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Wir schreiben den 24. Dezember 1945 und draußen schneit es. Der Nordwind pfeift über die Donau herüber, treibt die Schneeflocken fast waagrecht durch die Luft und läßt es noch kälter erscheinen, als es tatsächlich ist. Großvater hat eine kleine Fichte aus dem Wald geholt, die nun in der Stube darauf wartet, von uns für den heutigen Abend geschmückt zu werden.
Ich schaue aus dem Fenster und betrachte das Schneetreiben, das so heftig geworden ist, daß man das gegenüberliegende Donauufer und die Wehrkirche von St.Michael kaum sehen kann.
Die immer häufigeren und intensiver werdenden Bombenangriffe der letzten Kriegsmonate hatten meine Mutter dazu veranlaßt, mit meiner um drei Jahre jüngeren Schwester und mir Wien zu verlassen und in dieses kleine Dorf am rechten Donauufer der Wachau zu Großvater zu flüchten. Sie tat gut daran, dies zu tun, denn wenige Tage später erhielt das Haus, in dem wir gewohnt hatten, einen Volltreffer und wurde total zerstört. Wir verloren alles, bis auf die wenigen Habseligkeiten, die wir bei unserer Übersiedlung zu Großvater mitgenommen hatten.
Von meinem Vater hatten wir schon länger nichts gehört. Der letzte Feldpostbrief war aus der Gegend von Stettin abgeschickt worden, wo sich die deutschen Einheiten auf dem Rückzug befanden.
Ich verstand damals kaum die Welt.

Vor einem dreiviertel Jahr hatte mir meine Mutter anläßlich der Schuleinschreibung für die Volksschule noch eingebläut, ich müsse mit "Heil Hitler" grüßen! Das wurde nach wenigen Wochen total revidiert und der neue Gruß heißt nun "Grüß Gott". Was das wohl bedeuten sollte?
Ich gehe zu Großvater in die Kammer hinüber. Er sitzt an seinem Tisch, dessen rohe Holzplatte täglich mit Seife und Bürste bearbeitet wird, damit sie schön sauber ist. Man braucht kein Schneidbrett, wenn man etwas zu schneiden hat, die Tischplatte tut’s auch. Ich setze mich zu ihm und frage mich, was Großvater diesmal für mich hat. Er hat eine Speckschwarte vor sich, die schon lange keinen Speck mehr gesehen hat. Die Zeiten sind auch hier härter geworden, weil die weitgehend auf Weinbau ausgerichtete Landwirtschaft hier kaum Fleisch oder Korn und nur etwas Gemüse produziert, das wir noch dazu mit unseren Befreiern, die allgegenwärtig sind, teilen müssen. So sind wir auch hier zu einem Großteil auf die kümmerlichen Rationen angewiesen, die man für die Lebensmittelmarken bekommt, sofern sie überhaupt geliefert werden.
Großvater schabt mit seinem rasiermesserscharfen Messer die Seite der Schwarte ab, an der einmal der Speck gewesen ist. Mit dem wenigen Fett, das auf dem Messer haften bleibt, verschmiert er die Löcher einer dünnen Scheibe selbstgebackenen Brotes, streut ein wenig Salz darauf, schneidet es in kleine Stückchen und wir tun uns beide gütlich daran. Wie gut kann doch so ein einfacher Imbiß sein!
Nebenan versucht meine Mutter aus den vorhandenen Vorräten ein Abendessen für uns hervorzuzaubern. Langsam wird es dunkel draußen und der Schneefall hat etwas nachgelassen. Ich nehme mir den großteils selbst gebastelten Christbaumschmuck, der in Großvaters Kammer aufbewahrt wird und gehe wieder hinüber in die Stube. Christbaumkerzen sind kaum noch vorhanden, lediglich einige schon ziemlich heruntergebrannte Reste aus den Vorjahren. Wir werden sehr sparsam damit umgehen müssen, wenn wir auch heuer einen Lichterbaum haben wollen.
Bei uns Kindern ist längst die Illusion vom Christkind geschwunden. So findet niemand etwas daran, daß ich mich selbst ans Werk mache, um den Christbaum zu schmücken. Lediglich bei den höheren Ästen und beim Anbringen der kümmerlichen Kerzenreste muß mir meine Mutter helfen. Mittlerweile vermischt sich der Geruch des langsam gar werdenden Abendessens mit Weihrauchduft. Irgendwo hat Großvater auch davon noch einen Rest gefunden und auf die heiße Herdplatte gestreut.<p>Es werden wohl recht armselige Weihnachten werden, diese ersten Nachkriegsweihnachten. Daß es keine besonderen Geschenke geben wird, das sind wir ja schon von den letzten Kriegsweihnachten gewohnt. Vielleicht bekomme ich neue, selbst gestrickte Fäustlinge oder einen warmen Pullover, den meine Mutter aus der Wolle eines anderen aufgetrennten Kleidungsstückes gezaubert hat?
Der Christbaum ist mittlerweile fertig geworden und nach dem Abendessen werden wir "Stille Nacht" und "O Tannenbaum" singen. Es wird früh finster, an diesem Heiligabend. Wahrscheinlich rührt das auch davon her, daß der Himmel mit diesen schweren Schneewolken verhangen ist.
In das Klappern der Teller mischt sich plötzlich ein Geräusch, das uns aufhorchen läßt. Draußen hört man schwere, müde Schritte. Der Weihnachtsmann kann es nicht sein, weil den gibt es ja noch nicht, den haben erst die Amis importiert. Wer mag denn da wohl zu so später Stunde an einem Heiligabend noch kommen? Die Schritte der russischen Besatzungssoldaten, die auch manchmal zu ungewöhnlicher Stunde auftauchen, klingen anders, forscher. Langsam öffnet sich die Tür und ein müder Mann in deutscher Soldatenuniform steht im Türrahmen.
Das Christkind hat uns den Vater wieder gebracht!

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