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Besuch der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek in Mainz


In der Rheinallee 3b, nahe des Kaisertors, befindet sich die Stadtbibliothek Mainz. Das Gebäude wurde 1912 für die Stadtbibliothek und das Gutenbergmuseum errichtet. Der Giebel über dem Haupteingang zeigt einen Porträtkopf von Johannes Gutenberg, darüber befinden sich vier klassische Säulen.

Die Stadtbibliothek gliedert sich in die Wissenschaftliche Stadtbibliothek in der Rheinallee und die Öffentliche Bücherei Anna Seghers mit ihrer Zentrale in den Bonifatiustürmen am Bahnhof, sowie fünf Stadtteilbüchereien.

Nachdem ich im Herbst 2011 in der Zeitung las, dass die Stadt Mainz die Wissenschaftliche Bibliothek aus Kostengründen auflösen will (die Pläne sind hoffentlich erst einmal wieder vom Tisch), recherchierte ich im Internet und erfuhr, dass die Stadtbibliothek verschiedene Führungen anbietet. Am interessantesten erschien mir die Einführung in den historischen Buchbestand.

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Der 1912 errichtete Neubau für Bibliothek, Archiv und Münzkabinett sowie dem Gutenberg-Museum trägt über der Eingangstür das Gutenberg-Medaillon von Ludwig Nikolaus Lipp, einem Mainzer Bildhauer.

Ich nahm Kontakt mit Frau Annelen Ottermann M.A. auf, der Leiterin der Abteilung Handschriften und Rara (= alte und seltene Schriften und Drucke aus Altbeständen von Bibliotheken). Sie führte uns am 17. April 2012 durch das historische Büchermagazin und zeigte uns anschließend einige der wertvollen alten Kostbarkeiten.

Die Wissenschaftliche Stadtbibliothek in Mainz beherbergt eine der ältesten und größten Sammlungen historischer Werke in Deutschland. Der Bestand umfasst ca. 670.000 Bücher und Drucke, die teilweise bis zu 1.100 Jahre alt sind.

Nach der Begrüßung und den einleitenden Worten steigen wir einige Stufen hinab ins Magazin. Der typisch modrige Geruch alter Bücher umweht sofort unsere Nasen.

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Annelen Ottermann erzählt und Rose notiert eifrig

Hier erzählt uns Frau Ottermann, dass die Anfänge der Bibliothek in das Jahr 1477 zurückreichen. In diesem Jahr wurde die Universität gegründet, in der die Universitätsbibliothek eingegliedert war.

Im 30jährigen Krieg entwendeten die Schweden einen Großteil der Bücher und nahmen sie auf zwei Schiffen mit. Ein Schiff mit der wertvollen Fracht versank in der Ostsee, das andere brachte die Beute nach Schweden. Noch heute sind in der Universität zu Uppsala Bücher aus Mainz zu finden.

Auf die Frage, warum diese nicht zurückgegeben werden, antwortet Frau Ottermann: „Wir geben ja auch nicht die Nofretete zurück.“

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Historische Folianten mit dem typischen Lederverschluß

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Luthers Schriften
Wittenberg

Nach dem 30jährigen Krieg, 1648, war der Buchbestand gleich Null.

Durch die Auflösung der 1773 aufgelösten Jesuitenklöster und der um 1800 aufgehobenen drei reichsten Klöster der Stadt, die Karthause, Reichklara und Altmünster, wanderten 30.000 Bände in die Universitätsbibliothek.

Napoleon löste 1798 die Universität auf und wandelte sie in eine Schule um. 1805 verfügte er, dass die politische Gemeinde die Bibliothek übernimmt, samt Kosten für die Unterhaltung. Seitdem gibt es die Stadtbibliothek.

Von 1744 bis 1842 war die Bibliothek am Neubrunnenplatz in der sog. Burse untergebracht. Anschließend kam sie bis 1912 in das Kurfürstliche Schloss, ehe sie in das neu gebaute, heutige Gebäude in der Rheinallee umzog.

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Mainzer Stadtbibliothek in der Rheinallee 3b

Im Magazin lagern neben den historischen Büchern auch 1300 Handschriften, von denen zwei Drittel aus dem Mittelalter stammen.

Die Bücher sind nach Formaten aufgestellt, und zwar nach Folianten, Quartbände und Oktavbände. In den einzelnen Formaten sind sie nach Fachgruppen gestellt.

