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Neuer Wein in alte Gläser

Neuer Wein in alte Gläser

Vierhundertfünfundzwanzig Quadratmeter hatte unser Garten, fünf Johannisbeersträucher, zwei Stachelbeersträucher, zwei Brombeerhecken, zwei Birnbäume und einen Sauerkirschbaum, die Zwetschen, Mirabellen und Äpfel gar nicht mitgerechnet. Wohin mit dem vielen Obst? Als unsere Familie noch groß war, da war das überhaupt kein Problem. Eingemachtes, Marmeladengläser und Fruchtsäfte füllten die Regale im Keller. Aber wie das Leben so ist, die Kinder gehen aus dem Haus, und die Großeltern sterben weg. Übrig bleibt ein einsames Ehepaar. So viel von allem wurde nicht mehr gebraucht.

Da kam mir ein Gedanke: Selbst Wein keltern. Von der Hefefabrik erhielt ich die Rezepturen. Ingredienzen und Gäraufsätze kaufte ich in der Fachdrogerie. Von nun an blubberten in der Küche ständig die Ballons mit Obstmost. Schwärme von winzig kleinen Essigfliegen schwirrten in Küche und Wohnung umher. Natürlich darf man den werdenden Wein nicht sich selbst überlassen. Trotz Gärverschluss, aus dem nur Kohlendioxid heraus aber nichts in die Flaschen hinein darf, könnten eventuell wilde Hefen oder gar Essigbakterien den Most verderben. Man muss also mindestens einmal täglich den Verschluss öffnen und mit einem Schlauch eine Probe heraussaugen, gegen das Licht halten und auch abschmecken. Weinpflege nennen das die Winzer.

Ist der Geschmack auch anfänglich noch zuckersüß, so ändert sich das im Verlauf von mehreren Monaten. Immer mehr wird der Zucker durch die Tätigkeit des Hefepilzes in Alkohol und Kohlendioxid aufgespalten, solange bis ein Alkoholgehalt von etwa 12 Prozent erreicht ist. Wenn jetzt so drei bis vier Zwanzigliterballons in der Küche vor sich hin blubbern und täglich Proben entnommen werden, so reicht das im Verlauf des zunehmenden Alkoholgehaltes schon für ein kleines Räuschlein.

Als ich dann interessehalber anfing auch noch Bananen- und Apfelsinenwein zu keltern und sogar Met aus Honig-Sonderangeboten braute, da wurde es meiner lieben Frau zu viel. Denn außer den täglichen Proben muss ja auch das fertige Produkt verkonsumiert werden. Zu jeder Mahlzeit stand nun das Glas mit Obstwein neben dem Teller. Meine liebe Frau sorgte sich um meinen Verstand und um die Funktionsfähigkeit meiner Leber.

Das wäre so weiter gegangen, wenn ich nicht aus einem arbeitsreichen Leben in den Ruhestand übergewechselt wäre. Neue Interessen und veränderte Lebensgewohnheiten ließen keine Zeit mehr für beschauliche Gärtnerarbeit. Der Garten wurde gekündigt und zurück blieben leere Gärballons, Rohre und Gärverschlüsse und leere Flaschen. Die schenkte ich einem Pfälzer Winzer, der mich von nun an vierteljährlich mit noch edleren Gewächsen aus Riesling- und Silvanertrauben versorgt. Zur großen Freude meiner lieben Frau kommen jetzt die Flaschen nur noch bei besonderen Anlässen auf den Tisch, und die täglichen Proben aus den Gärballons entfallen ganz. So wurde ich vom Obstwein- zum Traubenweinkenner und meine Leber bleibt gesund – hoffentlich.

Autor: Waldo

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