Ein gern gesehenes Paar und doch kein Liebespaar

Eine Geschichte, verfasst und dargestellt von Wolfram Zurhorst im Arcana Verlag in seinem Buch " Der Beziehungsretter "

" Der Mann vor mir wirkt wie gelähmt. Er redet langsam und schaut oft ins Leere. Als er vom vorläufigen Ende seiner Ehe erzählt, sagt er, dass er sich wie nach dem Aufprall bei einem Auffahrunfall fühle.
Er war wie immer nach Hause gekommen- keine Spur von seiner Frau. Nur ein Brief: "Ich empfinde nichts mehr. Mir ist klar geworden, dass ich gehen muss", hieß es am Ende. Er stand unter Schock. Es hatte keine Vorwarnung gegeben. Ja, sie sei in den letzten Jahren öfter krank gewesen , und ihre Stimmungsschwankungen habe er manchmal schon als ziemliche Herausforderung empfunden. Aber seit ihrer Rückkehr aus der Kur sei sie doch offensichtlich wieder fit gewesen. Und dann auf einmal dieser Brief....
Er versteht die Welt nicht mehr, erzählt mir immer wieder von den gemeinsamen Aktivitäten, von Urlauben und so weiter. Wenn ich ihn allerdings nach seiner unmittelbaren Beziehung zu seiner Frau frage, zu dem, was sie bewegt, zu seinen Gefühlen, zur gemeinsamen Sexualität, dann verstummt er und wirkt ratlos. Im Laufe unserer Gespräche wird ihm zunehmend klar, dass er und sie fast ausnahmslos über Pflichten, Alltagsroutine und Termine geredet haben, aber selten bis nie über sich selbst. Er muss sich eingestehen, dass die Beziehung fast nur noch in größerer Runde stattgefunden hat: beim Essen mit Nachbarn, beim Besuch bei den Schwiegereltern oder in den Ferien mit Freunden.
Es gelingt ihm, seine Frau zu überreden, noch einmal den Dialog mit ihm aufzunehmen und zu einer Sitzung mitzukommen, nachdem sie Monate vorher einfach nur resigniert die Sachen gepackt hat und ins Gästezimmer ihrer Freundin gezogen ist.
" Meine Freundin wusste die letzten Jahre alles von mir - und mein Mann nichts." Die Frau wirkt bitter, während sie ein Resümee ihrer Ehe zieht: " Wir hatten uns am Schluss nichts mehr zu sagen. Wir waren froh, wenn wir vor der Stille zu Hause flüchten und zum Abendessen bei Freunden untertauchen konnten. Auf Partys kamen wir zusammen und gingen zusammen - aber mehr auch nicht.. Meist hat er mich gleich schon am Eingang stehen lassen und ist mit der Masse verschwunden."
Der Mann wehrt ab: " Dann wären wir doch nicht überall ein gern gesehenes Paar gewesen. "
Sie schaut mich an und schüttelt mutlos den Kopf: " Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass man gesellschaftlich genau dann ein erfolgreiches und gern gesehenes Paar ist, wenn man sich auf keinen Fall wie ein Liebespaar verhält? ""

Wolfram Zurhorst merkt dazu an:
Die Frau hat im Laufe der Jahre immer schmerzlicher spüren müssen, dass ein aktives gemeinsames Leben kein Garant für ein erfüllendes Paarsein ist. Ganz im Gegenteil:
Zweisamkeit ist wie ein zarter Spross, der in Ruhe gedeihen muss und nicht ständig gestört werden darf.


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