Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Das Familienoberhaupt

Unser Vater fühlte sich berufen, außer ein rechtschaffener Kaufmann zu sein, sich auch um das gesundheitliche Wohl der Familie zu kümmern. Seine medizinischen Waffen waren: Chinin, Ichthyolsalbe und Jod. Das Letztere brannte so infernalisch, dass ich erst gar nicht mit einem aufgeschlagenen Knie nach Hause rannte. Chinin verordnete er vorwiegend bei Fieber. Oft hörte ich ihn zur Mutter sagen "nimm Chinin", wenn diese ein Zipperlein plagte. Sie aber zum Glück mit einer gesunden Sturheit ausgestattet, verweigerte meist erfolgreich seinen wohlmeinenden Rat.

Eines Tages entdeckte er einen unreifen Pickel auf meiner Nasenspitze. "Da muss Ichtholan drauf", dozierte er, "denn, wenn Dreck reinkommt, gibt es eine böse Entzündung!" Eingeschüchtert überließ ich ihm völlig verunsichert meine Nase. Dick tupfte er die nach Teer stinkende Salbe auf das bereits schmerzende Gebilde. Klebte ein Pflaster drüber und tröstete: "Du wirst sehen, über Nacht heilt das aus".

Am anderen Morgen zog ich vorsichtig das Pflaster ab, oh Schreck, aus diesem roten Pickel ist ein grünlich- gelbes Monster geworden. Derart verunstaltet, jammerte ich: „So gehe ich niemals vor die Türe“, doch es nützte alles nichts. Ich musste samt diesem „Prachtexemplar“ an diesem schwarzen Dienstag natürlich zur Schule. Mein „Hausarzt“ ermahnte mich obendrein mit einem mageren Lächeln, nicht daran rumdrücken, "sonst gibts ne „böse Entzündung!" Von diesem Tag an wusste ich, was es bedeutete, eine Aussätzige zu sein.

Dann präsentierte das Familienoberhaupt "sein" neues Auto.
Er hatte dieses persönlich vom Werk abgeholt, einen schmucken DKW F89 Meisterklasse, auch gerne „Deutscher Kinderwagen“ genannt. Es war das zweite Automobil in unserer Straße, nur noch Zahnarzt Dr. Klopp besaß solch ein Gefährt, einen sogenannten "Buckeltaunus“. Selbstverständlich unternahm die Familie alsbald eine Spritztour, wir Kinder belagerten aufgeregt den Rücksitz. Und neben dem gut gelaunten Fahrer nahm natürlich unsere Mutter Platz. Knatternd begab sich das Automobil übers Kopfsteinpflaster Richtung stadtauswärts.

Familie in einem Auto

Dank sportlichem Innengeräusch erreichte unsere Unterhaltung eine beträchtliche Lautstärke. "Zwei-Zylinder" rief der Wagenlenker stolz, unsere grellen Stimmen übertönend. Dann bog er ab und schlingerte rasant die Auffahrt zur Autobahn hoch. Er riss die Krückstock-Schaltung in den dritten Gang und schmeichelte dem Motor, dieser funktioniere ja "wie geschmiert." Im Sound des kommenden Automobil-Zeitalters klebte sein Fuß auf dem Gaspedal.

"Guck doch mal, die Bäume können fliegen", riefen wir Kinder, die vorbeirauschende Landschaft versetzte uns in helles Entzücken. Genau begutachtete die Mutter währenddessen die Innenausstattung, fast zärtlich strich sie über die glänzenden Armaturen. Schon 30 Kilometer lagen hinter uns. Unseren Vater, nun als Besitzer eines Benzinkraftwagens, erlebten wir völlig untypisch, total euphorisch. Doch kurz vor der Ausfahrt bemerkte er, dass der rechte Winker klemmte, nervös bediente er den verantwortlichen Knopf.

Unsere kleinen Fäuste trommelten gleichzeitig gegen den Holm, doch der gelb-orange Pfeil blieb stur in seinem Versteck. Da meinte die pragmatische Mutter: "Ach, dann lass uns doch nur so fahren, dass wir nicht mehr rechts abbiegen müssen". Welch eine grandiose Idee.

Schließlich tuckerte das Auto nach einer strikten "nur links „Abbiege-Fahrt" endlich zum gähnend leeren Bordsteinparkplatz direkt vor unserem Wohnhaus.

Autor: galen

Artikel Teilen

 

Artikel bewerten
4 Sterne (12 Bewertungen)

Nutze die Sterne, um eine Bewertung abzugeben:


33 14 Artikel kommentieren
Themen > Unterhaltung > Kolumnen, Anekdoten und Co > Aus dem Alltag von Galen > Das Familienoberhaupt