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Erlebnisse von einem der dabei war!

RCcaptain berichtet als Zeitzeuge von seinen Erlebnissen am 17. Juni 1953.

Es war ein heißer Junitag.
In der Ernst-von-Harnack-Oberschule in Merseburg saß die Klasse 11b3 schwitzend in ihrem Klassenraum, um die letzte Unterrichtsstunde vor dem Mittag „abzusitzen“. Danach wäre für unsere Klasse Schluss für diesen Tag gewesen und ich hätte den Nachmittagszug nehmen können, um nach Hause zu fahren.

Ein eigenartiges Gefühl verbreitete sich unter den Schülern. Es lag gewissermaßen „etwas in der Luft“. Irgendetwas war los und niemand wusste Näheres, auch unser Lehrer, der den Unterricht der letzten Vormittagsstunde leitete, gab uns auf Fragen keine Antwort.
An „Aufmerksamkeit“ war nicht zu denken.

Endlich – die Stunde vorbei, wir strömten nach draußen.
Auf dem Heimweg war unser FDJ-Hauptsekretär der Schule nicht wie üblich in voller FDJ-Kluft, sondern in Zivilkleidung.
(Gebe aber zu, dass wir diese Kleiderumstellung erst am nächsten Tag rückwärtig richtig registriert haben!)

Gleich nach Verlassen der Schule, den Berg hinab Richtung Stadt, geschah „etwas Ungeheuerliches“: einige jüngere Männer in Arbeitskleidung hatten an einem Gebäude eine Leiter angelehnt und rissen ein großes Transparent mit einem sozialistischen Sinnspruch (dass wohl der Sozialismus siegt) von der Wand. Ein Vergehen, das für uns nur denkbar war, wenn man nach einigen Jahren „gesiebte Luft“ Sehnsucht hatte.

Während wir die Aktion noch mit offenen Mündern bestaunten, rief einer - auf mich zeigend - seinem Kumpel zu: „nu gugge ma dô, der hat sich scho degrôdiert!“
Da erst begriff ich, was er meinte.
Ich hatte das für die Wärme gut tragbare blaue FDJ-Hemd an, welches von meiner Mutter erst frisch gewaschen wurde und, da sie die Schulterstücke und das aufgenähte FDJ-Emblem entfernt und noch nicht wieder angenäht hatte, war ich also „degrôdiert“.
(Vielleicht gut so, sonst hätte ich durchaus eine Tracht Prügel beziehen können).

So allmählich erfuhren wir mehr.

Die Leuna-Pälzer streikten und zogen in großem Demonstrationszug gen Merseburg.
(Übrigens hab ich erst viel später diesen Begriff „Leuna-Pälzer“ richtig verstanden, als mir bewusst wurde, dass Leuna lang nach BASF in der Pfalz als Chemiewerk entstanden ist und zu jener Zeit viele Mitarbeiter aus der Pfalz hierhin wechselten).

Im Zentrum Merseburgs angekommen, trafen wir auf die Demonstranten, unter denen ich auch meinem Vater begegnete, der in Leuna beschäftigt war. Wir reihten uns einfach ein und zogen mit.
Keiner wusste wo es hingehen sollte, aber mit einigen „Vorndrandemonstrierern“ landeten wir am Polizeigebäude und Gefängnis.
Alle Polizeibeamten waren beizeiten längst nach Hause gegangen und das Gebäude stand leer. Ein Umstand für die wütende Menge „mal richtig die Sau rauszulassen!“ (dieser passende Ausdruck stammt aber aus meiner heutigen Heimat HOHENLOHE…..lach).

Durch alle Fenster flogen Akten, Ordner, Bücher und Papiere, anschließend noch die Möbel, soweit sie „zerkleinert“ werden konnten, um durchs Fenster zu passen. Unten wurde kräftig gezündelt und bald stand alles unter Feuer.

Tage später erfuhren wir, dass in Halle ein treuer Partei-Polizist den „Mob“ allein aufhalten wollte. Er bekam eine Woche später ein „Staatsbegräbnis“.

Einen Tag später war zumindest um Leuna/Merseburg wieder alles ruhig. Die Arbeiter gingen in Leuna wieder zur Arbeit, vor dem Haupttor stand ein sowjetischer Panzer mit Kanone auf den Eingang gerichtet.
Vor der Oberschule ein Sowjetsoldat mit Kalaschnikow mit dem wir gern unsere erworbenen Russischkenntnisse ausgetauscht hätten, wären wir nicht mit „dawai-dawai“ verjagt worden.
Später sagte man uns, dass die „armen Kerle“ selbst nicht wussten, „wo der Feind“ eigentlich war.

In der Schule stand eine schriftliche Arbeit an. Wir wurden von den Lehrern gefragt, ob wir dagegen streiken wollten.
Toll, wir hätten nicht schreiben brauchen!
Aber der Lehrer hat uns überzeugt, das nicht zu tun, da wir ja wohl auch für später nicht drum herum kämen und er wisse das Thema sei leicht.
RCcaptain / Willibald

Autor: RCcaptain

Herzlichen Dank für Deinen Bericht!

RCcaptain / Willibald hat mit seinem Bericht dargestellt, wie sich die Demonstrationen außerhalb Berlin's abgespielt haben; für einen 17-jährigen Oberschüler waren dies wohl ziemlich aufrüttelnde Erlebnisse. Da sich im Raum Merseburg die sehr großen Industriewerke Leuna und Buna befanden, hätte das wohl auch sehr viel grössere Auswirkungen haben können.
Nicht zuletzt wegen der Diskussion um die Wiedereinführung dieses Tages als Feiertag und weil dieses Thema bei uns im Forum auch andiskutiert wurde, ist dieser Bericht von Willibald mehr als aktuell.
Um Euch die Ereignisse des 17. Juni 1953 noch einmal in Erinnerung zu bringen, hier ein Link zu Wikipedia mit einer ausführlichen Darstellung.

Hier geht's zu Wikipedia!

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Regional > Hohenlohe > Erlebnisberichte > 17. Juni 1953