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Das Kätzchen

Von tastifix 04.07.2021, 16:25 – geändert 29.08.2021, 06:59

Als ich etwa 15 Jahre alt war, verbrachten meine Eltern mit mir einen Urlaub auf einem Gutshof im Münsterland, auf dem ich alles an Tiere vorfand, was ich besonders gern mochte. So freundete ich mich mit einem Dalmatiner an und auch mit einem Pferd, auf dem ich dann ein paar Reitstunden meisterte.

Der Urlaub brachte mir aber noch eine zusätzliche Überraschung. Ein paar Tage nach uns traf eine Familie aus Hamburg ein mit einem gleichaltrigen Sohn. Unsere Eltern verstanden sich auf Anhieb blendend. So verbrachten H. und ich viel Zeit miteinander. Ich bewunderte ihn maßlos. Er sah nett aus, hatte blitzblaue Augen, eine sehr schöne Stimme und - ein eigenes Reitpferd und das gab für mich den Ausschlag. Zunächst fand ich ihn nur nett und dann immer netter. Mein Herz klopfte, sobald er mich ansah. Bald schon liefen wir Hand in Hand und erzählten und erzählten. Jeden Morgen brachte er mir unter dem Zimmerfenster ein Ständchen. Ich strahlte vor Stolz. Nicht jedes Mädchen meines Alters erlebt so etwas.

Dann kam jener Tag, den wir so schnell nicht wieder vergessen sollten. Wie immer strolchten wir auf dem Gut umher. Plötzlich trippelte aus einem Gebüsch am Wegesrand eine kleine Katze auf vier weißen Samtpfoten auf uns zu. Miauend umstrich sie unsere Beine, wollte offensichtlich schmusen und dachte nicht daran, sich mit nur einer kurzer Vorbeigeh-Krauleinheit zufriedenzugeben: Nein, erstens so nicht und zweitens langweilte sie sich. Darum schloss sie sich uns an.
Es war aber Abendbrotzeit und wir mussten zurück. Wie mir es mit Tieren immer ergeht, erging es mir auch damals: Erst kraulte ich, dann spielte ich und danach landete das Mini-Kätzchen prompt auf meinem Arm. Der junge Mann an meiner Seite empfand sich wohl als fast abgemeldet und lief ziemlich verunsichert neben mir her. Er bekam ja die Viertelstunde des Rückwegs nur noch zu hören:
„Ist die nicht süß? Guck mal die Äugelchen, die niedliche Schnute und die putzigen Pfoten usw. ... "
Der Arme!

Wir betraten die Gaststube. Unsere Eltern unterhielten sich intensiv. Ich stand dort mit H. an der Hand und dem schnurrenden Kätzchen auf dem Arm, strahlte und vermochte mich in meiner Euphorie nicht mehr zu bremsen. Seine und erst recht meine Eltern sollten an meinem Glück teilhaben. So posaunte ich es in Lautstärke 300 heraus, damit auch wirklich alle hören sollten, wie sehr ich mich freute und verkündete:
„MUTTI, VATI, ENDLICH HABE ICH EINEN BETTGENOSSEN!"
Ich erwartete, dass sie sich mitfreuen würden. Stattdessen herrschte Totenstille neben mir, am Tisch und auch in der weiteren Runde. Mein Jubelschrei war nicht zu überhören gewesen. Es wusste jetzt jeder Bescheid. H. starrte mich entgeistert an, meine Eltern guckten noch entgeisterter und seine Eltern saßen dort mit versteinertem Gesichtsausdruck und bekamen ihre Mimik nicht unter Kontrolle.So eine entsetzliche Eröffnung und das vor sämtlichen Gästen des Hauses. Mein Gott, wie peinlich! Ihnen blieb allein, die Koffer zu packen und schnellstens abzureisen.

Mutter und Vater erwachten allmählich aus der Erstarrung. Ich hatte mich unmöglich daneben benommen. Es bedurfte einer heftigen Gardinenpredigt. Mutti wollte gerade eine wohlgesetzte Rede vom Stapel lassen, als ich, völlig verdutzt wegen ihrer total unerwarteten Reaktion, noch hastig an Erklärung anhing:
„Ach, die ist so süß. Die darf heute bei mir schlafen!"
Ich schielte zu H.. Ihm schien gerade ein Felsbrocken von der Seele geplumpst zu sein. Ein Blick zu meinen Eltern, dann zu seinen: Sie hatten doch gerade erst zu diszipliniertem Benehmen zurückgefunden. Doch jetzt fiel den Vieren die Kinnlade runter. Sie schämten sich sichtlich in Grund und Boden, versuchten aber betroffen, es mit einem verlegenen Lächeln zu überspielen.

„ACH DU Grüne Neune! WIE HABEN WIR ABER NUR ANNEHMEN KÖNNEN, DASS ... ?"

Die Zeit heilt ja alle Wunden, auch die, die man sich selber zugefügt hat. So wurde nach einigen, ja wohl mehr als angemessenen Reue-Minuten aus dem Lächeln ein befreites Lachen, dass dann in einem lauten Gelächter gipfelte. Das Kätzchen verschlief eine gemütliche Nacht bei mir auf dem Bett. Als ob nichts gewesen war, brachte mir H. am nächsten Morgen wieder ein Ständchen.

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