Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

12 5

Tja, so ganz gut lief es ja nicht ...

Von tastifix Montag 22.03.2021, 14:12

Ich speiste in einem Restaurant mit gerüscht gewandeten Obern, mit riesigen Gemäldekopien an den Wänden, verschnörkelten Kerzenhaltern auf den Tischen sowie einem purpurroten Teppichboden darunter. Wahrlich passend zum Ambiente gab es Hähnchenschenkel mit einer Portion Pommes, auf der sich immerhin zum Ablichten eine fotogene Mayonnaisenrose in Positur gesetzt hatte.

Das Auge isst auch mit. Ich war hingerissen. Kurz darauf nicht mehr nur hin-, sondern im wahrsten Sinne des Wortes beinahe durchgerissen und das kam so: Nicht alles ist Gold, was glänzt und nicht jedes Hähnchen hält an Verzehrvergnügen parat, was es verspricht. Jenes, welches ich erwischt hatte, widerstand sämtlichen meinen auf langjährigen Erfahrungen beruhenden Schneidekünsten. Das augenscheinlich hauchzarte Fleisch entpuppte sich als Neuzüchtung aus ziemlich dreistem Gummi und weigerte sich hartnäckig, den in ihm schamhaft - weil nicht so besonders attraktiven - verborgenen Knochen freizugeben.

Noch ja guten Mutes stocherte ich mit der Gabel in dem Gummi herum, das aber davon gänzlich unbeeindruckt blieb. Ich ließ mir den Unwillen darüber nicht anmerken, sondern startete Versuch auf Versuch, was zur Folge hatte, dass auf dem ´Teller im Jugendstil` eine Riesenschweinerei im Gange war. Von allen Seiten tropfte das Fett auf das feine weiße Tischtuch aus edler Baumwolle mit dem noch edleren Glanz. Binnen Sekunden war es an Glanz kaum noch zu überbieten und ich bildete mir ein, die übrigen Tischtücher im Saal würden bereits neidisch knistern.

Aber irgendwann hielt ich den hochsteigenden Ärger über das widerspenstige Menü nicht mehr im Zaum, sondern platzte:
„Ober!“
„Meine Dame?“
Buckelnd blickte dieser Hüter der Gastlichkeit recht irritiert auf die Neandertalerschlacht auf meinem Teller:
„Meine Dame, dürfte ich Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen?“
„Den Rat können Sie sich sparen. Schreiten wir besser rasch zur Tat, bevor mein Essen Kühlschranktemperatur hat!“
„Sehen Sie, meine Dame“, stotterte trotzdem die weiße Weste neben mir, „die Gabel platzieren Sie möglichst auf dem noch halb verdeckten Knochen zu dessen besserer Justierung. Dann führen Sie das Messer elegant an ihm entlang, vor und zurück, bis sich die anliegenden Fleischfetzen lösen ...“
´Cool!`, dachte ich. ´Ist ja ganz einfach!`
Ich platzierte also die Gabel, schob das Messer vor und zurück und wartete gierig auf die kleinen Happen Fleisch. Aber anscheinend verstehen die weißen Westen in solchen Lokalen zwar sehr wohl zu denken, aber nicht, Fleisch samt Knochen nutzungsgerecht zu hypnotisieren.

Mittlerweile hatte sich die Fleischlandschaft auf dem Teller in eine Mini-Arktis verwandelt und der Knochen als Eisbär verkleidet. Wieder und wieder rutschte die Gabel ab und glitt von einem Arktishügel zum nächsten. Doch ich hungriges Etwas war nicht länger gewillt, noch länger zu darben und pfiff auf sämtliche Etikette.
„Wenn im Guten nichts geht, dann eben anders!“
Wütend griff ich mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand das eine hervorlugende Ende des Knochens und rammte das Messer in das umliegende Fleisch. Ja, ins Fleisch, aber nicht in das des Hähnchens, sondern wieder einmal rutschte das Schneidegerät ab und mir diesmal mit voller Wucht in den Daumen.
„Auu!!!“

Mit fliegenden Rockschößen eilte die weiße Weste herbei, erkannte sofort den Ernst der Lage, ruckelte heftig am Messer hin und her im Bestreben, es von dem lädierten Daumen oder eher umgekehrt ihn von der Schneide zu befreiendem verflixten Hähnchenfleisch und machte alles nur noch schlimmer. Denn mein Daumen die Konsistenz besaß nicht dessen Konsistenz von Gummi, sondern bewies sich als äußerst nachgiebig. Das Messer avancierte tatsächlich zur Chef-Schneidemaschine, bewies sein durchtrennendes Talent und schnitt den Daumen fast bis zur Hälfte ein. Dort hing der nun, ein bluttriefendes Etwas und mir wurde es zunehmend schlechter.

In meiner Fantasie bekam er ein Gesicht, das sich zu einer gehässigen Fratze verzog.
„Jetzt haste den Salat!“
Erstens sah ich keinen Salat und zweitens hätte ich meinem Daumen eine solche unverfrorene Beleidigung nie angetan.
„U..Und was jetzt?“, fuhr dieses Teil meiner Selbst mich an. „Ohne mich bist Du doch aufgeschmissen!“
Verlegen in die Runde grinsend - alle Gäste guckten erstarrt - unternahm ich den hilflosen Versuch, den Daumen mittels Mayonnaise wieder fest zu pappen. Doch die blöde gelbe Pampe spielte nicht mit und jenes arme Fünftel der linken Hand baumelte weiterhin knapp über dem inzwischen total verdreckten Teller. Meine Psyche verkraftete die Niederlage und erst recht diesen Horroranblick nicht länger. Stöhnend sank ich in Ohnmacht und erwachte eine Viertelstunde später auf einer Krankentrage.
Den Daumen nähte man übrigens im OP ruckzuck wieder fest.



Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten

Mitglieder > Mitgliedergruppen > Kreativ Schreiben > Forum > Tja, so ganz gut lief es ja nicht ...