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Sich trennen

Kolumnistin MaraB setzt sich über Barrieren hinweg: Egal ob es um Generationen oder die Sammelleidenschaft ihrer Familie geht. Lies hier die witzigen Anekdoten. Vielleicht erkennst Du Dich und die Deinen ja wieder…

mara B © Mitglied

Heute habe ich es endlich gepackt und mich aufgerafft, die Sommersachen aus den Schränken zu verbannen und alles Textile, was im Herbst und im Winter wärm hält, einzuräumen. Mit einem begehbaren Kleiderschrank müsste ich mir die Mühe nicht machen. Obwohl große, alles aufnehmende Schränke nicht immer Übersicht schaffen. Das weiß ich aus Erfahrung: Vor zwei Monaten musste meine Mutter von ins Krankenhaus. Sie war in Panik und das nicht wegen des kleinen Schlaganfalles. Nein, sie sorgte sich um die Nachthemden, Handtücher und Waschlappen, die sie benötigt. Meine Mutter hatte sich vorsorglich damit eingedeckt. Ich sollte alles besorgen. Als ich ihren riesengroßen Schrank öffnete, dachte ich, mich trifft der Schlag. Alles fein säuberlich übereinander und nebeneinander gestapelt, so eng, dass die Wäschestücke am Ersticken waren. Ein Nachthemd war nicht zu finden, und so begann ich auszuräumen. Die kleinen chinesischen Handtücher mit wunderschönen Motiven; zu tiefsten Ostzeiten Kostbarkeiten. Daneben fand ich rund 50 Waschlappen. Manche schon winzig klein gewaschen in den letzten Jahrzehnten. Daneben Geschirrhandtücher aus Malimo, ein Material welches in den 1960er Jahren die Textilindustrie der DDR revolutionierte. Die Handtücher waren noch in der Originalverpackung mit dem Endverbraucherpreis in Ostmark. Und noch etwas fand ich. Ein „Präsent20-Hemd“, ebenfalls noch in Originalverpackung. Zwar nicht atmungsaktiv, aber dafür pflegeleicht. Von dem Nachthemd nach wie vor keine Spur. Ich habe schließlich zwei neue gekauft. Von meinem Vorschlag, mit ihr gemeinsam Sachen auszusortieren, hielt meine Mutter selbstverständlich nichts. Sich von Sachen zu trennen kommt nicht in Frage. Man könnte es noch einmal brauchen.
Ein paar Tage später stand ich vor unserem Schrank. Mein Gott, dachte ich beim Zusammenlegen der Sommerblusen, die habe ich ja ewig nicht mehr getragen. Die rote... die gelbe... ab damit in eine große Plastiktüte für den Altkleidercontainer. Ich war überrascht, wie wenig Platz 30 Shirts aus Baumwolle einnehmen. Acht Stück habe ich sofort aussortiert. Hoffentlich bekommt mein Lebenskontrolleur nicht mit, dass ich gerade entsorge. Er braucht nämlich immer ungeheuer viele Putzlappen. Apropos, wie sieht es denn bei meinem Mann aus?! Sofort wusste ich, welche Hemden ausrangiert werden mussten. Er würde es niemals merken. Auch nicht das Verschwinden der wollweißen Leinenjacke. Eine Jacke für jedes Wetter, die aber schon über zehn Jahre im Schrank hing und wenig bewegt wurde. Im Frühjahr hatte ich sie ihm noch einmal zum Anziehen hingelegt. Aber er wollte sie nicht. Damit hatte die Jacke die Chance vertan. Er muss das gespürt haben, denn im gleichen Augenblick rief er: „Aber, dass Du ja nichts von mir wegwirfst!“ Es klang fast wie eine Drohung. Weil ich seine Sammlerleidenschaften kannte, erwähnte ich die Jacke. Ein großer Fehler. „Die Jacke nehme ich nächste Woche mit nach Hiddensee. Die fliegt nicht weg. Die kann man immer wieder gebrauchen. Vielleicht ist sie schon in zwei Jahren wieder modern. Bloß, weil Du jetzt räumen musst…!“ Sein Blick war äußerst ernst. Als ich dann erwähnte, dass in seinem Schrank noch Pullover lagen, die er nur in schlanken Jugendjahren getragen haben konnte, rief er entsetzt: „Du hast doch diesen schönen blauen Pulli nicht weggeworfen?“ Ich lenkte lächelnd ein. „Natürlich nicht. Das würde ich mir niemals wagen.“ Manchmal, so glaube zumindest ich, ist eine Notlüge sinnvoller als die pure Wahrheit.
Ich denke, es ist wichtig, das richtige Maß für Veränderungen zu finden. Sich trennen, von Dingen, von Sachen, von Gedanken, ja und vielleicht manchmal auch von Menschen, die uns im Leben nicht weiter bringen, die unser Leben schwer machen. Wir sollten offen sein für Neues, einen klaren Blick nach vorn haben und sei es auch nur, weil die Welt und unser Leben darin nicht stillsteht.
Und deshalb wünsche ich allen, die sich von alten Sachen nicht trennen können, Mut.

Autor: MaraB

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