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Telefonische Odyssee

Von optik Freitag 06.05.2022, 08:34

Was man bei einem Fehleinkauf erleben kann, wurde mir im letzten Herbst bewusst. Ich wollte einer Erkältung entgegen wirken und suchte in meinem Lieblings-Discounter nach Ingwertee und fand ihn nicht. Also ging ich in den nächsten Drogeriemarkt. Ein ganzes Regal voll mit zig verschiedenen Teesorten. Unter der Vielzahl der Geschmacksrichtungen entdeckte ich ganz unten auch das von mir Gesuchte und ging an die Kasse. Ich entnahm die passenden Münzen aus meinem Portemonai und reagierte erstaunt als die Dame feststellte: „Es fehlen noch 30 Cent." Inzwischen warteten hinter mir weitere Kunden, daher suchte ich etwas kopflos die noch fehlenden Münzen und packte alles ein.
Hatte ich mich so geirrt? War ich nun auch schon auf dem Wege zur Altersschusseligkeit? Ich ging noch einmal zum Regal zurück und erkannte, ich hatte mich tatsächlich geirrt. Ich hatte Ingwertee mit Zitrone genommen. Spontan nahm ich den einfachen Tee für 1,65 Euro mit an die Kasse und bat um einen Umtausch. Nun reagierte die Dame mürrisch. Buchte eine Packung zurück, die andere neu und rief nach der Filialleiterin. Höflich bot ich an, die falschgegriffene Packung wieder ins Regal zu bringen, doch ich wurde kompromisslos belehrt: „Das geht nicht!“ Der Strichcode wurde ungültig gemacht und die Packung wanderte in die Tonne. Ich gebe zu, ich war ziemlich schockiert und fand das Verhalten sehr empörend.
Die verschlossene und zusätzlich mit Folie verklebte Pappkartonage sowie deren Inhalt, die 20 verschlossenen Teebeutel, hatten ja komplett ihren Originalzustand behalten. Ich hatte das Päckchen nur an die Kasse getragen und für wenige Minuten in meiner Tasche aufbewahrt.
Es ließ mir keine Ruhe. Ich fragte bei anderen Läden nach und erfuhr: Es sei gängige Praxis. So hatte sich eine junge Mutter in einer Packung Babynahrung geirrt. Sie merkte es erst als sie den Laden verlassen wollte. Die Ware wurde umgetauscht (was schon als sehr kulant gilt) und die teure Babynahrung anschließend auch in der Mülltonne entsorgt.
Ein paar Tage später sah ich just unsere damalige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Frau Julia Klöckner, in den Nachrichten. Gezeigt und sehr kritisch beurteilt wurden in diesem Zusammenhang mehrere Mülltonnen, in denen sich entsorgtes Obst und Gemüse, verpackte Wurst und Molkereiprodukte befanden. Dass in dem gezeigten Fall Lebensmittel und Plastikverpackungen mit Inhalt bunt durcheinander entsorgt waren, muss eine jede mitdenkende Hausfrau arg verwundert haben. Wurden wir doch seit Einführung des „Dualen Systems" zum Trennen erzogen. Außerdem zeigte man uns Verbrauchern in den vergangenen Monaten mit erhobenem Zeigefinger, wie wir mit all unserem Plastikabfall den Fischen in den Weltmeeren das Überleben erschweren.
Egal ob Papier, ob Plastik oder Hausmüll - die Berge dessen, was zu entsorgen ist, wachsen und obwohl schon die große Mehrheit bemüht ist, die Mengen minimal klein zu halten.
Aber - um beim Thema zu bleiben - auf welcher Vorschrift basierte mein Erlebnis im Drogeriemarkt? Das ließ mir keine Ruhe und vorweg gesagt: Ich erlebte eine telefonische Odyssee.