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Nach dem Magazin gehen wir in die Regionalbibliothek.
Die Stadtbibliothek sammelt Regionalliteratur über Mainz und Rheinhessen. Alles, was an Gedrucktem zu Mainz und der Region Rheinhessen erschienen ist und erscheint, ist hier zu finden. Die Regionalbibliothek, so erklärt uns Frau Ottermann, ist eine sog. Freihandabteilung, also kein Museumsbetrieb, sondern ein Haus, in dem die Bücher auch benutzt werden können. Alles was vor 1900 erschienen ist, kann nicht ausgeliehen, sondern kann im Lesesaal eingesehen werden.

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Frau Ottermann hat einige der Kostbarkeiten für uns bereit gelegt. Bequem sitzend, können wir ihren spannenden Ausführungen besonders gut folgen.

Als erstes zeigt sie uns eine Historienbibel aus der Werkstatt von Diebold Lauber in Hagenau, die in den 1430er Jahren entstanden ist.

Historienbibeln waren im Mittelalter sehr beliebt. Das Buch hat einen Halbledereinband. Zwischenzeitlich restauriert, sind die Ränder mit modernem Papier angelegt.

Die Restaurierungen werden erforderlich, weil sich das Papier durch Tintenfraß zersetzt. Die eisenvitriolhaltige Tinte, mit der früher geschrieben wurde, greift die Papierfasern an. Dadurch verliert das Papier an Festigkeit und zerfällt.

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Deutlich zu sehen sind die am Rand mit neuem Papier restaurierten Seiten

Die Schriftart, so erklärt Frau Ottermann, ist festgelegt , ein zweispaltiger Text mit Federzeichnungen. Die Illustrationen erzählen Geschichten, wie z.B. Eva, die aus der Rippe geschaffen wurde, David mit der Harfe oder ein Weihnachtsmotiv.

Manchmal wurde ein Leben lang an einem Buch geschrieben. Oftmals waren auch mehrere Schreiber, sog. Händewechsel, tätig.

Der Text wurde, wie im Spätmittelalter üblich, auf grobem Papier in einer elsässischen Mundart des Deutschen geschrieben.

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Als nächstes bekommen wir ein Buch gezeigt, dass kleiner ist, und sich daher zum Mitnehmen geeignet hat. Es ist eine Bibel, die 1270 in Nordfrankreich entstanden ist.
Wir staunen: Zu dem dünnen Pergament kommt noch eine Miniaturschrift und wundern uns, dass diese kleine Perlschrift überhaupt zu lesen ist. Beim Blättern entdecken wir Anmerkungen am Rand, Benutzungsspuren und kleine Buchmalereien. Das Buch stammt aus der Werkstatt der Zisterzienser. Um besser schreiben zu können, wurden Linien eingezeichnet, früher mit Bleistift, später auch mit Tinte.

Annelen Ottermann: „Das Mittelalter war nicht dunkel, wie man immer glauben mag, sondern durchaus farbenprächtig.“
Davon zeugt der leuchtend rote Einband aus Schafsleder.

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Entweder hatten die Menschen früher bessere Augen, oder sie benutzten eine Lupe zum Lesen.

Ein Mittelglied zwischen gedruckten Büchern und Handschriften ist die Einbandmakulatur, die uns Frau Ottermann als nächstes zeigt. Es ist ein 1628 gedrucktes Buch. Der Pappdeckel ist überzogen von Bögen, die nicht mehr gebraucht wurden. Sie zeigen eine liturgische Handschrift.
Ein 1585 gedrucktes Buch der Jesuiten trägt einen Pergamenteinband mit Papierrücken, eine sog. Pergamentmakulatur.

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Als nächstes zeigt uns Frau Ottermann das erste gedruckte Hebammenbuch. Es wurde 1518 gedruckt, das Titelblatt ziert ein Holzschnitt. Es enthält die Anleitung für Hebammen und heißt "Der Swangern frawen und hebammen Rosegarten"

Die altertümlichen Illustrationen erwecken Heiterkeit.

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1598 entstand das mit einem rot gefärbten Pergament eingebundenen erste Kochbuch, das in deutscher Sprache von einer Frau geschrieben wurde.
Es trägt den Titel „Ein Köstlich new Kochbuch.“

Anna Wecker war die Frau eines Arztes, der, so Annelen Ottermann, „offenbar einen schwachen Magen hatte.“ Es enthält auch Rezepte für Kranke.

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Textpassage aus dem Buch: "Ein gut Essen vor krancke und gesunde."

