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Vom Wert des Lebens . . . Reineke1794

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Berggasthof Stübenwasen

Als Bernhard auch am folgenden Tag nicht in seine Pension zurückgekehrt war, wurde selbst Hermine unruhig. Seit 27 Jahren leitete sie die Pension in Zell im Wiesental, doch dieses Verhalten passte nicht zu Bernhard Kungel, der zu ihren angenehmsten Gästen zählte. Schon seit Jahren duzte sich Hermine mit dem Mitsiebziger aus dem fernen Berlin. Meist im Mai reiste er an und so auch in diesem Jahr. Am Sonntagabend hatte sie ihn noch von der Endhaltestelle der S 6 abgeholt, die Basel mit Zell als Endstation verbindet. Wie immer hatte sie sich darum gekümmert, dass Bernhard bereits am Montag das sogenannte Konus-Ticket in der Hand halten konnte, das ihm die kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in der ganzen Region ermöglichte.
Bereits am Dienstag hatte er beim Frühstück seine Absicht verkündet, nach Todtnauberg fahren zu wollen. Von dort aus wollte er zu dem Berggasthof Stübenwasen wandern, vorbei an der längsten Liege der Welt, die zu sehen, ihn schon immer gereizt hatte.

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FA-Wanderung 2017 / bei der längsten Liege

Gegen 9 Uhr am Morgen war er aufgebrochen. Ob er direkt nach Todtnauberg gefahren ist, ob er vorher noch ein anderes Ziel angesteuert hatte, wusste Hermine nicht, doch war sie jetzt doch höchst beunruhigt, weil er sich auch telefonisch nicht bei ihr gemeldet hatte. Gegen Mittag des folgenden Tages ging sie schließlich zur Polizeistation, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Da sie genaue Angaben über ihren Gast und die Umstände machen konnte, wurde die Anzeige von Beginn an sehr ernst genommen und so liefen bereits am frühen Nachmittag die ersten Maßnahmen an. Von Todtnauberg aus wurde ein Suchtrupp losgeschickt, der die möglichen Wege nach Stübenwasen ablief. Als sich diese Suche als ergebnislos erwies, wurde ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera angefordert, der das fragliche Gebiet überflogen hat.

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Nachdem auch diese Maßnahme ohne Erfolg geblieben war, wurden noch in der Nacht mehrere Suchtrupps zusammengestellt, die mit Hunden nach Herrn Kungel suchten. Über den regionalen Rundfundsender wurde am folgenden Tag eine genaue Beschreibung Herrn Kungels verbreitet, mit der Bitte um sachdienliche Hinweise. Auch die Presse war längst eingeschaltet und alle Blätter der Region beteiligten sich am nächsten Tag an der mittlerweile schon verzweifelten Suche samt Foto von Herrn Kungel. Immerhin waren es jetzt bereits drei Tage ohne ein Lebenszeichen von Hermines Gast. Besonders beunruhigend fand Hermine, dass sich bisher niemand gemeldet hatte, der Bernhard wenigstens auf dem Weg nach Stübenwasen begegnet war.

Am Freitag dann das völlig Unerwartete. Spielende Kinder fanden Herrn Kungel in einer ganz anderen Gegend als angenommen. Nicht nördlich von Zell, sondern südlich des Ortes, auf halbem Weg nach Hausen, wo sich das Heimathaus von Johann Peter Hebel, das sogenannte Hebelhüsli befindet, hatten die Kinder den bewusstlosen Mann knapp oberhalb des "Wasserfalls an der Säge" gefunden. Ganz offenbar war er unglücklich gestürzt, hatte sich an einem Felsen den Kopf aufgeschlagen, hatte viel Blut und wohl immer wieder das Bewusstsein verloren. Der Zustand des Mannes war nach der schweren Verletzung, dem tagelangen hilflosen Zustand und vermutlich längeren Zeiten ohne Bewusstsein derart lebensbedrohend, dass die Retter, nachdem sie von den Kindern benachrichtigt worden waren, sofort einen Rettungshubschrauber angefordert hatten. Herr Kungel wurde in ein Krankenhaus in Freiburg geflogen, da er einer speziellen Behandlung wegen der Schädelverletzung bedurfte. Nach Darstellung von Hermine Kluge waren sogar zwei Operation am Kopf erforderlich, war lange Zeit nicht sicher, ob nicht Lähmungen und der Verlust des Augenlichts eine Folge dieses fürchterlichen Unfalls sein könnten.

Wie durch ein Wunder ergab es sich dann, dass nach vierwöchigem Krankenhausaufenthalt und einer anschließenden Reha, Herr Kungel im Juli wieder als geheilt entlassen werden konnte. Dank der Bemühungen so vieler Menschen, ärztlicher Kunst und Diagnostik, gelungener Operationen, Reha Maßnahmen, enormen Kosten und nicht zuletzt viel Glück, konnte Herr Kungel wieder einem glücklichen Lebensabend entgegensehen.

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Dass dies dann nicht geschehen ist, ist schnell erzählt:
Seit wenigen Tagen war Herr Kungel wieder zurück in Berlin. Am 26. Juli machte er einen Spaziergang durch die Innenstadt, glücklich wieder völlig genesen und zuhause zu sein. Am Savignyplatz im Bezirk Charlottenburg dann diese unglückliche Begegnung. Ein Betrunkener kam ihm entgegen. „Wat glotzt de denn so?“, fuhr in dieser an, als er auf Herrn Kungels Höhe war. „Wieso? ich gucke doch gar nicht “, meinte Herr Kungel im Vorbeigehen. In diesem Moment traf die Bierflasche ihn mit voller Wucht auf den Kopf, mit der der Betrunkene ausgeholt hatte. Herr Kungel fiel zu Boden. Die weiteren Schläge und Fußtritte gegen Körper und Kopf wird er nicht mehr verspürt haben, denn als man den Betrunkenen von seinem Opfer weggezogen hat, lebte Herr Kungel schon nicht mehr.



Die Traueranzeige, die Hermine von Herrn Kungels Sohn Anfang August erhielt, ließ sie erschauern:

„Nach einem schweren Unfall, jedoch dank unglaublicher Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit, ärztlichen Vermögens, intensiver Pflege und vielseitiger Bemühungen und Unterstützung konnte mein lieber Vater vor dem sicheren Tod bewahrt werden, um dann aus nichtigem Grund von einem Menschen ohne Achtung vor dem Leben totgeprügelt zu werden. Was für ein Wahnsinn....? “

Mit Tränen in den Augen legte Hermine die Traueranzeige zur Seite, murmelte wie abwesend vor sich hin „wie absurd, wie absurd, wie absurd“ und dachte an Bernhard, der nun nie mehr im Mai zu ihr kommen wird, weil ein Mitmensch in seiner dumpfen Welt nicht einen Hauch von Mitmenschlichkeit verspürt hat.

Autor: Reineke1794

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