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Vincent van Gogh
- Teil 1 -
Auf den Spuren Vincent van Gogh’s

Auf den Spuren Vincent van Gogh’s

Die Strahlen der Sonne konnten nicht in die kleine Gasse fallen, aber als ich das Fenster öffnete, mich über das Geländer hinauslehnte und nach oben schaute, sah ich hinter den Dächern der gegenüberliegenden Häuser, hinter den Brandmauern und Kaminen einen blauen Morgenhimmel. Der Blick auf dieses vielversprechende Stückchen Maihimmel bewirkte, dass ich mir keine Zeit für den Café au lait und den Croissant nahm. Ich würde nach Auvers-sur-Oise fahren.


Ich war zwanzig Jahre alt. Seit ich des armen Vincent Briefe an seinen Bruder Theo gelesen hatte, war der Wunsch in mir gewachsen, diesen Ort zu besu-chen, von dem sich der kranke Maler eine Stabilisierung seines Zustandes er-hoffte. Wenn ich die Sorgen und die Berichte über die Ängste beiseite ließ, waren diese Briefe Vincents an seinen Bruder, denen ähnlich, die ich an meinen Geliebten schrieb. Vincent beschrieb ganz genau, was ihn begeisterte, was er gerade malte und skizzierte seine Bilder. Die Lektüre machte mir auch klar, dass man von der Malerei nicht leben kann. Vincent van Gogh malte aus Leidenschaft – noch in seinem letzten, nicht beendeten Brief an seinen Bruder steht: „Wirklich, wir können nur unsere Bilder sprechen lassen.“


Ich machte mir keine Illusionen. Ich verdiente meinen Lebensunterhalt als Graphikerin und fuhr einmal im Jahr nach Paris, um meiner Leidenschaft zu frönen. Ich suchte Lehrmeister und ich fand sie in den Pariser Museen. Dort sah ich die Kirche von Auvers. Von van Gogh gemalt, sieht sie aus, als stände sie auf schwankendem Boden und müsse sich gegen die Erinnerung an einen blau leuchtenden Himmel, den es so im Norden nicht gibt, behaupten. Van Gogh kam als ein Gescheiterter nach Auvers-sur-Oise, aber er konnte es sich nicht eingestehen, noch nicht. In der Provence war er in einer Nervenheilanstalt gewesen, weil er den Freund Gauguin bedroht und sich ein Ohr abgeschnitten hatte. Bevor er Maler wurde, hatte er Pfarrer werden wollen. Diese dramatisch aus dem Gleichgewicht gekommene Kirche, das war er selbst


In Auvers-sur-Oise lebte damals Dr. Gachet, ein Freund der Künstler, der auch selber malte. Der Bruder Theo, der sich in Paris als Kunsthändler versuchte und Vincent finanziell unterstützte, arrangierte, dass Dr. Gachet ihn unter seine Fittiche nahm. Van Gogh hatte die nicht unberechtigte Angst vor weiteren Anfällen. Der Arzt glaubte an die heilsame Wirkung intensiver Arbeit. Am 21. Mai 1890 kam Vincent van Gogh in Auvers-sur-Oise an – am 27. Juli, nur zwei Monate später, versuchte er sich in den Feldern, über denen er Rabenschwärme kreisen sah, zu erschießen. Er starb zwei Tage später in einer ärmlichen Dachkammer im Haus gegenüber der Mairie, die er am 14. Juli noch im Schmuck ihrer Flaggen und Lampions gemalt hatte. In diesen zwei Monaten verbrauchte sich die durch den Ortswechsel noch einmal aufgeflammte Lebenskraft; die Hoffnung je Erfolg zu haben, verließ ihn. Von Angst getrieben, lief er wie ein weidwundes Tier in die Felder. Die Raben bedrängten seine Seele.


Ich packte Papier, Zeichenfeder und Farbstifte zusammen und fuhr zur Gare du Nord. Nach eineinhalb Stunden Fahrt durch die liebliche Ile de France, war ich am Ziel. Ich trat aus dem Bahnhof auf den schattenlosen Vorplatz und sah die Kirche auf der Anhöhe über dem Dorf. Der Himmel war blau, und doch weit entfernt von dem Ich packte Papier, Zeichenfeder und Farbstifte zusammen und fuhr zur Gare du Nord. Nach eineinhalb Stunden Fahrt durch die liebliche Ile de France, war ich am Ziel. Ich trat aus dem Bahnhof auf den schattenlosen Vorplatz und sah die Kirche auf der Anhöhe über dem Dorf. Der Himmel war blau, und doch weit entfernt von dem tiefen Blau der Ekstase van Gogh‘s. Die Sonne brannte schon und hatte den Zenit noch gar nicht erreicht.

Der Kies knirschte, als ich den Platz überquerte und auf das „Café de la Gare“ und seine Schatten spendende Markise zusteuerte. Ich brauchte ein Glas Perrier. Sehr viel hatte sich in diesem kleinen verschlafenen Ort über dem Tal der Oise wohl nicht verändert, seit der Holländer mit den auf den Rücken geschnürten Malutensilien, auf dem Weg zur Kirche oder in die Felder, seinen Schatten auf den staubigen Platz geworfen hatte. Ich folgte dem Schatten und stieg die ausgetretenen flachen Steinstufen zum Kirchhügel empor. Das alte Gemäuer, auf dem oliv-, ocker- und orangefarbene Moose sitzen, wie die Farbkleckse auf einer Palette, wird von Schwibbögen abgestützt. Die schmalen gotischen Fensterhöhlen des Turmes sind nicht verglast, zeigen eichenes Balkenwerk und die Glocke. Jede Seite des Turmes hat eine Uhr. Ihre Schläge fielen blechern in die Stille und scheuchten schwarze Schatten im Inneren des Turmes auf. Flügelschlag brachte die bruttig stehende Luft in Bewegung. Van Gogh’s Raben, gab es sie doch? Unwillkürlich zog ich den Kopf ein. Sekunden später wieder bleierne Stille. Die Mauern warfen die Hitze zurück. Ich ging um die Kirche herum und nahm den Weg in die Kornfelder.


Über dem sandigen Pfad flirrte die Hitze. Die gleißend hellen Friedhofsmauern schienen über den Feldern zu tanzen. Zwischen Acker und Weg ein ausgetrockneter Graben. Auf der hohen buckligen Kante wuchs Vogelmiere. Ihre kleinen weißen Sterne säumten den Weg wie verschüttete Milch. Durch ein Tor in der Mauer betrat ich den Gottesacker. Gnadenlos brannte die Sonne auf diese baum- und strauchlose Stätte der Toten. Sorgfältig abgemessene Grabstätten. Mein Blick wanderte, suchte – dort, an der grob verputzten Feldsteinmauer, zwei schlichte Grabsteine, davor Efeu. „Ici repose Vincent van Gogh - Ici repose Theodore van Gogh.“ Der jüngere Bruder war ihm nur wenige Monate später gefolgt. Der Maler und sein Kunsthändler – beide hatten sie für die Kunst gelebt und waren daran zugrunde gegangen. Der Ruhm kam zu spät – das große Geschäft machten andere.
Die Sonne stand jetzt im Zenit. Mein Kopf schmerzte, die Augen waren ge-blendet und brannten. Ich setzte mich auf die steinerne Platte neben dem Grab der Brüder und schloss die Lider. Dunkle Gestalten kamen den Weg herauf. Sie wirbelten den Sand auf, dass er wie eine Wolke über dem reifen Korn und vor dem vor Bläue fast schwarzen Himmel stand. Der Leichenzug verschwand in züngelnden Flammen.

Geschrieben von Chevaline

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