Enttarnt

Katrin*, 68 : Ich hatte mir gerade die Haare gewaschen, lief durch den Flur vorbei an der Bürotür meines Mannes. Er ist Schmerztherapeut und telefonierte mit einer Patientin. Ich hörte, wie ein anzüglicher Satz fiel, der mich weiter an der Tür lauschen ließ. Mir wurde klar: Mein Mann hat eine Affäre.

Eine Woche brauchte ich, dann stellte ich ihn zur Rede. Er stritt alles ab. Aber dann, nach und nach, gab er es zu und zog aus. In eine möblierte Wohnung in der Stadt, gemeinsam mit ihr. Ich weiß, wie es ist, seine Geliebte zu sein, wegen mir hat er sich von seiner ersten Frau getrennt. Jetzt kenne ich die Situation von beiden Seiten. Und fühle mich ausgetauscht gegen eine Frau, die 16 Jahre jünger ist als er und nicht wie ich bloß eineinhalb.

Ich verstehe, dass eine Liebe vorbei sein kann, ich verstehe aber nicht, wie er mich über Monate hinweg anlügen konnte. Trotzdem war er meine große Liebe. Immer wieder habe ich versucht, ihn zu überzeugen, dass er die Affäre aufgeben soll, dass wir doch eine gute Ehe führen.

Mein Mann sagt, ohne Corona hätte er sich nicht gelangweilt, und diese Affäre wäre ihm nicht passiert. Wir wären auf Reisen gegangen, er hätte viel Sport gemacht. Vielleicht wäre dann tatsächlich alles wie früher gewesen.

Er möchte nun zurück in unser Haus, allerdings nicht zurück zu mir. Er stellt sich vor, dass wir das Haus irgendwie aufteilen, aber ich habe Angst, dass ich am Ende ausziehen muss. Ich hatte mir schon vorgestellt, wie das im Alter mit meinem Mann sein würde. Das Haus ist abbezahlt, den beiden Jungs geht es gut, wir haben viele Freunde, reisen oft.

Jetzt stelle ich mir vor, wie ich hier aus- und die andere Frau einzieht, meinen tollen Garten hat, mit meinem Mann lebt. Wie plötzlich alles weg ist. Und ich stehe wieder am Anfang, so als wäre ich 25, nicht 68."

Nr. 28 Lexikon der Liebe - Zeit.de