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Riesa, September 2004




Autoreifen und Musik


Jeder kennt das Geräusch schnell rollender Autoreifen auf Asphaltstraßen. Wenn gleich
dabei durchaus Polyphones zu hören sein kann und manch einer ins Schwärmen gerät, wegen der in Töne umgesetzten Geschwindigkeit, sind es doch nichts anderes als Konstruktionsfehler der Reifenentwickler. Heute werden "laute" Reifen immer seltener, denn geringe Abrollgeräusche gehören inzwischen zu den Grundforderungen, die ein Reifen erfüllen muß.
Hier soll aber nicht über Töne gesprochen werden die ein Reifen verursachen kann, sondern über die langjährigen Beziehungen zwischen den Orchestermitgliedern der Riesaer Elbelandsinfoniker und den Reifenwerkern. Unter dem Titel " Das müßte doch zu machen sein" produzierte Radio DDR mehr als 20 Jahre eine beliebte Sendereihe. In jeder Sendung wurden Dörfer, Städte und ihre Menschen vorgestellt. Für den März 1983 hatte sich die Rundfunkcrew unter Leitung von Hilmar Süß für Riesa angesagt. Man hatte vor auf der Bühne zwischen den beiden Großbetrieben des Territoriums, dem Stahlwerk und dem Reifenwerk, wie schon einmal im September 1969, einen kulturellen Wettstreit auszutragen. Unter anderen standen eine Quizrunde, eine dichterische Äußerung und ein musikalischer Beitrag im Regiebuch. Das Reifenwerk hatte zu dieser Zeit 66 Brigaden, Arbeitskollektive in denen jeder jeden kannte und in denen gemeinsame Freizeiterlebnisse nichts Außergewöhnliches waren. Welche Brigade das Werk in diesem kulturellen Wettbewerb vertreten sollte war zunächst umstritten. Schließlich entschied man sich für die Brigade P R O F I L. Sollten doch die Forscher des Betriebes einmal zeigen, dass sie nicht nur mit Messgeräten , Rechnern und Schreibmaschinen umzugehen verstanden.
Dem Stahlwerk wie dem Reifenwerk wurde Gelegenheit gegeben sich auf ihre Beiträge unter Hinzuziehung von Fachleuten vorzubereiten. Das Reifenwerk gewann für die dichterische Aufgabe Hans Georg Stengel vom Eulenspiegelverlag und für den musikalischen Teil Reiner Hrasky vom Riesaer Sinfonieorchester.
Jeder wußte, daß das Ganze nur ein Spiel war und dennoch waren alle stolz, als das
Reifenwerk den Sieg davon trug. Dazu hatten das Stengelgedicht über Helmut Schwenke und die Hrasky-Komposition zusammen mit einem improvisierten kleinem Reifenwerkerchor wesentlich beigetragen.
So ganz nebenbei entstand damals auch der Gedanke die einmal entstandenen freundschaftlichen Kontakte zwischen Industriearbeitern und Kunstschaffenden fortzusetzen. Klassische Musik war früher ein Privileg gut bürgerlicher Familien. Das lag sicher daran, daß Arbeiterkinder überhaupt nicht oder zu spät an gute Musik heran geführt wurden.



Foto: Die Neue Elbland Philharmonie

Das wollten wir ändern und waren uns sicher, daß es auch gelingen könnte zunehmend Erwachsenen das große Musikerbe näher zu bringen. Eine Patenschaft, wie es damals üblich war, schuf den äußeren Rahmen und es kam in den siebziger und achtziger Jahren zu zahlreichen Begegnungen bis hin zu Werkvorstellungen , Probenteilnahmen, Betriebsbesuchen und Diskussionsrunden. Selbstverständlich waren dabei die Musiker stärker der gebende Teil. Zum Beispiel die einführenden Worte vor einem Konzert durch Herrn Steiner oder später durch Herrn Hamann trugen viel dazu bei aus "Musikduldern" " Musikbedürftige" zu machen. Allein in der Brigade „PROFIL“ stieg die Zahl der ständigen Konzertbesucher von anfänglich 2 in wenigen Jahren auf 12. Aber auch für manche Musiker war die Begegnung mit dem Takt der Produktion, mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Reifenwerker eine Bereicherung. Gute Beziehungen zum Reifenwerk hatten zudem einen wunderbaren Nebeneffekt.
A
ls Verantwortlicher für die Reifenerprobung bin ich unzählige Male darauf angesprochen worden unseren Patenschaftsvertrag auch rollend mit Leben zu erfüllen. Das Werk nahm 1970 die Produktion von Radialreifen auf und diese erfreuten sich überall allergrößter Beliebtheit. Herr Stengel und einige der Orchestermitglieder konnten sich im Rahmen von Erprobungsverträgen davon überzeugen.
Wir wußten, daß die meisten der Orchestermusiker Hochschulabschluß hatten und daß ihr Verdienst demgegenüber sehr bescheiden war. Die dennoch immer wieder bewiesene Berufstreue forderte unsere besondere Hochachtung heraus und brachte es mit sich, dass wir stolz auf die Leistungen unserer Musiker waren auch wenn der Anteil ortsansässiger Orchestermitglieder immer mehr zurück ging.
Im Jahr 2005 wird das Orchester 60 Jahre alt. Wer wie ich Gelegenheit hatte die Entwicklung des Klangkörpers zeitweilig aus nächster Nähe mitzuerleben, ist stolz darauf, daß unsere Region so viel Musikkultur hervor gebracht hat , die heute weit über die Grenzen Sachsen hinaus Anerkennung findet. Als ich kürzlich in Oldenburg weilte und von Kennern der Musikszene erfuhr, dass das Riesaer Orchester auch dort einen Namen hat war ich sehr froh, zeigt es doch, daß unsere Stadt auf dem natürlichen Weg ist nicht allein Industrie- und Sportzentrum zu bleiben.
Viele Riesaer wünschen sich, dass die Stadt auch in die touristische Vielfalt Sachsens eingebunden wird. Dafür ist natürlich neben Heimatzoo, Museum und Arena ein reges Musikleben denkbar einladend.
Jeder hat sein musikalisches Grunderlebnis, das heißt den Punkt von welchem aus er immer tiefer in die Musikwelt hinein gezogen wird. Für mich war es der Zufall, als ich als Jugendlicher einmal mitten in eine Dixilandformation geriet und mein ganzer Körper gewissermaßen zum Resonanzboden umfunktioniert wurde.
Wenn ich heute ins Konzert gehe, freue ich mich dort viele ehemalige Reifenwerker (*) zu treffen, die genau so wie ich das Musikerlebnis mit Heimatverbundenheit identifizieren und ich weiß wie wichtig das ist, angesichts der seit langem anhaltenden Abwanderungsbewegung aus unserer Stadt.

* Der Autor war langjährig Mitarbeiter des einzigen PKW-Reifenherstellers der DDR "Pneumant-Riesa" und brichtet aus eigenem Erleben. Dank seines hohen Exportanteiles hat das Reifenwerk die Wende überlebt und produziert heute mit modernsten Maschinen 4 Millionen Reifen pro Jahr, ebensoviele wie in der Vorwendezeit.


Neujahrskonzert 2005<

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