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Der innere Schweinehund

Es muss getan werden, da geht kein Weg daran vorbei. Aber es macht keinen Spaß, zumindest der Anfang nicht. Das ewige Zusammensuchen von Rechnungen, das Kopieren irgendwelcher Nachweise. Zettel über Zettel. Nein, nein, nein. Innendienst ist eher für schlechtes Wetter. Und schon breitet sich in meinem Kopf eine fast grenzenlose Ideenvielfalt aus, was auch alles noch erledigt werden muss.

Ich bin jedes Mal selbst überrascht, was mir da so alles in den Sinn kommt. Die Sonne lacht mir gerade regelrecht entgegen, weiße Wolken geben der Himmelsfarbe ein besonders schönes und leuchtend helles Blau. Was für ein Licht, spricht meine für die Fotografie verantwortliche Gehirnzelle. Die Getreidefelder stehen prall gefüllt und die Mähdrescher ziehen einen Teppich aus vielen feinen und glitzernden Staubkörnchen hinter sich her. Was für ein Bild - vorerst nur in meinem Kopf. Das wollte ich immer schon fotografieren. Wann, wenn nicht jetzt ? Mit dem Rad natürlich, denn damit erledige ich gleichzeitig den sportlichen Teil meines Tages, also doppelte Zufriedenheit.

Als mein Lebensbegleiter mich beim Mittagessen fragte, wie weit ich denn gekommen sei, konnte ich nur verschmitzt lächelnd sagen... bis Cannewitz. Mit dem Rad und der Kamera. Er nickte so wie „aha“-sagend und schaute trotzdem fragend über seine Brille.

„Mir fehlt eh noch eine Bescheinigung der Versicherung“, kam mir kopfschüttelnd und schnell von den Lippen. Bloß weil ich die ganzen Jahre immer gesagt habe, dass ich mit Zahlen gut kann, muss ich doch nicht jedes Jahr dafür verantwortlich ein. Ich blickte ihn trotzig an.

Selbstdisziplin war noch nie meine große Stärke. „Komm, Du holst doch mehr raus als ich“, lobte er mich dann geschickt. Ein Taktiker ist er mit wenigen Worten. Also gut.

Eine knappe Stunde Mittagsruhe, dachte ich und dann werde ich es angehen. Alsdann setzte ich mich gezwungener Maßen an den Schreibtisch. Die richtige CD hatte ich. Aber ich brauchte den Code. Eigentlich stand er immer auf der Rechnung von Frau Steuerwiesolittchen. Wenn ich meinen Lieblingslebensbegleiter jetzt danach frage, wird er etwas von immer denselben Ort für immer dieselben Dinge erzählen. Statt Belehrungen anzuhören, suche ich lieber. Steuerordner, Rechnungskisten 1 und 2.

Das Telefon läutet. Endlich !

„Mutti? Können wir in Skype?“

„Ja natürlich. Sofort.“

Ich war froh. Es ist doch so schön, wenn die erwachsenen Kinder fern der Heimat unseren Rat brauchen. Und die sozialen Belange der Familie stehen doch hundertprozentig vor den finanziellen. Das kann auch er nicht leugnen.

Nach einer Stunde schaute ich auf das Regenradar meines Handys. Nichts. Keinerlei Steuererklärungswetter in Sicht. Und man soll niemals Dinge lustlos tun. Und ich hatte verdammt keine Lust auf Steuer. Ich holte den kalten Kaffee vom Morgen, ein paar Eiswürfel, sahnig-cremiges Walnusseis, etwas Sprühsahne, ein wenig Kaffeepulver und zauberte den leckersten Eiskaffee der Woche.

Gegen 16 Uhr rief ich in die Weite des Gartens: „Es gibt einen super leckeren Eiskaffee!“ Und ich erntete große Freude bei meinem Hauptgärtner.

Morgen, ja, morgen regnet es vielleicht und dann verspreche ich nur mir, wirklich nur mir, dass ich die Steuererklärung intensiv bearbeiten werde.
Ich werde ihn schon noch überlisten, diesen verdammten inneren Schweinehund. Zumindest bis zur Mahnung durch das Finanzamt.

Autor: MaraB

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