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Duftnoten

... oder warum Man(n) verduftet

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Karikatur

Wow! Da war ich platt! Erst das sündhaft teure Parfum und jetzt noch die Einladung zum Abendessen! Und alles nachträglich zum Geburtstag? Ob Bruno Hintergedanken dabei hatte? Nein! Bestimmt nicht! Zwischen uns war alles geklärt. Alles im grünen Bereich. Wir waren nur Freunde. Mehr nicht. Obwohl ... ein Restzweifel blieb.
Aber jetzt ist erst mal Verkleiden angesagt. Nicht auffallend, nicht aufreizend. Ganz dezent, passend zum Ambiente und Anlass. Her mit der roten Bluse! Viel zu grell! Die grüne? Macht mich blass. Dann lieber die getupfte! Viel zu einladender Ausschnitt. Die mit den Goldfäden? Zu protzig. Mal wieder nichts Passendes zum Anziehen! Nach langem Hin und Her entscheide ich mich doch für die rote Bluse. Aber nun passt die Hose wieder nicht dazu, die Schuhe nicht zur Hose, der Lippenstift nicht zur Bluse - Hektik lässt grüßen. Unbeirrt zuckelt der Uhrzeiger vorwärts. Letzte Musterung vorm großen Spiegel. Igitt! Wie seh' ich denn aus? Vogelscheuche total! Sämtliche Klamotten aus, neue an.

Es klingelt. O Gott! Bruno! Halbangezogen verfrachte ich ihn ins Wohnzimmer. "Nur noch ein Momentchen!" Ich entfleuche ins Bad. Heldenhaft beschließe ich: Alles bleibt wie es ist! Nur noch ein Stäubchen Make up und ein Tröpfchen des neuen Parfums. Ist mir zwar zu schwer und zu süßlich, aber der edle Spender soll auch was davon haben. Wenn ihm hinterher schwindlig ist, weiß er wenigstens weshalb.

Ich liebe leichte, blumige Düfte. Keine Parfümerieabteilung, die ich nicht heimsuche: Von "Wilde Margerite" bis "Maiglöckchen" und "Lila Flieder" bis "Roter Mohn" - kein Testfläschchen ist vor mir sicher. Wenn ich allerdings wieder auf der Straße stehe, wundere ich mich stets, warum so viele Passanten einen großen Bogen um mich machen. Sämtliche Düfte des Orients und Okzidents auf einer Person vereint - das macht mir so schnell keine(r) nach!

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Karikatur

Aber jetzt volle Konzentration! Nicht zuviel des teuren Wässerchens! Sonst erschlage ich Bruno mit meinem Parfum, noch bevor er die Rechnung im Lokal bezahlt hat. Nur ein Tröpfchen hinters Ohr und je eins ans Handgelenk. Zärtlich nehme ich den neuen Flakon in die Hand. Sogar der fühlt sich schon gut an. Samtig, sinnlich, geheimnisvoll, vielversprechend. Nur noch einen Augenblick und ich werde auf sanften Duftwolken Bruno entgegenschweben ... Vorsichtig betätige ich den Zerstäuber. Es rührt sich nichts. Doch mehr Gewalt? Ich pumpe nochmal. Und nochmal. Erst mit dem Zeigefinger der rechten, dann mit dem der linken Hand. "Kommst du endlich?" Bruno klopft ungeduldig. Sofort, Junge! Aber auf das Tüpfelchen vom I - meinen Parfumklecks - mag ich jetzt
nicht verzichten! Unbeduftet fühle ich mich so nackt.

Also nochmal. Meine Zeigefingerkuppen kriegen Dellen vom Pumpen. Endlich entringt sich dem Flakon ein schwaches Stöhnen und ein erstes Anzeichen einer wohlriechenden Flüssigkeit. Ich wende das Behältnis nach rechts und links sowie nach oben und unten. Vielleicht gibt's noch sowas wie einen Notausgang? Ich kann aber nichts entdecken. Bruno klopft wieder. Diesmal kräftiger. "Nun mach schon ! Auf acht ist reserviert!"

Halt Burschi! Jetzt bist du dran! Ich öffne die Badezimmertür einen Spalt und säusele: "Könntest du mir bitte kurz helfen?" Blitzt da ein Aufleuchten in seinen Augen? Was denkt er denn, wobei er mich unterstützen soll? Ich drücke dem Verdutzten den Flakon in die Hand. Seine Enttäuschung entgeht mir nicht, aber er beherrscht sich meisterhaft. Mit all seiner unverbrauchten Manneskraft rückt er dem Fläschchen zu Leibe. Er pumpt und pumpt - ein zweites zartes Tröpfchen erscheint. Dann ist endgültig Schluss.

Eigentlich reicht mir die Duft-Dosierung für den heutigen Abend. Aber jetzt kommt Bruno erst richtig in Fahrt. Sowas kann sich ein Mann seines Kalibers nicht bieten lassen! Wär' ja noch schöner! Ehe ich's mich versehe, hantiert er mit meiner Nagelfeile an der Flakonöffnung. Ein leiser Knacks - und schon habe ich zwei verkürzte Nagelbearbeitungsinstrumente. Brunos flackernder Blick zeigt, er ist nicht mehr zu bremsen. So kann man mit ihm nicht umspringen! Spornstreichs verbiegt er noch ein paar herumliegende Haarspangen, verkürzt mein einziges scharfes Küchenmesser um seine Klinge und greift in höchster Not zum Schraubenzieher. Ein markerschütternder Schrei zerreißt die angespannte Stille: Auf der Walstatt bleiben ein abgebrochener Fingernagel, einige Tropfen kostbares Männerblut sowie ein halbes Kilo aufgerissene, aber so gut wie neue Heftpflaster, Mullkompressen und elastische Binden.

Den Einsatz des Notarztes und des Rettungshubschraubers kann ich gerade noch abblasen. Dafür steht mir ein betörend duftender Bruno gegenüber, der mir zwar einen teilweise zertrümmerten Parfum-Flakon präsentiert aber stolz wie Oskar beweist, dass alles nur an einer abgeknickten Steigleitung lag, die beim besten Willen nicht funktionieren konnte wie sie sollte.

Das Abendessen samt vorausgegangenem Verkleidungsaufwand fällt ins Wasser - pardon, ins Parfum. Bruno ist schlicht unbrauchbar geworden. Sämtliche anwesenden Damen hätten ihm bei seinem berauschenden Auftritt im Lokal hündisch zu Füßen gelegen. Den Anblick wollte ich mir ersparen. Also gibt's Leberwurststullen mit sauren Gurken. Natürlich erst, nachdem ich sachgemäß seine schweren Verletzungen versorgt habe und seine rechte Hand bewegungslos in einer Schlinge baumelt.

Ich beschwerte mich beim Parfum-Hersteller ob des Steigleitungs-Missgeschicks. Anstandslos lieferte er mir Ersatz. Mein Abendessen mit Bruno konnte er mir nicht ersetzen. Apropos: Der hat sich seitdem nicht mehr bei mir gemeldet. Ich schätze, er ist verduftet ..

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