Die in Karlsruhe ansässige Geschäftsleitung der Filiale stellte sich ganz auf die Seite der Verkäuferin: „Lebensmittel, Reform-Artikel, Bonbons, Babynahrung, Tiernahrung und Arzneimittel müssen nach einer Warenrückgabe entsorgt werden. Dies ist auch der Fall, wenn die Ware optisch völlig unbeschädigt zu sein scheint.“ Welches Gesetz oder welche Verordnung hierbei maßgebend ist, konnte man aber nicht sagen. Immerhin bestätigte man mir, dass das eine gute Frage sei.
Mit dem Gedanken: „Die müssen es doch wissen“, rief ich danach die Verbraucherzentrale an und erfuhr: Bei meinem Ingwertee handelt es sich um ein „freiverkäufliches Arzneimittel" und es unterliegt somit einer besonderen Bestimmung und Sorgfaltspflicht. Aber wo bitte ist dieses festgelegt? Gibt es darüber ein Gesetz oder ähnliches, wollte ich weiter wissen. „Ja, das ist eine gute Frage", bekam ich zur Antwort, „aber fragen sie mal in Düsseldorf nach." Gesagt, getan, dort wusste man auch nicht mehr und verwies mich an das Bundesinstitut für Arznei- und Medizinprodukte in Bonn.
Erneut mein Erlebnis mit dem Tee vortragend, hieß es auch dort: „Gute Frage, aber hier sind sie ganz falsch." Beim Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Berlin hieß es wieder: „Gute Frage, warten sie mal, ich verbinde weiter.“ Aber auch dort wusste niemand etwas von einem Gesetz, einer Bestimmung oder einer Rechtsvorschrift im Bezug auf den besagten Tee.
Zum guten Schluss, nachdem ich wirklich mit vielen netten Menschen kommuniziert und fast einen ganzen Nachmittag plaudernd verbracht hatte, landete ich schließlich im Wirkungsbereich unseres ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn. Zunächst von der Zentrale, dann von der Poststelle aus wurde ich noch zwei-, dreimal weiterverbunden und dann erfuhr ich von einem netten Herrn endlich wie dies alles zusammenhängt.
Das Zauberwort lautet: HACCP-Konzept. Dies ist die Abkürzung von: Hazard Analysis and Critical Control Points, was auf Deutsch bedeutet: Gefahrenanalyse und kritische Kontrollpunkte.
Dieses Konzept wurde für die Produktion von Lebensmittel und dem Umgang mit diesen entwickelt. Im deutschen Recht wurde es 1998 erstmals mit der Lebensmittelhygiene-Verordnung verankert. Auch in der gesamten EU ist die Verordnung in allen entsprechenden Unternehmen verpflichtend vorgesehen. Ziel des HACCP-Konzeptes ist es vor allem, zu verstehen, was die möglichen Risiken für die Lebensmittel sind und wie man sie vermeiden muss.
Das also war die Erklärung der rechtlichen Zusammenhänge meines simplen Teeumtauschs. Mein Gesprächspartner erläuterte: Auf dem Weg von der Theke in meine Handtasche hätte ich dem Tee ja mittels einer Spritze irgendwelche Giftstoffe beifügen können! Ich möge mich erinnern, derartige Vorkommnisse habe es ja schon einige Male gegeben. Lebensmittelkonzerne seien erpresst worden und dergleichen mehr. „Aber sie hätten sich doch den ganzen Fragenkomplex sparen können", meinte der Ministeriumsmitarbeiter, „indem sie beide Teesorten gekauft und eine Packung verschenkt hätten."
„Sehen sie", antwortete ich abwägend, „das hätte ich wohl auch gemacht, wenn ich geahnt hätte, dass durch den Umtausch der Müllberg noch größer würde. Andererseits gibt es einen Unterschied zwischen uns beiden. Sie verfügen als Staatsbeamter über ein stattliches Salär, während ich als Rentnerin halt mit meinen Einkünften sparen muss…"
Einige Tage nach dem letzten Gespräch erreichte mich dann noch eine Stellungnahme meines Drogeriemarktes. Nach diesem Erlebnis bevorzuge ich meine alte Zubereitungsweise wieder, ich brühe die Ingwerscheiben in der Kanne auf

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