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Lachen entkrampft fast alle Menschen.

Von Feierabend-Mitglied 25.09.2022, 11:59

Unter dem knappen Vermerk «Bundesrepublik 1946» findet sich in Salcia Landmanns umfänglicher Sammlung jüdischer Witze folgender Eintrag: «Was ist der Unterschied zwischen einem Saupreiss und einem Saujud? – Saupreiss darf man sagen.»

Liest man das heute, hat man den zeitlichen Abstand vor Augen. Vor 75 Jahren konnte man, wenn man denn wollte, so etwas witzig finden, weitererzählen und einem Sammelwerk über die Geschichte des jüdischen Witzes einverleiben. Man musste nicht befürchten, als Juden- oder Preußen Hasser bloßgestellt, am Ende sogar vor Gericht geschleppt und bestraft zu werden. Heute ist man da längst nicht mehr so sicher. Ein falscher Witz kann böse Folgen haben, weshalb man ihn am besten unterlässt.

Zwischen Stil und Gesinnung

Damit das klar ist: Die Ansichten über das, was witzig ist und was nicht, gingen und gehen auseinander. Um zu gefallen, muss der Witz zünden, Sinn im Unsinn erkennen lassen; tut er das nicht, dann klingt er flach, albern oder degoutant. Um den oben kolportierten Witz geschmacklos zu finden, gibt es Gründe genug, damals wie heute.

Tatsächlich hatte sich die Verfasserin, als das Buch 1960 erschien, mit allerlei Einwänden und Vorwürfen auseinanderzusetzen; mit dem Vorschlag, das Buch zu verbieten, zu verschweigen oder einzustampfen, allerdings nicht. Diese Forderung ist eine Errungenschaft der Cancel-Kultur, die es damals noch nicht gab. Was es gab, war Kritik, die dem Erfolg des Buches aber nicht im Wege gestanden, ihn wahrscheinlich sogar noch befördert hat, denn allein seine deutsche Fassung erreichte eine Auflage von mehr als 600 000 Exemplaren. Geschmacksfragen waren damals noch nicht justiziabel, man kannte und respektierte den Unterschied zwischen schlechtem Stil und schlechter Gesinnung und zog nicht jeden, der anders dachte als man selbst, vors Inquisitionsgericht der Selbstgerechten.

Salcia Landmann, selbst Jüdin, hat nicht versäumt, im Vorwort zu ihrem Buch auf den tragischen Hintergrund der Sammlung, die planmäßige Vernichtung des osteuropäischen Judentums, aufmerksam zu machen. Sie wollte die Erinnerung an eine Kultur festhalten, die für ihren scharfen, schonungslosen Witz bekannt war, die aber nach dem Krieg in Trümmern lag. Ein Beispiel: Die kleine Schülerin soll wiederholen, was sie über Moses gelernt hat, und antwortet: «Moses war der Sohn einer ägyptischen Prinzessin» – «Aber nein, du hast nicht aufgepasst, die Prinzessin hat ihn doch bloß in einem Körbchen am Ufer des Nils gefunden» – «Sagt sie!» In seiner Kürze ist das schwer zu überbieten, die Schülerin ist lebensklüger als ihre brave Lehrerin.

Von gleicher Art auch dies: «Warum galt Salomon als weise?» – «Weil er die wahre Mutter des vertauschten Kindes herausgefunden hat» – «Kunststück! Den Vater hätte er finden sollen, dann hätte er sich weise nennen können!»

Schade, dass von dieser Art Witz so wenig übrig geblieben ist. Und noch viel trauriger, dass die Reste dieser Kultur den Tugendbolden in die Hände gefallen sind, wo sie so lange befingert und gesiebt werden, bis sich die letzte Spur von Witz verloren hat.

Lachen entwaffnet, Lachen stellt bloß – nach Meinung unserer politisch korrekt gedrillten Sprachbeamten allerdings die falschen, sie selbst nämlich; und muss deshalb verboten werden. Ob die Gemeinschaftsaktion unter dem Kürzel «allesdichtmachen.de» dazu angetan war, die Auswüchse der Corona-Hysterie ins Lächerliche zu ziehen, darüber kann und wird man endlos streiten. Doch eben darum ging es ja irgendwann nicht mehr. Es ging auf beiden Seiten um Macht, um Deutungsmacht.

