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Auf der Hochebene

Eine Erzählung aus dem Leben eines Wanderers zwischen den Welten.

Der Weg führte über eine Hochebene, die nur spärlich mit windschiefen Birken, grünnadeligen Latschen, auf deren Spitzen gelbblühenden Kerzen steckten und mit Ebereschen, die dicht mit roten Beeren voll hingen, bewachsen war.
Das bläuliche harte Gras bildete kleine büschelige Inseln, die wie Nordsee-Halligen zwischen der reich blühenden Erika schwammen.
Wollgras und Weideröschen hatten ihre Dolden bereits in wehenden Flachsfahnen verwandelt und warteten vergeblich auf fleißigen Spinnerinnen, die ihnen die Wolle abpflückten. Aber der Wind hatte ein Einsehen und blies die weiße Pracht wie flauschige Federn über die Ebene.
Der torfige Moorboden war so nachgiebig, dass das Laufen auf ihm angenehm wie auf einem dicken Teppich war.

Der einsame Wanderer konnte nicht anders, er wollte die lebendige Erde unter seinen Füßen spüren, zog seine schweren Bergschuhe aus und ging barfuß über diesen weichen warmen bebenden Boden, der sorgenden Mutter dieser großartigen Natur.
Fast in der Mitte des Hochmoores wuchs eine riesige alte Schwarzwaldtanne. Ihre wie bei einem Adlerflügel durchgeschwungenen ausladenden Äste hingen fast bis zum Boden und verkürzten sich gleichmäßig, umso weiter sie sich nach oben zu zu einer Spitze formte, an der hunderte braune reifen Zapfen hingen, angefüllt mit trächtigem Samen für viele, viele Nachkommen.
Wie wenn Kinder einen Weihnachtsbaum malen, dachte der Jakob; und da er gerade eine tüchtige Mütze Müdigkeit verspürte, überlegte er sich, ob er hier nicht rasten wolle.
Sein Mahl war einfach und bestand aus dunklem, in einem Holzofen gebackenen Bauernbrot und einem krummgewachsenen narbigen Apfel von der mit Morgentau erfrischten Wiese, die er beim Anstieg vom Tal aus passieren musste.

Der Schlaf klopfte bei ihm an. Ein dickgewachsenes Moospolster, welches sich unter dem hundertjährigen Schutz der Tanne gebildet hatte, bot sich ihm als himmlisches Lager.
Nebenan sorgte duftendes Heidekraut für einen heilsamen Schlummer. Für Jakob konnte sich kein besseres Bett finden, in dem man so friedlich liegen konnte. Dicke pummelige Erdhummeln, die Blütenhonig sammelten, summten ihm ein Wiegenliedchen und Jakob schloss seine Augen, geborgen wie in Abrahams Schoß.
Der auf- und abschwellende Mittagswind rauschte in den mit grauen, langen, geisterhaft aussehenden Moosbärten behangenen Tannenästen und bewegten diese wie aufgespannte Rahsegel hin und her.
Wenn man wollte, konnte man sich an diesem Ort an irgendeinen Meerstrand träumen, an dem die Wellen ihr ewiges Lied rauschten, oder dass man vom Wind getragen auf weißen Wolkenschiffen sitzend davon flog – immer höher, immer weiter, fort und fort.
Das tat Jakob und er schlief tief und fest, sicher gebettet wie im Schoß einer Frau, die den Schlaf ihres Geliebten bewacht.

Im Schlummer fiel ihm bei dem Tannenrauschen die Geschichte vom Köhler Munk Peter, dem Glasmännlein und dem bösen Holländermichel ein.
Er dachte darüber nach, ob sein Herz auch so kalt sei und er kein Mitleid mehr verspüren könnte. Wovon war er weggelaufen? War es sein grenzenloses Streben nach Macht über die ihm anvertrauten Menschen? War es die Sucht, nur an Geldvermehrung zu denken und sich an dem Reigen um das Goldene Kalb zu beteiligen?

Aber das alles hat er längst abgestreift und eines Tages wollte er wieder zurück, gerade noch rechtzeitig, bevor sein Herz, welches bereits zu einem großen Teil aus kaltem grauen Granit bestand, ganz zu Stein wurde. Plötzlich verlangte es ihn wieder zum kleinen Jakob zu werden. Niemand verstand ihn, niemand wollte ihm zuhören. Warum Jakob, du hast doch alles, was ein Mensch sich nur wünschen kann!

Bei Nacht, wie ein Dieb, schlich er sich davon aus all dem Luxus, der ihn fast zu einem seelischen Krüppel hätte verkommen lassen.
Und nach vielen Tagen seiner ruhelosen Wanderschaft merkte er langsam, wie sein Mitleid wieder zu ihm zurückfand, wie sich der Granitklotz in ihm langsam wieder in mehr und mehr Herzwärme zu verwandeln begann. Jakob wurde wieder Jakob. Er, Jakob, hatte alles aufgegeben, was der Menschheit so wichtig schien und er lebte so frei wie ein Vogel vom Tag zur Nacht und von der Nacht zum Tag.
Ab und zu, wenn er etwas Geld benötigte, half er bei Bauern oder Handwerkern aus, aber dann trieb es ihn wieder fort in seine selbst gewollte und selbst gewählte Einsamkeit.


Jakob hatte eine gute Zeit geschlafen, als er unsanft geweckt wurde. Tannenzapfen fielen aus der Höhe auf ihn herunter. Zuerst dachte er an den riesigen Holländermichel, der die alte Tanne schüttelte und rüttelte um ihm Angst einzujagen, aber dann erkannte ganz oben im Wipfel ein rötlichbraunes Eichhörnchen, welches sich die Samen der reifen Zapfen schmecken ließ und ihm die leeren Hüllen zudachte.

Jakob musste lachen, bedankte sich bei dem rotbraunen schwanzbuschigen Kobold für das Wecken, denn die Sonne hatte schon Tiefstand und er wollte ein gutes Stück Weg weiter. Noch etwas schlaftrunken rappelte er sich auf, zog seinen Bergschuhe an, stopfte den Rucksack, warf ihn sich über den Rücken und ging auf dem schmalen Pfad dorthin, wo die Sonne bald untergehen würde.


Erzählt „Aus Jakobs Wandertage“

Landschaft

Autor: Fiddigeigei

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