Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Und dann kam Leon...

Wenn ich zurückdenke, ist es eine bittersüße Zeit, der Weg vom Kind zur Frau.

Elterliche Gewalt, himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, der erste „richtige“ Kuss von einem Mann, die Zungen spüren sich streichelnd. Verbote, Heimlichkeiten, Ohrfeigen und süchtig, nein gierig, nach dieser unbekannten Zärtlichkeit.
Herbst, ich erinnere mich gerne an den Herbst… dieser Duft des bunten Sterbens. An das Leid des Liebeskummers, die murrenden Füße nach einem langem „Stöckeltag“ und die Sorge nicht hübsch genug zu sein.
Aufmüpfig war ich und die Lüge meine Komplizin, denn nichts war richtig, ich war falsch.

Eine andere Tochter wünschten sie sich, eine so brav und vernünftig wie Gaby… nimm dir ein Beispiel! Vernunft annehmen, was sollen sonst die Leute denken? Wenn ich mit feuerroten Haaren daherkäme, sei ich ein Flittchen, meinte der Vater.
Die Verwandten und Bekannten der Eltern, doch die Eltern vor allem, favorisierten Gundolf, einen jungen Beamten, als den für mich „richtigen“ Ehepartner. Mein Bauch aber schrie: „NEIN, DIESER NICHT!“
Und heiratete ihn dennoch, so nach dem Motto "Heiraten kann ich ja ruhig mal", die noch halbwegs unbeschwerten Tage waren jedoch ab da an passé...

Und als nun beringte Frau erwartete mich nach ein paar Monaten eine meiner unvergesslichsten Nächte. Oder genauer, die von Sonntag auf Montag anno 1965, der Geburtstag meines ersten Kindes.


Soll heißen, vereint mit Hanna, meiner Hebamme, durchlitt ich stundenlange Qualen. Hanna saß geduldig an meinem Bett und ich schrie in Abständen den höllischen Schmerz derweil gegen die nackte weiße Wand. Es hieß, dies sei „normal“. Und immer, wenn eine Wehe drohte mich heftig zu überrollen, versuchte ich ihr entgegen zu rennen um sie zu empfangen, doch vergaß regelmäßig dabei zu atmen und irgendwann vergaß ich dann auch mich selbst.
In dieser Nacht mein verlässlichster Gefährte war ein unbeschreiblicher Schmerz sowie Hanna, die gelassen in ihrer Lektüre blätterte und stumm hin und wieder meine völlig verkrampfte Hand tätschelte.
"Ich will nie wieder ein Kind“, stöhnte ich verzweifelt… „Jaja, bekomm jetzt erstmal dieses eine“, meinte die kinderlose Hebamme trocken.

Der Vater des nicht kommen wollenden Kindes schlief derweil friedlich zu Hause.

Ein Montagmorgen graute und das Kind fand einfach nicht den Weg aus mir, doch endlich erschien ER gänzlich schlafzerknittert. Der Messias, äh rettende Arzt und erbarmte sich unser. Nachdem Hanna ihm in knappen Sätzen den bisherigen Verlauf geschildert hatte, gewährte er mir gnädig die Erlöserspritze tief in die Vene meines linken Armes, dann durfte ich endlich sterben.
Spürte nicht mehr wie er mich aufschnitt und verdöste völlig den Augenblick, als mein Sohn diese Welt begrüßte.

Dann Stimmen im Nebel, ein Kind schrie aus Leibeskräften, der Doktor nähte stoisch mein Fleisch. Ich fühlte mich leicht, schwebte schmerzlos, kraftlos in fernen Sphären.

Bis ich plötzlich begriff ich, das was da schrie, das ist ja mein Kind!
„WAS–IST–ES?“
„Ein Junge!“
Ein kräftiger Junge. Hanna schob mir ein rotes und verknautschtes Menschlein in den Arm. Mein Sohn ganz warm und er wird irgendwann Mutter zu mir sagen, mon dieu, ich bin jetzt „EINE MUTTER!“.

Nachdem sämtliche Blutspuren beseitigt waren, empfing mich frisches unschuldiges Bettzeug, um 12:00 Uhr mittags kam endlich der Vater und hielt mir ein Sträußchen roter Bartnelken vors Gesicht.

„Sieht man ES?“.
„Was denn?“.
„Sieht man es mir an, dass ich nun eine Mutter bin?“
„Neee, gar nicht.“, lächelte Gundolf.
Ach, er ahnte ja nichts von „unserer" Nacht… doch wollte er es überhaupt wissen?
Auf seinem Arm nun der 12 Stunden alte Sohn... und ja, den hat uns heut am frühen Morgen der Klapperstorch gebracht!

Foto einer Mutter mit Baby aus den 1960ern

Autor: galen

Artikel Teilen

 

Artikel bewerten
4 Sterne (14 Bewertungen)

Nutze die Sterne, um eine Bewertung abzugeben:


55 20 Artikel kommentieren
Themen > Unterhaltung > Kolumnen, Anekdoten und Co > Aus dem Alltag von Galen > Und dann kam Leon...