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Sorge berechtigt oder sorgeberechtigt?

„Guten Tag, spreche ich da mit der Tochter von Frau Schuster?“

„Jawohl, hier ist die Frau Berger.“

"Ich komme zum Spritzen zu ihrer Mutti, aber es ist niemand zu Hause. Der Hund ist eingesperrt, das Auto weg. Das Haus verschlossen. Am Festnetz nimmt keiner ab.“

„Sehr seltsam, ich war doch erst am Mittwoch da und sie hätten mir beide gesagt, wenn sie etwas vorgehabt hätten. Ich kümmere mich und rufe Sie wieder zurück. Danke erst mal.“

Ich legte langsam und gedankenvoll das Handy auf den Tisch. Wenn einer krank wäre, ruft mein Vater immer zuerst den Notarzt und wenn die SMH kommt, dann mich, weil er mit seinen 88 Jahren so emotional entlastet wird. Meine Tochter macht das schon, denkt er und weiß er.

Vielleicht sind sie zum Frank gefahren. Er hatte vor 2 Wochen Geburtstag und sie haben wieder mal das Datum verwechselt. Aber Andrea, Franks bessere Hälfte, im Verwandtendschungel meine Cousine väterlicherseits, soll doch im Krankenhaus sein? Hatten sie erst am Mittwoch erzählt. Jedoch ich weiß freilich, dass es bei den beiden manchmal zeitlich große Gedankensprünge gibt.

Verschwundener Mann

„Ja, hier Falke.“

„Andrea, hier ist Mara. Ich bin auf der Suche nach meinen Eltern. Sind sie vielleicht bei euch?“ Und dann erzählte ich die kurze Geschichte.

„Nein. Weißt Du, ich bin erst heute Vormittag aus der Klinik entlassen worden. Der Professor, der diesmal operiert hat, hatte eine ganz andere Methode. Ein Spezialist eben... Die Folgen der ersten OP.... Minimierung des Risikos... keine Kur in der Reha wegen Corona… Frank kocht... Frank fährt... Frank macht. Wir wollten eigentlich zu den Kindern, aber der Kleine hat Schnupfen...“

Endlich musste Andrea Luft holen und ich konnte ihren Redeschwall unterbrechen. Bedankte und entschuldigte mich, weil ich noch immer auf der Suche war. Gute Besserung.

Rudi könnte es wissen. Rudi ist etwa 10 Jahre jünger als mein Vater, eigentlich ein Freund, aber er lässt sich aus lauter Gutherzigkeit schnell mal zum Handlanger für alles, was meinem Vater in den Sinn kommt, machen. Hole mal den Eimer, nein den anderen, also da steht doch der silbrige, du bist doch zu dusselig, genau so kann das dann ablaufen.

Sonntags, immer am Vormittag trinken Rudi und mein Vater ein Bier bei schönem Wetter im Garten, bei schlechtem in der Küche zum Leidwesen meiner Mutter. Nein, sie kocht zwar nicht mehr, aber die beiden schreien beim Unterhalten, weil meines Vaters Hörgerät, das ja so sehr teuer war, nichts taugt, wie alles, was er nicht selbst gemacht hat.

„Hallo, Rudi hier ist Mara. Ich suche meine Eltern... Weißt Du etwas?“

Natürlich nicht, ich legte auf. Nach vier Minuten klingelte Rudi zurück.

"Hör mal, am Sonntag lag in der Küche ein Geschenk. Sie wollten zu Pfeifers zum Geburtstag, aber Dein Vater nörgelte, jammerte über Schmerzen überall und hatte keine Lust. Die werden doch nicht heute hin gefahren sein?“

Freilich, an Karla hatte ich gar nicht gedacht. Aber es scheint trotzdem suspekt. Die können sich beide kaum auf den Beinen halten, können bei anderen Leuten nie lange sitzen, warten zu Hause am Fenster, dass jemand kommt. Die Spritzfrauen, der Kleintransporter mit dem täglichen Mittagessen, die Katze, wenn sie sich nicht gerade beim Nachbarn wohl fühlt oder der Hund, der rein will. Schließlich merkt auch er, dass es noch kalt ist in diesem Frühjahr.

