Nur mit dem Herzen sieht man nicht alles

Um 9 Uhr sollte sie dort sein. Es war das erste Mal, dass sie einen Augenarzt aufsuchen musste. In letzter Zeit jedoch fühlten sich ihre Augen wie Reibeisen an. Also steht sie mehr als pünktlich vor dem Haus, in dem Ärzte, Rechtsanwälte und auch andere Büros ihre Dienste anbieten. Augenarzt 2. Stock.

Sie nimmt die Treppe, mit 35 Jahren ist sie noch fit, klingelt an der nächsten Tür, es wird geöffnet. Ja, sie ist neu, hier das Kärtchen von der Krankenkasse. Eine der beiden Sprechstundenhilfen legt die Akte an, dann die höfliche Bitte, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Dort sitzen bereits zwei Mütter mit jeweils einem Kind im Schulalter. Ruhige Kinder, das Lesen in der Zeitschrift "Eltern" ist möglich. Es dauert kaum 20 Minuten, dann ist sie dran.

Der Arzt ist ein freundlicher Mann. "Bitte, setzen Sie sich. Was kann ich für Sie tun." Unsere junge 35jährige erwidert: "Ich habe Probleme mit den Augen, mit beiden Augen." "Mit den Augen?" "Ja." Der Arzt fängt an zu lachen. "Aber ich bin Kinderarzt." Sie reißt Mund und Augen auf. Ja, die Praxisschilder sind nicht gerade groß, aber der Augenarzt wird ihr mit einer Brille sicher gerne weiterhelfen. Er hat die Praxis gegenüber auf derselben Etage.

Dort muss sie allerdings noch einmal warten, denn vorher komme ich dran.