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Brief an Vera

Hallo Vera...

Danke für deinen Brief, ich habe lange nichts mehr gelesen von dir, und nun solch eine traurige Nachricht, Dieter ist tot, der Dieter, welcher mir den ersten „Männerkuss“ schenkte? „Prinz Kämpferherz“ ist nicht der Erste, welcher schon in die ewigen Jagdgründe verschwand, unsere Clique schmilzt dahin.

Ich habe dir ebenfalls eine Todesnachricht zu vermelden, Frau Eckauf, du erinnerst dich vielleicht, welche ein Mitglied dieser Kartenrunde war, der auch meine Eltern angehörten, ist friedlich im 98zigsten Lebensjahr entschlafen.
Diese Frau hatte ständig Zoff mit Frau Behrbaum, die ich wiederum sehr mochte, denn ich bewunderte ihre Eleganz. So vornehm wie sie konnte niemand eine Zigarette zum rot geschminkten Mündchen führen. Und einmalig, wie sie die an den Lippen anhaftenden Tabakkrümel mit spitzer Zunge und einem schnellen „p.. t … t … ü.. h..“ in die Luft schnippte.

Herr Humpe trug seinen Schmiss, welcher sich schräg unterhalb der linken Wange abzeichnete, gleich einem Orden. Gebildete Bürger waren beim Anblick dieser Narbe (die Folge einer Mensur der schlagenden Verbindungen) geneigt, unterwürfig Respekt zu zollen. Doch nicht so mein Vater, dem alten Sozi war einfach nix heilig.
Frau Humpe die Gattin des Gezeichneten, eine kindlich-fröhliche Person, einst in Dresden ansässig, jetzt eine „Vertriebene“, aß gerne und im Besonderen den Kuchen, den meine Mutter buk und diesen servierte an jenen Abenden, an denen die Kartenrunde in meinem Elternhause stattfand. Gegen 22:00 Uhr wurde ein halbes Stündchen pausiert, dann gab es die herrliche Torte samt Bohnenkaffe.

Sahne-Nuss-Torte

Ja, du wirst staunen, Vera, Kuchen und Kaffee, zu solch später Stunde. Frau Humpe tippte flink mit ihrem Zeigefinger mitten in den Buttercremetraum, sobald meine Mutter diesen, aus der Küche kommend, zum Tische trug, „dies Stück bekomme ich“ rief sie spitzbübisch triumphierend.
Herr Eckauf nuschelte und wackelte dabei fast unmerklich mit seinem Kopf, er stammte aus Schlesien, genauer gesagt aus Breslau. Nun hatten die Dresdener mit den Breslauern nicht so viel gemein, doch man befand sich auf neutralem Boden, und zwar auf Westfälischem.
Herr Behrbaum, der Ehemann dieser Frau, welche ich bewunderte, hatte ein loses Mundwerk und war dem Schnaps nicht abgeneigt, zum Leidwesen seiner bezaubernden Gattin, diese entstammte einer alten Schifferfamilie, welche ansässig in Bergeshövede war.
Manchmal wurde hitzig debattiert am Kartentisch, und sämtliche Register gezogen, die vornehmen Dresdener (Meissner Porzellan und Schmiss an der Backe) waren der CDU geneigt, mein Odenwälder Vater, ein strammer SPD -Genosse, Herr Eckauf aus Schlesien, welcher bestens versorgt Dank des Eisenbahnzentralamtes und dessen leicht zänkische Ehefrau, die Tochter eines Breslauer Apothekers, wählten die BHE, Herr Behrbaum, ursprünglich beheimatet in Soest, sprach der DFU zu.
Gleichzeitig wurden die Spielkarten heftig gemischt, verteilt und gemeckert übers schlechte Blatt, Wortfetzen flogen, es schien ein jeder sprach mit sich, kehliges Gurren, Frau Behrbaum hatte Glück, Herr Humpe mürrisch, jedoch stramm Haltung bewahrend, meine Mutter, eine rheinische Frohnatur begnügte sich damit, die gefächerten Karten in ihrer Hand zu beschimpfen. Meist jedoch verbrachten diese ja so unterschiedlichen Charaktere die Abende
friedlich.

Dann ereignete sich dies Drama in der weitläufigen mit kostbaren Teppichen ausgestatteten Altbauwohnung des Ehepaares Humpe.
Der Wellensittich Hansi, welcher die putzigsten Worte beherrschte, ein Liebling der Familie, und helle Freude aller, die ihm begegneten, hüpfte spaßig außerhalb seines Käfigs, an jenem denkwürdigen Abend auf diese und jene Schulter. Mir wurde berichtet, dass dies muntre Vögelchen auch hin und wieder arglos auf dem Teppich herumspazierte.

Und während Frau Humpe das silberne Tablett mit den leckeren Schnittchen hereintrug, maß sie diesem dumpfen „Knacks“ unter ihrem rechten Fuß, keinerlei Bedeutung zu.
Bis…, ja…, bis… Frau Eckauf entsetzt mit sich überschlagender Stimme rief, der Hansi, oh je der Hansi und auf den Boden zeigte.
Nun schauten alle auf jene Stelle des Saroughs und entdeckten diesen platten blauen Federklecks, sowie ein Köpfchen seitwärts verdreht plus zwei lebloser Vogelbeinchen.

Vera, ich möchte hier nicht weiter erläutern wie sehr dieser Vorfall über Wochen und noch darüber hinaus die gesamte Kartengemeinschaft
in aufrichtiger Trauer vereinte.

Nun sei herzlichst gegrüßt von deiner alten Freundin
Paula, die sich auf eine baldige Antwort freut.

Autor: galen

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