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Tintenfass und Federmäppchen

Katholische Volksschule 1950. In der Ecke des Klassenraumes ein alter Ofen, welcher vom Hausmeister Helmich vor Beginn des Unterrichtes beheizt wurde.
Die Flammen loderten knisternd, es qualmte mächtig, wir zogen unsere Mäntel aus, legten den Griffelkasten neben die Schiefertafel, welche uns im ersten Schuljahr dazu diente, Buchstaben zu üben.

Der zurückliegende unselige Krieg bescherte einen enormen Lehrermangel, ein sogenanntes "Notprogramm" bildete im Schnellverfahren Lehrer aus, wir Kinder wurden beschenkt mit einem kunterbunten Kollegium.
Verschiedene Hilfsorganisationen spendierten uns eine Schulspeisung, welche wir in der großen Pause auf dem Schulhof löffelten, es gab meist Grießbrei mit Rosinen, unsere Henkelmänner oder Einweckgläser wurden gleichmäßig gefüllt, auch der Kakao schmeckte vorzüglich, dazu gab's ein helles Brötchen.

Zum Schulalltag gehörte auch die sogenannte "Prügelstrafe", "freche Jungen" wie Karl Heinz, der sich, bevor die Strafe vollzogen wurde, vor den Lehrer kniete und um Verschonung flehte (Was ihm nichts nützte), musste sich bäuchlings über die vorderste Schulbank legen, sein Lederhosenboden wurde stramm gezogen und er bekam derbe Stockschläge auf sein Hinterteil, alle Klassenkameraden sahen schweigend dabei zu.
Wenn die Mädchen während des Unterrichts kichernd tuschelten, gab es mit einem dünnen Rohrstöckchen brennende Hiebe auf die Handinnenflächen.
Manche Lehrer zogen mit Vorliebe fest am Ohrläppchen, drehten es gemein zwischen Daumen und Zeigefinger, so dass das Opfer mit schmerzverzerrtem Gesicht auf Zehenspitzen neben dem Lehrer bis hin zur Tafel tänzelte, dann gab es noch eine "Kopfnuss" und danach durfte der Betreffende wieder seinen Platz einnehmen.

Udo, ein schmächtiges Kerlchen, ärmlich gekleidet in grobem Stoff, welcher sicher mal seinem Vater als Anzug diente. Dieser Vater stürmte eines Tages in den Klassenraum, zog Udo aus der Schulbank, und prügelte ihn bis vorne ans Lehrerpult, dort ließ er von ihm ab, immer noch wutschnaubend.
Udo wischte sich seine Rotznase und Tränen ungelenk an den Ärmeln ab und stand dort hilflos allein, wir Kinder erstarrt vor Angst. Der Vater verließ dann wieder den Klassenraum und niemand wusste weshalb Udo verprügelt wurde.
Ich verheimlichte körperliche Züchtigungen seitens der Lehrer meinen Eltern, denn diese gaben stets dem "Lehrkörper" recht. Auch als ich mir die brennende Backpfeife von Frl. Ahlemeier fing, weil ich drängelte und dabei einen Mitschüler umschubste, wagte ich es nicht, dies zu Hause zu beklagen.

Die "Flüchtlinge", welche aus ihrer Heimat vertrieben wurden und im Westen Deutschlands Zuflucht suchten, trugen dazu bei, dass unsere Klassen völlig überfüllt waren, zeitweise zählten wir über 40 Kinder in einer Klasse.
Die katholische Schule war nun verpflichtet auch sogenannte "Heidenkinder" aufzunehmen.
Diese durften nicht mit uns zusammen beten, während wir, die Kinder des "wahren Glaubens", jeden Morgen vor dem Unterricht stehend Gott zu loben hatten, mussten sie sitzend, zwischen uns warten, bis das Gebet beendet.

Glühend beneidet wurden solche Schüler, die schon "gekaufte Kleidung" trugen, bunte Karomusterkleider, flauschige Wintermäntel und Pullover gestrickt mit weicher Wolle. Welch ein Unterschied zu den zurechtgeschneiderten ausrangierten Kleidungsstücken der Erwachsenen oder gar alten Übergardinen, welche zu schade zum Wegwerfen waren.
Und huldvoll scharte sich die gesamte Klasse um Dodo oder Axel, deren Väter Arzt bzw. Studiendirektor waren, sie, die Lieblinge der Lehrer, wurden stets milde benotet, obwohl sie mitteldoof waren.

Zeitweise fand der Unterricht in zwei Schichten statt, morgens von 8:00 Uhr bis 13:00 Uhr oder nachmittags von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr.
Ich besuchte gern den Nachmittagsunterricht, besonders im Winter, denn sobald es draußen dunkel wurde, zündete Lehrer Erber eine Kerze an, welche auf dem Pult stand und legte ein paar Zweige der Tanne dazu, wir sangen dann gemeinsam – nein – kein Weihnachtslied, sondern "Der Mond ist aufgegangen"...
Kräftige Kinderstimmen trugen den wunderschönen Text von Matthias Claudius vor, die Stimme unseres Lehrers jedoch, klang etwas brüchig fast wehmütig.
Heute weiß ich warum. Dieses Lied erinnerte ihn an seine verlorene Heimat Schlesien.

alte Schulbank

Autor: galen

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