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Ukrainekrise und Energiepolitik

Von Nador 29.05.2022, 16:08

Im August des Jahrs 1968 waren auf der Umschlagseite des britischen Magazins „Economist“ russische Panzer und Soldaten zu sehen, die sich im Wald versteckten, und die Schlagzeile darunter lautete: „Are the Russians coming or going?“ Natürlich sind die Russen dann „gekommen“; die Beherrschung fremden Gebiets gehört zu ihren historischen Gewohnheiten. Nicht einmal den „Prager Frühling“ konnte die damalige Sowjetunion hinnehmen und hat ihm mit brutaler Gewalt ein Ende bereitet. Wir Deutschen möchten uns wegen der unglückseligen Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg über den aggressiven Charakter Russlands gerne hinwegtäuschen. Aber Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt nicht nur Deutschland, sondern die gesamte westliche Welt, die Beziehungen zu Russland neu zu überdenken.

Als Russland vor rund drei Monaten in die Ukraine einfiel, hatte dies kaum jemand für möglich gehalten. Putin sei eben eine Art „negativer Sonderfall der internationalen Politik“, wurde mir im Gespräch mit einem Bekannten damals vorgehalten. Bald wäre er weltweit isoliert, hätte die ganze Welt gegen sich und müsse einsehen, dass er sich mit seiner Politik verrannt habe und es für ihn nur einen Ausweg gebe, nämlich den Angriff gegen die Ukraine wieder zu beenden und seine Wahnvorstellungen von einer neuen russischen Vormachtstellung in Osteuropa aufzugeben. Aber bereits jetzt ist klar erkennbar, dass Putin und sein Regime keineswegs politisch isoliert sind. Und es könnte sogar umgekehrt der Fall eintreten, dass Europa und die USA in Sachen Ukraine nicht nur Russland, sondern die gesamte restliche Welt gegen sich haben. Die Beziehungen zwischen Russland und China seien noch nie so gut gewesen wie gerade jetzt, wird von diesen beiden Grossmächten immer wieder betont. Aber auch viele Länder der Dritten Welt registrieren mit klammheimlicher Freude, dass die Industrieländer westlicher Prägung und ihr ressourcenverschwendender hedonistischer Lebensstil endlich unter Druck geraten. Es sind vor allem die Habenichtse unter den sogenannten Entwicklungsländern, die den „Westen“ und seine Grossunternehmen für die eigene Misere verantwortlich machen. Für diese Misere gibt es zwar noch viele andere, „hausgemachte“ Gründe. Aber das Argument, dass die Politik des „Westens“ nach wie vor dazu dient, die Dritte Welt auszubeuten, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich habe mich viel mit Afrika befasst und schon vor Jahrzehnten festgestellt, dass beispielsweise in Kamerun sämtliche nennenswerten Firmen sich in französischem Eigentum befinden. Der Franc CFA, die Währung des französisch dominierten Teils von Afrika, wird von Paris aus gesteuert und zum eigenen Vorteil manipuliert. Das Argument der neokolonialistischen Ausbeutung ist ernst zu nehmen. Es ist, so pauschal und plakativ daher gesagt, unzulässig vereinfacht; aber es ist bezüglich seiner Kernaussage korrekt.

Das Schlüsselwort zur Behandlung der Probleme, die sich die westliche Welt unter Führung der USA geschaffen hat, heisst Energie. Russlands Druckmittel auf den Westen ist seine starke Stellung als Rohstoff- und Energielieferant. Bei der Produktion, dem Import, der Verteilung und dem Verbrauch von Energie müssen wir ansetzen. Hinzu kommt natürlich die Notwendigkeit des Kampfs gegen die globale Klimaerwärmung. Unsere derzeitige Regierung hat das Problem zwar erkannt. Sie bewegt sich aber nach wie vor in einem politischen System und unter wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, unter denen allenfalls Teilerfolge erzielt werden können. Wir brauchen etwas Neues und müssen radikal umdenken. Ein deutscher Ingenieur, Karl-Heinz Tetzlaff, hat schon vor vielen Jahren in seinem Buch „Bio-Wasserstoff“, eine Strategie zur Befreiung aus der selbstverschuldeten Abhängigkeit vom Öl“ einen detaillierten Vorschlag gemacht, was getan werden könnte. Wir hätten dieses Konzept schon längst aufgreifen und prüfen müssen, ob der von ihm vorgezeichnete Weg einer wärmegeführten Wasserstoffwirtschaft mit der parallel dazu erfolgenden Entwicklung und Einführung von Brennstoffzellen grosstechnisch machbar ist und welche technologischen Hindernisse dabei noch zu überwinden wären. Das Problem besteht unter anderem darin, dass sich die sogenannten Experten der Energiewirtschaft eine thermische Produktion von Wasserstoff aus pflanzlichen Rohstoffen überhaupt nicht vorstellen können. Auch ich muss gestehen, dass ich lange Zeit zu diesen Pseudo-Experten gehört habe, bin aber jetzt überzeugt, dass wir herausfinden müssen, ob es in der Praxis funktioniert. Es braucht keine neuen Ideen. Es braucht zum einen den politischen Willen, dieses Konzept endlich umzusetzen. Es braucht zum andern aber auch Unternehmen, die sich an langfristigen Zielen orientieren und die bereit sind, bei ihren Investitionsentscheiden einer wirklichen Erneuerung der Energiewirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen. In einer Gesellschaft, die nicht einmal in der Lage ist, im Bereich des Verkehrs ein Tempolimit auf Autobahnen zu statuieren, ist dies natürlich reines Wunschdenken.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit seinen energiepolitischen Nebenaspekten ist vielleicht nur der Vorbote grösserer und schwererer Krisen, mit denen die Menschheit noch konfrontiert werden wird. Vor allem dann, wenn wir gedankenlos in grossem Stil am Verbrauch fossiler Brennstoffe festhalten und wenn wir fortfahren, uns über die Flüchtlingsströme aus Afrika und anderen Gegenden zu beklagen, aber jede wirkliche Solidarität mit der dortigen Bevölkerung vermissen lassen. Russisches Naturgas durch amerikanisches „Fracking“-Gas oder Flüssiggas aus den Golf-Staaten zu ersetzen, ist ein kurzfristiger Notbehelf, mehr nicht. Wie geht es aber langfristig weiter mit dem Thema Energie? Und wie geht es weiter mit unserem Wirtschaftssystem? Das liberale Wachstumsmodell unserer westlichen Volkswirtschaften ist im Scheitern begriffen. Denn es ging stillschweigend davon aus, dass billige Energie in Form von billigem Öl, billigem Erdgas und billiger Braunkohle in beliebigen Mengen und auf unbegrenzte Zeit zur Verfügung stehen würde und dass fossile Energieträger ohne Folgen für Umwelt und Klima verbrannt werden könnten. Diese Periode ist jetzt vorbei. Klare Antworten auf die sich jetzt stellenden neuen Herausforderungen sind aber nicht in Sicht. Die Förderung von erneuerbaren Energien ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er wird aber nicht genügen.

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