Jeder gute Witz entmachtet

«Praktisch denken, Särge schenken» haben die Berliner gereimt, als ihre Stadt im Bombenhagel unterging; in ihrem Unglück suchten sie nach einem Ausweg und fanden ihn im Witz. Denn jeder gute Witz entlastet. Alle Gewaltherrscher haben das gewusst und auch den illegalen Witz geduldet, weil er die Stimmung lockert und unter lauter Missvergnügten für Entspannung sorgt. «Er ist die Waffe des Wehrlosen, der zwar mault, sich aber mit der Lage doch halbwegs abfindet», schreibt Salcia Landmann. Und weiter: «Der Täter bedarf keines Witzes.» Er ist humorlos, lacht nicht und sieht im Witz nur den Beweis für falsches, unkorrektes Denken.

Die Grenzen des Sagbaren enger zu ziehen, ist das erklärte Ziel des Täters. Er versteht keinen Spaß, macht keine Witze und liebt sie nicht, weil er spürt, dass sie auf Leute wie ihn zielen. Der weiße Mann, der an die schwarze Frau, die in der U-Bahn ostentativ die «Jüdische Allgemeine» liest, die höfliche Frage richtet, ob sie nicht doch ein bisschen übertreibt, hat sich aus einer Witz- in eine Hassfigur verwandelt. Denn hier geht es um Gleichstellungspolitik, und dabei gibt es nichts zu lachen. Das Grundgesetz, das ja nicht nur Geschlecht und Hautfarbe, sondern auch Heimat und Herkunft, Sprache und Abstammung, religiöse und politische Ansichten als Merkmale erwähnt, derentwegen kein Mensch benachteiligt oder bevorzugt werden darf – dies Grundgesetz ist für die Besserwisser längst noch nicht erfüllt.

Für sie bleibt selbst der umfangreichste Katalog hinter der Wirklichkeit zurück, weil jeder von uns ja doch zu irgendeiner Minderheit gehört, also nur kurz nachzudenken braucht, um Benachteiligungen zu entdecken, Ansprüche zu erheben und Entschädigung zu verlangen. Da haben die Ostfriesen gute Karten. Wer sucht, der findet; und viele haben ja auch schon gefunden.

Der gute Witz kommt ohne Freiheit aus, die Zwangsjacke tut ihm gut, der Druck macht ihn erfinderisch. Schädlich ist nur der Piefke, der Spießbürger, der Maß nimmt und sich dann nach der Decke streckt; der tötet ihn. Trotz seiner wohlbekannten Schäbigkeit war der eitle und brutale NS-Funktionär Göring ein ebenso dankbarer Gegenstand wie der verschlagene und rücksichtslose SED-Parteichef Erich Honecker. Über den altersschwachen Paul von Hindenburg haben sich die Deutschen das Maul zerrissen, über den leutseligen ersten deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss waren immerhin ein paar gute Anekdoten in Umlauf, doch schon bei seinem Nachfolger wurde es eng, weil Heinrich Lübke die Witze, die man über ihn machen wollte, immer schon selbst gemacht hatte. Später kam mit Walter Scheel ein lustiger Fuhrmann, von Roman Herzog ist der Ruck geblieben, aber was bleibt von Männern wie Christian Wulff und Horst Köhler oder Frank-Walter Steinmeier? Von einem Bundespräsidenten, der sagt, was alle sagen, nur etwas parfümierter? Er steht für nichts, nur für sich selbst; und das ist eben doch zu wenig.

Tierischer Ernst

Vielleicht war Oskar Lafontaine der letzte Bundespolitiker, über den Witze gemacht worden sind – und der ja auch selbst gern welche machte. Nach seinem Rückzug sieht es traurig aus. Die Zoten, die Joschka Fischer oder Gerhard Schröder zugeschrieben werden, haben nur unvollkommenen Ersatz geboten. Sie haben sich nicht eingebrannt und wären längst vergessen, wenn das, was nach ihnen kam, nicht noch viel dürftiger gewesen wäre: die sechzehn viel zu langen Merkel-Jahre.

Nichts spricht dafür, dass es nach Merkels Abgang besser werden könnte. Denn auch wenn Armin Laschet zu den wenigen Politikern gehört, die mit dem Orden wider den tierischen Ernst dekoriert worden sind – der frühere CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber und, kein Witz, die frühere Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein, Heide Simonis, haben ihn auch erhalten.

Der Kommunarde Fritz Teufel, der, irgendwelcher Schandtaten angeklagt, sich mit den Worten «Wenn es der Wahrheitsfindung dient» vor Gericht erhob und damit einen Witz gemacht hatte, der ein ganzes System der Lächerlichkeit preisgab – Fritz Teufel hat den Orden leider nie erhalten.

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