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Unsere Seelen bei Nacht

Kent Haruf


empfohlen von Rose56

Inhalt:
Holt, eine Kleinstadt in Colorado. Eines Tages klingelt Addie, eine Witwe von 70 Jahren, bei ihrem Nachbarn Louis. Sie macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Ob er nicht ab und zu bei ihr übernachten möchte. Louis lässt sich darauf ein. Und so liegen sie Nacht für Nacht nebeneinander und erzählen sich ihre Leben. Doch ihre Beziehung sorgt für Aufsehen in dem Städtchen.


Meine Beurteilung:
Wir haben das Buch im Rahmen des Literaturkreises unserer Kirchengemeinde gelesen und besprochen.

"Unsere Seelen bei Nacht" ist ein Roman, der mich berührt hat. Er paßt in unsere Zeit, in der es viele Ältere gibt, die alleine sind und sich einsam fühlen.
Kent Haruf nimmt uns mit in eine kleine Stadt in Colorado und schreibt über das Leben, die Natur und die Einsamkeit zweier älterer Menschen, die zueinander finden. Es gibt Neid und Mißgunst, aber auch Verstehen.
"Unsere Seelen bei Nacht" ist eine Liebesgeschichte über einen Mann und eine Frau, die beschließen, nicht mehr alleine sein zu wollen, auch wenn ihre Mitmenschen sie dafür kritisieren und verurteilen.

Kent Haruf schreibt unaufgeregt, direkt und in einer schnörkellosen Sprache, die dabei kein bisschen flapsig, oberflächlich oder ungenau ist und seine Dialoge erscheinen mir immer glaubhaft, auch ohne Doppelpunkt und Gänsefüßchen. Und da sie immer in einer neuen Zeile stehen, kann man ihnen auch gut folgen.

Er ist kein eleganter Schreiber, aber dafür schreibt er hervorragend über scheinbar belanglose Dialoge. Ich finde Haruf schreibt für unsere Altersgruppe, mit Gefühl und Einfühlungsvermögen, aber ohne übertriebene Herz/Schmerz-Gefühlsduseleien.

Über den Autor:
Kent Haruf wurde 1943 in Colorado geboren und starb dort 2014 nach schwerer Krankheit. Er arbeitete als Lehrer an einer Highschool und schrieb in 30 Jahren nur 6 Romane.
1984 schrieb er "The Tie That Binds" (noch nicht übersetzt)
1990 "Ein Sohn der Stadt"
1999 "Lied der Weite"
2004 "Abendrot"
2013 "Kostbare Tage"
2015 "Unsere Seelen bei Nacht".

Sein letzter Roman "Unsere Seelen bei Nacht" wurde zum Bestseller und mit Jane Fonda und Robert Redford in den Hauptrollen verfilmt. Leider gibt es den Film nur noch auf Netflix.

Interessant fand ich das Interview mit seiner Frau Cathy Haruf, das Du hier lesen kannst

Cathy erzählt in dem Interview, dass Haruf angesichts seines nahenden Todes sagte, daß er ein Buch über sie beide schreiben wird. "Am Morgen des 1. Mai ging er mit seinem Sauerstoffgerät in seinen Schreibschuppen und begann zu schreiben. Ein Kapitel pro Tag, fünfundvierzig Tage lang. ....... Normalerweise brauchte er etwa 6 Jahre, um einen Roman zu schreiben, und er war selbst verblüfft, dass er täglich ein Kapitel schaffte. Aber er wusste, dass er eine Deadline hatte. Er wollte diesen Roman unbedingt zu Ende bringen, bevor er starb."

Das hat Kent Haruf geschafft. Zwei Tage nach seinem Tod schickte seine Frau das korrigierte Manuskript an den Verlag zurück.


Und so beginnt der Roman:
Und dann kam der Tag, an dem Addie Moore bei Louis Waters klingelte. Es war an einem Abend im Mai, kurz bevor es endgültig dunkel wurde.
Sie wohnten einen Häuserblock voneinander entfernt in der Cedar Street, im ältesten Teil der Stadt. Ulmen, Zürgelbäume und ein einzelner hoher Ahorn säumten die Straße und die grünen Rasenflächen vor den einstöckigen Häusern. Es war ein warmer Tag gewesen, doch jetzt am Abend kühlte es ab. Sie ging auf dem Bürgersteig unter den Bäumen entlang und bog zu Louis' Haus ab.
Als er ihr die Tür aufmachte, fragte sie: Könnte ich kurz reinkommen und etwas mit dir besprechen?
Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Möchtest du etwas trinken? Eine Tasse Tee?
Nein, danke. Vielleicht bleibe ich nicht lange genug, um ihn auszutrinken. Sie sah sich um. Du hast es schön hier.

......
Er beobachtete sie. Eine attraktive Frau, das hatte er schon immer gedacht. In jüngeren Jahren hatte sie dunkles Haar gehabt, jetzt war es weiß und kurz geschnitten. Nach wie vor hatte sie eine gute Figur, nur um Taille und Hüfte war sie ein wenig fülliger als früher.
Wahrscheinlich fragst du dich, was ich von dir will, sagte sie.
Nun ja, vermutlich bist du nicht hergekommen, um mir zu sagen, dass ich es hier schön habe.
Nein. Ich wollte dir einen Vorschlag machen.
Ach ja?
Ja, so etwas wie ein Antrag.
Okay.
Keinen Heiratsantrag.
Das hätte ich auch nicht erwartet.
Aber es geht in die Richtung. Nur weiß ich jetzt nicht, ob ich es schaffe. Ich kriege plötzlich kalte Füße. Sie lachte ein bißchen. Es ist tatsächlich wie bei einem Heiratsantrag, nicht?
Was denn?
Kalte Füße.
Schon möglich.
Ja, also, ich sag es jetzt einfach.
Ich höre, antwortete Louis.
Ich wollte fragen, ob du dir vorstellen könntest, hin und wieder zu mir zu kommen und bei mir zu schlafen.
Was? Wie meinst du das?
Ich meine, dass wir beide allein sind. Wir sind schon viel zu lange uns selbst überlassen. Seit Jahren. Ich bin einsam. Ich dachte, du vielleicht auch. Deshalb wollte ich fragen, ob du zu mir kommen und bei mir übernachten würdest. Und mit mir reden.
Er starrte sie an, betrachtete sie. Neugierig. Vorsichtig.
Du sagst ja gar nichts. Hat es dir die Sprache verschlagen? fragte sie.
Ich glaube, ja.
Es geht nicht um Sex.
Das fragte ich mich gerade.
Nein, kein Sex. Das meine ich nicht. Ich habe schon lange keine Lust auf Sex mehr. Ich spreche davon, die Nacht zu überstehen. Es gemütlich und warm zu haben. Zusammen im Bett zu liegen, die ganze Nacht. Die Nächte sind am schlimmsten. Findest du nicht?



Diogenes-Verlag
ISBN 978-3-257-24465-6
196 Seiten
Taschenbuch: 12 €

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