht essen? Und was möchten wir gerne essen? So manches wurde im Laufe der Zeit zugunsten der ersten beiden Punkte geopfert. Beim Skat spielen gibt es keinen Weinbrand mehr und beim Doppelkopf wurde der Rotwein gestrichen. Aber beim Schachspielen wird es schwieriger. Tee und Kaffee ist der Normalfall.

Von unseren lieben Frauen wird in der Weihnachtszeit immer wieder die Versuchung an uns herangetragen, doch etwas Gebäck zu uns zu nehmen. Wir spielten Schach bei meinem Freund. Der Kaffee kam auf den Tisch und das Angebot lautete: „Möchtet ihr auch ein selbstgebackenes Plätzchen?“ Da konnte ich nicht nein sagen, und schwups, stand der schon vorbereitete Teller mit den Plätzchen auf dem Tisch. Was soll ich drum herumreden: es waren Mandeltaler. Ich machte einen guten Zug beim Schachspiel und mein Gegner brauchte eine längere Zeit, um die richtige Antwort zu finden. Zuerst schaute ich dem Autoverkehr vor der Bahnschranke zu, um dann noch mal ein Plätzchen zu nehmen. Und da kam mir der Gedanke, daß die gerade gegessenen Mandeltaler nicht nur gut schmeckten, sondern daß sie anders als die von meiner lieben Frau gebackenen Mandeltaler schmeckten.

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Mandeltaler

„Besser?“ so dachte ich, mich selber fragend. Vorsichtig erkundigte ich mich nach dem Rezept und bekam das Angebot, dieses in schriftlicher Form mitzunehmen. Nach Spielende bekam ich das handgeschriebene Rezept zusammen mit einem kleinen Beutel der Mandeltaler überreicht. Ausdrücklich wurde auf das vorsichtige Tragen der Plätzchen hingewiesen und mir kam die Erleuchtung, worin der Hauptunterschied zu dem häuslichen Gebäck bestand: die Plätzchen waren lockerer als die Mandeltaler meiner Frau. Ich lieferte die Sachen wohlgemut zu Hause ab (meine Stimmung war besonders gut, da ich nach einer längeren Schwächeperiode wieder mal gewonnen hatte) und animiere meine liebe Frau auch, gleich zu probieren.

Das Bügeln wurde unterbrochen und es wurden einige der Plätzchen gegessen. Gleichzeitig wurde ein kurzer Blick auf das Rezept geworfen und dabei festgestellt, daß eine unbekannte Zuckersorte angegeben war. Um meiner Frau Arbeit zu ersparen, übereichte ich ihr das Telefon, um die Sache aufzuklären. Aus der Reaktion konnte ich ersehen, daß ich wohl irgendetwas falsch gemacht hatte. Auf jedem Fall stand meine Aussage in der Luft, die Plätzchen der anderen Frau schmeckten mir besser. Alle langgedienten Ehemänner werden dieses Gefühl bestimmt aus der einen oder anderen Situation kennen.

Am Abend trafen wir uns im Freundeskreis. Zur Bereicherung des Treffens erzählte ich die Geschichte von den Mandeltalern. Am Ende nahm ich meine Frau in den Arm, um ihr zu sagen, daß ich sie sehr lieb habe und ihre Plätzchen auch sehr gut schmecken. „Heinz, jetzt hast du ein Problem“, so mein Freund Wolfgang. Daß meine Frau sich am Abend um zehn Uhr noch ein großes Bier bestellte, lag bestimmt am Fisch, welcher bekanntlich sehr durstig macht.

Am nächsten Morgen wurde mir mitgeteilt, daß entgegen unserer Abmachung von der Vorwoche, keine Plätzchen mehr zu backen, da wir abnehmen müßten, die Mandeltaler nach dem neuen Rezept noch gebacken werden würden. Es fehlte nicht der Hinweis, daß das neue Rezept die doppelte Zuckermenge vorsah. Dieses sei nicht ganz gesund, so wurde mir zu Recht gesagt. Ich versuchte, zu retten, was zu retten war. Meine Bemerkung, daß unsere Plätzchen wohl etwas fester wären, weil sie auf dem Bachblech wohl wegen der schönen Form noch etwas glattgedrückt würden, wurde in Bausch und Bogen abgeschmettert. „Davon hast du ja überhaupt keine Ahnung, und wann schaust du beim Backen überhaupt mal zu?“ Wir haben gemeinsam gerechnet, um herauszufinden, worin der Unterschied zwischen den beiden Rezepturen zu sehen sei. Es blieb als Letztes nur noch der Teelöffel Backpulver übrig, wie letztendlich von meiner Frau goldrichtig bemerkt wurde.

Innerhalb der näheren Verwandtschaft wurde schon ein Gremium gewählt, welches in einem Blindversuch die Qualität der beiden Produkte beurteilen sollte. Am nächsten Tag war es dann so weit: das benötigte Grundmaterial wurde eingekauft. Es fehlte nicht die Bemerkung, daß der Zucker und die Mandeln so kurz vor Weihnachten nur noch von einer teuren Markenfirma zu haben gewesen wären. Der Mürbeteich wurde geknetet und kam in den Kühlschrank.

Selbstverständlich habe ich meine Hilfe angeboten, welche aber, wie zu erwarten war, abgelehnt wurde. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Diesen Spruch habe ich natürlich bei den von mir durchgeführten Besuchen in der Küche so nebenbei beachtet. Samstagmorgen. Ich sitze ganz still am Computer, um diese Zeilen zu schreiben. In der Küche sind die normalen Geräusche verstummt. Ich höre ein gleichmäßiges Tak-Tak-Tak vom Auftreffen des Messers auf die Holzplatte. Nach kurzer Backzeit liegt der Erfolg auf dem Gitter zum Abkühlen. Ich habe die Mandeltaler ohne jeden Kommentar gegessen. Alles verläuft wieder normal. Welche Lehre steckt in dieser Geschichte? Es ist gewiß für jeden Leser etwas anderes in dieser Story enthalten. Ich für meinen Teil muß folgendes sagen: Entweder es ist eine echte Weihnachtsgeschichte oder nur eine Geschichte aus dem täglichen Miteinander. Oder ist es beides?

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