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Am Vorabend...

Kolumnistin MaraB setzt sich über Barrieren hinweg: Egal ob es um Generationen oder die Sammelleidenschaft ihrer Familie geht. Lies hier die witzigen Anekdoten. Vielleicht erkennst Du Dich und die Deinen ja wieder…

mara B © Mitglied

Am Vorabend

Morgen nun ist dieser gewisse Tag. Der Geburtstag. Nicht heute, nein erst morgen, dachte ich beim Blick in den Spiegel und glaubte die Zeit kurzzeitig anhalten zu können. Ich spitzte den Mund, zog ihn nun breit, so, als würde ich in vollem Maße lachen. Meine Wangen erschienen dadurch fettgepolstert und ohne faltige Ansätze. Aber meine großen braunen Augen wurden nun zu kleinen Sehschlitzen, die durch die müden Augenlider noch verschlossener wirkten.

Schnell gab ich meinem Gesicht wieder einen Geradeausblick, zog die Augenbrauen nach oben und hoffte, dass die Anti-Aging-Kosmetik schnell wieder ihren Dienst tat. Mit einem leichten Lächeln überraschte ich mein Spiegelbild und sah mir zufrieden in die Augen.
Ihr Falten im Gesicht könnt mir gar nichts. Und ihr Cellulitebeutelchen an den Oberarmen, an den Beinen, an den Knien, am Bauch, wo auch immer ihr euch wichtig tut, ihr schafft es nicht, meine Gedanken zu vereinnahmen. Orangenhaut nennt man Euch. Wie trügerisch.
Der Maximilian fragte mich heute, warum denn bei all den Halogenalkanen immer nur Chlor, Fluor, Brom oder Iod Bindungspartner sind. Niemals Astat, obwohl es doch in der gleichen Gruppe steht. Ich war froh, vor Kurzem erst einiges über Astat gelesen zu haben. Damit und auch mit der Aussage, dass organische Astatverbindungen durchaus existieren und in der Nuklearmedizin zur Bestrahlung bösartiger Tumore dienen, war meine Antwort wohl noch ausreichend.

Wie lange wird mein Wissen aber noch ausreichend sein? Die Merkfähigkeit lässt nach. Das stellt doch jeder fest. Ich beobachte immer mehr, wie ich Dinge ganz einfach vergessen habe. Manchmal habe ich auch ganz einfach keine Lust mehr auf die neueste Wissenschaft.
Karin, meine Nachbarin war sogar schon heimlich zu einem fachärztlichen Test, ob es sich bei ihrem Verhaltensmuster um Alzheimer Symptome handelte. Natürlich hatte ich versucht, ihr das auszureden, denn sie war schon vier Jahre zu Hause und hatte außer Haushalt, Garten und Enkelchenbetreuung keine größeren Anforderungen zu bewältigen. Sie ging in den Keller, wollte etwas holen, stand dort vor einem Regal und wusste nicht mehr, warum sie hier herunter gekommen war. Also zurück und alles noch mal von vorn.
Aber, so ging es mir doch auch! Warum Menschen immer gleich denken, krank zu sein. Ich schaffe es sogar, die Kellertreppe zweimal hoch und runter zu laufen.

Und wenn sie mit der ganzen Technik der Smart- und "Ei" – Phones nicht mehr so zurechtkommt, das bedeutet doch nichts oder doch nur, dass es an Willen fehlt, Neues zu lernen.

Ich cremte mich ein mit einer Proage-Emulsion. Gut fühlte es sich an, fast könnte ich dieses Gesamtkörpergefühl biologisch jung nennen. Ich musste lachen bei diesem Gedanken.

"Testen Sie Ihr biologisches Alter! " Wer kennt den Slogan nicht.
Fast jeder Mensch genießt es, jünger geschätzt zu werden. Nur deshalb haben Forscher irgendwann einmal den Begriff des "biologischen" Alters geprägt, bin ich mir sicher. Fragebögen wurden entwickelt und in den Wartezimmern der Ärzte kann sich jeder testen, belügen oder doch besser solche Seiten überblättern. Selbst die Krankenkassen wollen uns nur aushorchen.
Bei der AOK habe ich im Internet solch einen Test gemacht. Die wissen nun, dass ich etwas zu viel wiege, wie viel Alkohol ich trinke, wie es um mein Sexleben steht, wie oft ich Gemüse oder Fleisch esse . Beim BMI habe ich gelogen, weil ich ihn nicht kenne - ihn auch nicht kennen will.

