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Mit Freude selber schreiben und Sprache pflegen

Von Feierabend-Mitglied Mittwoch 05.05.2021, 21:55

Schreiben ist ein wichtiger Teil von mir. Beruflich sachlich und ebenso kreativ.
Ein Beispiel von mir:

Das Unheil

Von 1976 bis 1979 war ich Werbeleiter am LTT (Landestheater Württemberg-Hohenzollern) mit Sitz in Tübingen. Der Intendant Alf Reigl hatte mich angelockt. Da es diese Position vorher noch nicht gab, hatte ich viel Gestaltungsfreiraum, den ich auch vielen Ebenen kreativ nutzte.
Jeden Tag gestaltete ich mit einfachsten Mitteln Flugblätter, welche ich dann in den beiden Mensen der Universität auf die Tische zu tausenden verteilte. Da diese Methode auch andere Veranstalter und Unigruppen nutzten, war optische Wirksamkeit wichtig. Damals konnte ich viel ausprobieren und lernte schnell, was gut gesehen und aufgegriffen wird.
Öfters kamen externe Gastspiele nach Tübingen und Reutlingen. Viele lieferten fertige Plakate, andere nur Programmhefte, aus denen ich etwas improvisieren musste. Einmal eine Gastspiel eines rumänischen Theaters mit Simultanübersetzung per Kopfhörer in die deutsche Sprache. Das Stück hiess „Das Unheil“ des rumänischen Dramatikers Ion Luca Caragiale (1852-1912). Er gilt als bedeutendster Dramatiker Rumäniens. Ab 1904 lebte er im Exil in Berlin bis zu seinem Tod. Sein Leichnam wurde nach Bukarest überführt und mit grossen Ehren beigesetzt.
Das alles wusste ich damals nicht, da zunächst keinerlei Werbematerial aus Rumänien kam. Erst nach mehrmaliger Nachfrage kam per Post ein Programmheft in rumänischer Sprache mit einer schlecht übersetzten deutschen Einlage. Das Heft war geknickt auf brüchigem Kunstdruckpapier. Auf dem Titel ein Motiv in schwarzweiss, das schemenhaft einen Mann und eine Frau zeigten. Durch das geknickte Papier war es durch viele grosse Risse beschädigt. Was tun? Intuitiv nahm ich einen schwarzen Filzstift und überdeckte die heftigsten Risse. Nur jene welche mitten durch das Bildmotiv der beiden Personen liefen, editierte ich ganz vorsichtig und liess dort einige Risse weiter bestehen. Ich sah damit das Unheil optisch ausgedrückt. Damit fuhr ich zur Druckerei Betschinger nach Reutlingen und liess mit deren technischer Unterstützung Plakate im Format A 2 herstellen. Diese wurden dann in Tübingen und Reutlingen über viele Geschäfte und Plakatstellen in der Uni und diversen Instituten verteilt.
Beim Gastspiel dieser Theatertruppe übernahm, wie sehr oft, den Abenddienst und Abwicklung diverser Details hinter der Bühne. Die Rumänen hatten das Plakat gesehen und waren fasziniert davon. Sie fragten, ob ich welche übrig hätte? So gab ich denen einige Reste mit.
Ein halbes Jahr später erreichte uns ein Dankesschreiben aus Rumänien. Mein improvisiertes Plakat wurde bei einem künstlerischen Plakatwettbewerb in Bukarest eingereicht und erhielt dort den 2. Preis. Welch eine Ehre für mich und meinen Schnellschuss aus zeitlicher Not gestaltet. Das sind die besonderen Überraschungen im Leben, welche zeigen das intuitive Spontanität oft mehr bringt, als lange komplizierte Überlegungen. Für mich war es damals ein wertvoller Impuls meiner Intuition noch mehr zu vertrauen und mit wenigen Mitteln viel zu erreichen.
Es gab danach noch mehrere solcher guten Rückbestätigungen anderer Theater, aber keine war so intensiv für mich, wie das rumänische Unheil.

Peter B.
2021

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