Zwischenzeitlich rief die Schwester vom Pflegedienst wieder an, ob ich fündig geworden wäre. Halb sechs beendet sie ihre Runde und vielleicht haben sich meine Eltern, zumindest meine Mutter wieder angefunden.

„Hallo Mara, welch eine Überraschung,“ freute sich die gerne plaudernde Karla, die einmal im Monat zu meinen Eltern zur Fußpflege kommt und mit ihren 72 Jahren meines Vaters Stiefschwester Schwiegertochter ist.

Jawohl, Patchwork in Familiensachen gab es bereits auch bei uns in früheren Generationen, wurde aber in meiner Familie nur geduldet, wenn Todesfälle eine neue Heirat erforderlich machten. Nur nichts Modernes denken.

„Nein, sie sind nicht bei uns. Hast Du denn schon alle Bekannten angerufen? Aber so viele können das ja nun auch wieder nicht sein. Deine Sorgen sind vollauf berechtigt. Ich wollte eigentlich beide dieser Tage anrufen, aber dann kam Reiner mit seinen Vögeln, weißt Du, was die an Futter brauchen... und wie viel Zeit er immer...“

Aber auch Karla musste genau diesen kurzen Moment während ihres Redeschwalls einatmen, um nicht zu ersticken und so hakte ich geschickt ein und konnte mich verabschieden.

Die Notaufnahme im Krankenhaus war meine letzte Idee. Die Dame an der Rezeption erkundige sich extra, ob Frau oder Herr Schuster eingeliefert worden sind oder im Warteraum sitzen. Natürlich nicht. Danke.

Also, die zwei Alten, dachte ich. Verschwinden einfach so von der Bildfläche. Dürfen Sie ja, denn ich bin ja nicht deren Sorgeberechtigter. Nur die Schwestern, die zum Zuckerspritzen kommen, wollen eine Antwort.

Nein, ich war nicht in Rage, hatte keinen erhöhten Blutdruck und Wut im Bauch wie damals hatte ich auch nicht.

Irgendwie fühlte ich mich nämlich 25 Jahre in der Zeit zurückversetzt. Meine Tochter war 16, es war mitten in der Woche, Schulzeit und das Bett abends um halb 11 leer. Nicht das erste Mal. Es waren die 90er im Osten, sie zählt sich selbst zu den Linken, die auch schon damals Molotows geworfen haben.

Diese Sorge war ganz klar voll berechtigt.

Endlich kam meine große Lebensstütze, natürlich auch Ehemann genannt, mit der einfachen Idee. 500 Meter weiter im Dorf wohnen doch die Hahns.

Frau Hahn, die Freundin meiner Mutter aus Kinderzeiten und er, gerade erst 89 Jahre alt geworden.

„Das können doch beide nicht mehr laufen. Die sind garantiert mit dem Auto bis in den Hof gefahren.“

„Hallo Herr Hahn, ich bin auf der Suche nach meinen Eltern. Sind sie bei Ihnen?“

„Nein, sind sie nicht. Die sind heute Mittag bei uns am Zaun vorbeigelaufen, da haben wir gleich eine Flasche Schnaps geköpft und dann sind sie wieder weg.“

Im Hintergrund lachten mehrere Stimmen laut.

„Ich hatte heute einfach keine Lust auf die Spritzerei und wir sind hiergeblieben. Spritzen fällt heute aus. Wir feiern Manfreds Geburtstag.“

Meine Mutter!

Nicht ganz fair dem Pflegedienst gegenüber, aber bei aller Tristesse für alle vier ein glücklicher Nachmittag mit schöner Torte, wie sie mir gewiss morgen berichten wird.

Und sie hat in der nächsten Zeit garantiert wieder etwas zu erzählen, wenn jemand vorbeikommt.

Autor: MaraB

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