Und zum Dank für meine Freizügigkeit spuckte der AOK-Biologisches-Alter-Rechner eine Zahl aus, die mich 8,5 Jahre jünger sein lässt. Acht Jahre! Ein Tausendsassa, wer sich das ausgedacht hat.
Wenigstens einer wird morgen sagen, ich würde mindestens fünf Jahre jünger aussehen als andere in meinem Alter. Woran macht man denn so etwas fest, frage ich mich. Als wenn es ein Kriterium gäbe, wie ein Fünfziger, ein Sechziger oder Siebziger auszusehen hat!
Wenn ich Montagabend zum Sport gehe, dann fühle ich mich meistens viel älter, auch wenn mein Arbeitsalltag meine ganze Kraft verbraucht. Aber das will man im Fragebogen nicht wissen.

Alles nur Augenwischerei. Mein Selbstbewusstsein kann sich eigentlich sehen lassen. Nur manchmal, wenn ich so vor meinem Kleiderschrank stehe und nicht weiß, was ich anziehen soll, kann es sein, dass es ganz schnell zusammen rutscht. Nicht nur die weiße Hose vom vergangenen Sommer scheint auch durch die kleinen Tierchen, die im Kleiderschrank wohnen und die Sachen enger nähen, behandelt worden zu sein.

Mein Ruf morgen früh " Ich habe nichts anzuziehen!“, wird mein Lebensbegleiter wie immer ignorieren und er wird wissen, dass ich zu neuer Klamotte auch gleich neue Schuhe brauche. Und so kann sich kleines Selbstbewusstsein ganz schnell wieder aufbauen. Schließlich bin ich eine Frau!
Als ich vor über zehn Jahren noch solche Schuhe trug, die mich gleich einen Kopf größer machten und den Körper dadurch auch schlanker wirken ließen, hatte ich nicht damit gerechnet, dass meine Füße das nicht ein Leben lang mitmachten.
Ich weiß es noch ganz genau. Auf einer Wanderung zum Preikestolen bekam ich solche schlimmen Schmerzen in den Füßen, dass ich unterwegs sterben wollte.

Meine Hausärztin sprach dann sogar von orthopädischen Schuhen. Das war für eine Liebhaberin schöner Schuhe wie mich ein Todesstoß. Seit dem trage ich in jedem Schuh Einlagen und bin am Leben geblieben. Der Gelassenheit, die ich mir in vielen Jahren erkämpft habe, ist es geschuldet, dass ich geduldig die Schuhgeschäfte nach schicken Schuhen durchforste, die trotz allem einlagenwechselfähig sind.
Manchmal habe ich in letzter Zeit den Eindruck, dass die Schuhindustrie darüber genau Bescheid weiß und bin froh.
Ich massiere eine einfache fetthaltige Creme mit den Fingerspitzen in die Hautbereiche unter den Augen. Manche sagen Tränensäcke dazu. Ich mag dieses Wort nicht, denn es klingt so nach Heulsuse und das bin ich wahrlich nicht.

Obwohl, wenn ich daran denke, dass sich mein 37-jähriger Sohn von seiner Sabsi scheiden lassen will oder sogar Sabrina sich von ihm, dann ist mir schon zum Heulen. Ich weiß einfach nicht, ob ich mich hinein hängen soll oder ob beide alleine wissen müssen, was sie tun. Bloß gut, dass es noch keine Kinder gibt.

Ich denke eben auch, es gibt eine Zeit, wo wir uns um unsere Kinder kümmern müssen und es gibt auch eine Zeit, wo wir ein Recht auf unser eigenes und eigenständiges Leben haben. Aber es tut weh zu zusehen, wie Menschen, die man lieb gewonnen hat, wie das eigene Kind, sich entfremden oder fort gehen.
Ich muss aufhören, mich abends mit solchen traurigen Gedanken zu belasten. Dann kann ich meist nicht einschlafen und jede Regung meines schon tief schlummernden Ehemannes nervt mich. Die Folge ist, stundenlang liege ich wach und spinne aus noch so kleinen Gedanken riesige Probleme. Morgen früh bin ich unausgeschlafen, sehe auch genau so aus, alt und gestresst...

Und das an meinem Geburtstag!

Autor: MaraB

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