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Wintermärchen

Von tastifix Donnerstag 06.12.2018, 15:57 – geändert Donnerstag 06.12.2018, 20:35

Es herrscht klirrend kalter Winter. In der mit einer glitzernden Schneedecke bedeckten Gegend mitten auf dem Lande steht abgelegen zwischen weiten Feldern ein kleines Bauernhaus. Die Natur schweigt. Stille liegt über allem.
Auf einmal vernimmt man helles Lachen. Zwei Kinder stürmen aus jenem Haus und stürzen sich begeistert in den Schnee. In einem kleinen Eimer tragen sie zwei Kohlen, eine Mohrrübe und ein schmales Holzstück mit sich. Sie wollen einen Schneemann bauen. Mit Feuereifer begeben sie sich an die Arbeit. Als Erstes rollen sie einen sehr dicken Ball, danach einen mittelgroßen, dann einen noch kleineren. Mit rot gefrorenen Händen klopfen und streichen sie die Bälle zu glatten Kugeln und setzen sie aufeinander. Nun erkennt man bereits den Schneemann. Als Augen dienen die Kohlen, als Nase die Mohrrübe und das schmale Holzstück darunter als Mund. Danach formen die Kinder ihm noch zwei Arme. In die eine Armbeuge klemmen sie einen langen, etwas dickeren Stock. Wie ein Wanderstab schaut der aus. Mit bewunderndem Blick stehen die kleinen Baumeister stolz vor ihrem Schneemann, freuen sich, wie gut er ihnen gelungen ist, wenden sich zufrieden ab und rennen durch das märchenhafte, weiße Nass davon.

Wenige Augenblicke zuvor hat er noch den Blick der ihn anstrahlenden Kinderaugen genossen. Nun aber schaut der Schneemann traurig den Kleinen nach. Denn jetzt steht er dort mutterseelenallein auf dem weiten Feld. Nur die Wintersonne vermag ihn ein wenig zu trösten, denn sie lässt ihn in ihrem Licht leicht glitzern.
Dennoch betrübt ihn die Einsamkeit immer mehr. Die Menschen leben in Familien oder auch als Paar zusammen. Sogar die meisten Tiere fühlen sich an diesem kalten Tag unter Ihresgleichen geborgen.
„Und ich - was ist mit mir?“
Er seufzt.
Es ist Vorweihnachtszeit. Ob er sich wohl auch etwas wünschen darf?
„Ach, wenn ich doch nicht so einsam wäre ...Wie wäre das schön!“ flüstert er sehnsüchtig.

Die Stunden vergehen. Dem Schneemann kommt es vor, als wären es Tage. Langsam bricht die Dunkelheit herein. Es wird noch kälter. Was er nicht ahnt: Seine wehmütigen Gedanken hat jemand gehört und empfindet Mitleid mit ihm. Gegen Mitternacht plötzlich wird die in unheimlicher Schwärze liegende Landschaft von einem goldenen Schein erleuchtet. Überrascht reißt unser Eisgeselle die Augen weit auf. In dem warmen Licht steht vor ihm ein Himmelswesen, ein Engel:
„Sei nicht länger traurig. Dir soll dein Wunsch erfüllt werden. Schon sehr bald ... "
Der Engel lächelt geheimnisvoll.
Was ist denn das(!)?? Plötzlich spürt der Schneemann, wie er sich vom Boden löst. Ein Gefühl ungewohnter Freiheit bemächtigt sich seiner. Aufgeregt stellt er fest, dass er auf zwei normalen Beinen steht, mit denen er sich von der Stelle rühren kann. Weil es nicht den üblichen Gepflogenheiten eines Schneemannes entspricht, selbstständig durch die Welt zu spazieren, versucht er nur zögerlich die ersten Schritte und fühlt sich dabei noch recht unsicher. Aber nach ein paar Minuten wird er mutiger und läuft zunehmend selbstbewusster umher. Er will nun unbedingt dem Alleinsein entfliehen und stapft voller Euphorie ob der neu gewonnenen Freiheit auf der Suche nach Gesellschaft munter durch die Nacht.

Erst an zwei lang gestreckten Feldern ist er vorbei marschiert. Da! Täuschen ihn seine Augen? Dort, am hinteren Rande des nächsten Ackers hebt sich gegen den Nachthimmel der Umriss einer Gestalt ab. Je näher er kommt, umso größer wird seine Freude. Nein, sein Blick trügt ihn nicht. Dort steht wahrhaftig ein Schneemädchen. Es ist nicht so groß wie er, sondern eher winzig und sehr schlank. Auch ihm haben Kinder große Kulleraugen aus Kohlen eingesetzt, eine Mohrrübe als Nase und einen Stock als Mund. In seinem Arm hält es gleich ihm einen kleinen Wanderstab. Und, was dem Schneemann dann vor allem auffällt: Dieses Schneemädchen guckt genauso traurig wie er noch einige Minuten zuvor.
Aber nun bemerkt es den Schneemann und lächelt freudig.
"Ich bin schon soo lange allein. Bitte, bleib doch bei mir!", flüstert es mit Hoffen in der Stimme.
Nichts in der Welt macht der Schneemann lieber als das. Sein Gesicht leuchtet. All der Kummer ist verflogen. Ganz dicht stellt er sich neben das Schneemädchen, so dicht, dass ihre Arme sich berühren. Froh sehen sie sich an. Jetzt sind sie nicht mehr einsam. Sie gehören zusammen und falls sie nicht geschmolzen sind, schwelgen sie auch heute noch im Glück.

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