Der Bader und Augenarzt Georg Bartisch schrieb 1583 das erste deutsche Lehrbuch der Augenheilkunde "Ophthalmoduleia“ - Augendienst. Er zeigt darin, wie man mit Augenleiden, z.B. auf dem unten stehenden Bild, dem Schielen, umgeht.
Titel des Buches: Ophthalmoduleia, das ist Augendienst. Neuer und wolgegründter Bericht von Ursachen und Erkenntnis aller Gebrechen, Schäden und Mängel der Augen und des Gesichtes, wie man solchen anfenglich mit geburlichen Mitteln begegnen, vorkommen und wehren, auch wie man solche Gebresten künstlich durch...

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Auch eines der wertvollsten Bücher der Stadtbibliothek bekommen wir zu sehen. Es wurde 1543 in Nürnberg gedruckt und ist in helles Schweinsleder eingebunden.

Auf dem Einband sind die Initialen OHP zu lesen. Frau Ottermann erklärt uns, daß es ein Buch von Ottheinrich von der Pfalz ist, die Erstausgabe des Kopernikus.

Es ist kaum vorstellbar, daß wir ein fast 500 Jahre altes Buch so nah zu sehen bekommen.
Es gelangte von der berühmten Bibliotheca Palatina in Heidelberg nach der Eroberung von Tillys Truppen im 30jährigen Krieg über die Heidelberger Jesuiten nach Mainz.

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Eine weitere Kostbarkeit sind die Bücher, die Jacob Moyat in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Stadt vermacht hat. Jacob Moyat hat ornithologische Bücher, also Bücher der Vogelkunde, gesammelt, die heute teilweise einzigartig sind.

Jedes Buch trägt sein Ex Libris: ein aufgeschlagenes Buch, Vogelbilder an den Wänden, Vögel sitzen in einem Käfig, andere am offenen Fenster. Selbst das Stadtwappen von Mainz ist rechts oben zu sehen.

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1808 wurde in Mainz der „Knigge für Schüler“ gedruckt, „der höfliche Schüler“. Frau Ottermann liest uns zu unserer Freude aus dem kleinen Büchlein vor, das in Reimform Benimmregeln für Schüler enthält. Auch dies ist eine kleine Kostbarkeit.

Zum Abschluss erzählt uns Frau Ottermann, dass die Bibliothek im Krieg wenig beschädigt wurde. Lediglich bei einem Bombenangriff fielen Brandbomben ins Dachgeschoß. Der damalige Direktor der Stadtbibliothek, Aloys Ruppel, hatte verbotene Bücher dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen, indem er sie mit einem Stempel „Zur Zeit nicht ausleihbar“ kennzeichnete und sie im Dachgeschoß verwahrte. Leider verbrannten durch den Bombenangriff eben jene Bücher.

Wir bedanken uns bei Frau Ottermann für die interessante und lehrreiche Führung, die jedoch noch nicht zu Ende war. Ein Teil der Gruppe durfte ins Untergeschoß zu den Buchbinder gehen. Seit 1950 werden die alten Buchbestände, die teilweise in schlechtem Zustand sind, restauriert. Wegen der knappen Kasse der Stadt Mainz können jährlich nicht mehr als 10 – 15 Bücher aufgearbeitet werden. Deshalb gibt es eine Buchpatenaktion, mit der geholfen werden kann, schwer geschädigte Bücher wieder benutzbar zu machen. Hier erfährst Du mehr darüber.

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Die andere Gruppe ging mit Frau Ottermann in den Lesesaal, der sich noch so präsentiert, wie er 1912 gebaut wurde. Hier können Studenten, Wissenschaftler oder Interessierte aus den älteren, vor 1900 erschienenen Bücher vor Ort recherchieren. Die neueren Bestände können im Online-Katalog ermittelt und ausgeliehen werden.

Wer sich über die Mainzer Bibliotheksgesellschaft informieren will, kann dies hier tun.
Die Stadtbibliothek und den Lesesaal kann sich jeder zu den Öffnungszeiten anschauen oder im Rahmen einer Lesung. Die nächste findet am Mittwoch, 2. Mai um 18.30 Uhr statt. Dr. Monika Melchert liest aus "Heimkehr in ein kaltes Land - Anna Seghers in Berlin 1947 bis 1952.

Es war eine gelungene Exkursion in die Mainzer Stadtbibliothek. Gut gelaunt ging es danach in die Martinsstube zum geselligen Ausklang des Nachmittags.

Die Bilder von fidelis45 (Dieter) kannst Du hier sehen.

(eingestellt am 22.4.12)

Autor: Feierabend-Mitglied

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